Mai 2021 - Ausgabe 229
Reportagen, Gespräche, Interviews
Ein Strich durch den Görli von Michael Unfried |
Um 1900 waren die Berliner von den Zukunftsvisionen der Verkehrsplaner noch begeistert. Das ist vorbei. Jetzt will die BVG ihre Bahngleise mitten durch einen Park legen. Doch die Kreuzberger sind dagegen. Sie war von Anfang an schwierig: Die Vereinigung von Kreuzberg und Friedrichshain, einem Teil der Deutschen Demokratischen Republik mit einem Teil der Bundesrepublik. Die wichtigste Verbindung zwischen den durch die Spree geteilten Welten ist die Oberbaumbrücke, auf der sich Wessis und Ossis auch Jahre nach der friedlichen Wiedervereinigung gegenseitig noch leidenschaftlich mit faulem Gemüse bewarfen. Was die Wessis besonders ärgerte war die Verlegung ihres Rathauses in die tief im Osten liegende Frankfurter Allee. Zwar konnten die eingesessenen Kreuzberger das eine oder andere Papier noch wie gewohnt in der Yorckstraße abholen, doch für die meisten Angelegenheiten mussten sie eine beschwerliche Reise antreten. Während man in Tegel mit einer Direktverbindung nach New York prahlte, gab es von Kreuzberg nach Friedrichshain weder eine unterirdische noch eine überirdische Non-Stop-Verbindung, mehrmaliges Umsteigen war notwendig und kostete Zeit und Geduld. Auf die Idee, einen Bus zwischen den beiden Rathäusern verkehren zu lassen, kamen die Berliner Verkehrsbetriebe nicht. Wer von Kreuzberg nach Friedrichshain wollte, hat es schwer. Bis heute. Erst mit den Berliner Koalitionsvereinbarungen im Jahr 2016 wurde ein Verkehrsentwicklungsplan vorgestellt, in dem unter anderem auch eine neue Straßenbahnverbindung von West nach Ost, vom Hermannplatz bis zur Warschauer Straße auftauchte, die über die Oberbaumbrücke führen sollte. Dort allerdings staute sich bereits in den Zwanzigerjahren und zu Beginn des Automobilzeitalters der Verkehr. Die Kreuzberger Mischung aus Fußgängern, Pferdedroschken, Automobilen und Stadtbahn vermittelte damals noch eine optimistische Aufbruchsstimmung, heute erinnert sie eher an pessimistische Endzeitvisionen. Im 21. Jahrhundert noch einmal eine Straßenbahn über die alte Brücke rollen zu lassen, ist ein waghalsiges, wenn nicht ein utopisches Projekt. Darüber hinaus grenzt die Vorstellung dieser eckigen und grellgelben Billigproduktionen moderner elektrischer Straßenbahnen auf der denkmalgeschützten Brücke an Vandalismus. Doch der Politik geht es nicht um die Ästhetik, es geht den senatseigenen Verkehrsbetrieben stets darum, Geld zu sparen und Geld zu verdienen. Deshalb favorisieren die städtischen Bus- und Bahnbetriebe bei ihren Streckenführungen stets den kürzesten Weg und die gerade Linie, und die führt in diesem Fall nicht nur über die schmuckvolle Brücke, sondern auch durch eine große, grüne Wiese: Mitten durch den Görlitzer Park! Als Visionäre haben sich die Planer der BVG noch nie hervor getan, doch dass sie keinen Sinn für die Realität besitzen, überrascht. Dem beauftragten Dresdner Planungsbüro kann schwerlich vorgeworfen werden, die Lage vor Ort nicht einschätzen zu können, aber ein langjähriger Chef der BVG, der jetzt im Senat sitzt und dort den Verkehr regelt, dürfte gewusst haben, dass er mit einer Trasse durchs Grünland und durch die beliebte Falckensteinstraße auf heftigen Protest stoßen würde. Zumal sich die Kreuzberger schon lange für ihren Görli einsetzen. Bereits in den Siebzigerjahren haben sie selbst Schaufel und Spaten in die Hand genommen, um das alte Bahngelände zu begrünen. »Kreuzberger wollen ihre Stadt selbst gestalten. Die lassen sich nicht so einfach regieren.« Dabei suchen sie sich ihre eigenen Stadtplaner und Architekten. 2012 stießen sie auf ihrer Suche nach geeigneten Mitstreitern auf Norbert Rheinlaender, einen Mann, der in unzähligen Bürgerinitiativen Erfahrungen gesammelt hatte im Umgang mit den Senatspolitikern. Die Kreuzberger äußerten sich besorgt um den Görli, den die Zeitungen in die Berliner Schmuddelecke mit Dealern, Junkies und illegalen Einwandern steckten, was vor allem unter gerade nach Berlin gezogenen Leserinnen Angst und Schrecken verbreitete. Sogar der seriöse Spiegel erklärte die Kreuzberger Grünfläche zu einer Tummelwiese für Räuber und Gendarmen. Schnell wurde, wie in anderen westdeutschen Städten üblich, der Ruf nach Polizei laut. Aber das Verhältnis zwischen den Kreuzbergern und der Berliner Polizei ist nicht sonderlich gut. »Die Kreuzberger wollten ihren Görli nicht der Polizei überlassen. Die wollten das lieber selbst regeln«, erinnert sich Rheinlaender. Also setzte man sich an einen Tisch, beriet sich lang und breit und wie in alten Zeiten und legte dem Bezirk 2013 ein Handlungskonzept vor, das mit einem deutlich vernehmbarem Seufzer und der Bemerkung, in Kreuzberg sei »jeder Busch gleich politisch«, entgegengenommen wurde. Wider Erwarten wurde jedoch in der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen, die von den Bürgern vorgeschlagenen Maßnahmen zur Rettung des Görlis umzusetzen. Abgesehen vom Kreuzberger CDU-Urgestein Kurt Wansner, dem die Selbstbestimmung der Kreuzberger stets ein Dorn im Auge gewesen war, schien man im Bezirk ein bisschen beeindruckt vom Bürgerengagement und gab grünes Licht für einen so genannten Parkrat, der über die Zukunft des Görlis mitentscheiden sollte. Im Sommer 2016 klebten dann große Transparente an den alten Mauern des Görlitzer Bahnhofs und riefen zur Wahl auf. Zu einer Informationsveranstaltung in der Kirche am Lausitzer Platz kamen 250 Kreuzberger, und am Tag der Wahl standen tatsächlich 53 Kandidaten bereit, darunter Architekten, Landschaftsplaner, Lehrer, Schwarze, Hundebesitzer, Leute mit verschiedensten Interessen. »Ich glaube, es waren mehr als 1300 Stimmen, die abgegeben wurden«, sagt Rhein-laender. »Da war ich echt beeindruckt. Das war wieder einmal typisch für Kreuzberg.« Ein Hauch von Basisdemokratie. Zu den Maßnahmen der Parkretter gehörte so etwas wie ein privater Wachschutz aus gewählten Vertretern Kreuzberger Bürger: Elf so genannte Parkläufer - darunter ein schwarzafrikanischer IT-Spezialist, der 14 afrikanische Dialekte sprach, sowie Cengiz Demirci, ein Sozialarbeiter, der in einem ausgedienten Bauwagen gegenüber den eingetrockneten Wasserspielen des Parks sein Büro einrichtete. Demirci, jetzt Parkmanager, erhielt schon bald nicht nur von Parknutzern Besuch, sondern auch von Funk & Fernsehen. Mit Argusaugen und mit spöttischen Kommentaren begleiteten die konservativen Parteien mit ihren Pressevertretern die Geschehnisse im Park, und im Kreuzbergmuseum kam es anlässlich einer Ausstellung zu den Flüchtlingen im Görli zu einer turbulenten Diskussionsveranstaltung, in der sich der Parkrat vor allem mit den Ängsten einiger Neuberliner auseinandersetzen musste. Immer wieder wurde dem Rat vorgeworfen, er unterstütze mit seiner Strategie den Drogenhandel. Doch es war die explizite Aufgabe dieser Kreuzberger Task Force, Kontakt insbesondere zu jenen aufzunehmen, die gerade aus Afrika gekommen waren, keine Arbeit und kein Geld besaßen und sich mit dem Verkauf kleiner Marihuanapäckchen über Wasser zu halten versuchten. Das Konzept ging auf, Demirci kannte bald jeden Stammgast im Park, und jeder kannte ihn. Man kommunizierte miteinander, Hundebesitzer, Kinderbetreuer, Fußballfreunde und Haschischraucher kamen einander näher. Das hätten die deutschen Polizisten mit einer Handvoll deutscher Dialekte nicht bewerkstelligen können. Der Görli, einst das verdreckte Schlusslicht der Berliner Grünanlagen, wurde zum Pilotprojekt: 2019 bewilligte der Bezirk 4 Millionen Euro für ähnlich strukturierte Parkmanagements in ganz Kreuzberg. Doch die Kreuzberger hatten noch mehr vor: Sie wollten die alte Eisenbahnbrücke über den Kanal pflastern, damit Spaziergänger nach dem Regen nicht durch den Schlamm waten mussten; sie wehrten sich gegen einen Radschnellweg, auf dem Radraser die Spielwiese mit vierzig Kilometern pro Stunde auf einem vierspurigen Radschnellweg durchkreuzen sollten; sie forderten lange Sitzbänke wie im Park am Gleisdreieck, dachten an eine abgeschlossene Hundewiese und an eine gemeinnützige Nutzung der Gebäude anstelle einer kommerziellen. Die Verantwortlichen im Bezirk und im Senat fanden diese Ideen alle schön und gut, konnten aber stets lächelnd auf ihre leeren Taschen verweisen. Natürlich war der Parkrat 2018 auch gegen die Senatsvorstellung von einer Bahnlinie vom Hermannplatz über die Glogauer Straße mitten durch ihren Park und mitten durch die Falckensteinstraße, eine enge, im Sommer so gut wie autofreie und von jungen Leuten vor Restaurants, Läden, Bäckern, Getränkeläden und Eisdielen bevölkerte Straße. »Die Bahn hier durch würde das alles platt machen!«, sagt Rheinlaender, der auch mit 73 noch weiß: Die jungen Leute brauchen ihre Plätze, Orte, an denen sie sich wohlfühlen, die ihnen gehören. Die viel kritisierte Partymeile rund um das Schlesische Tor ist eine über Jahre gewachsene Stadtlandschaft von so internationaler Berühmtheit wie die Bergmannstraße in ihren besten Jahren. »Aber die wird ja von der Politik auch gerade platt gemacht!« Und dann könnte es so geschehen wie gerade eben in der Bergmannstraße: Kurz vor Baubeginn wird man den Bürgern mitteilen, dass man nun zu bauen beginnt. Und dass leider alles ein bisschen anders aussehen wird als in jenen Entwürfen, die man einst den Bürgern auf den Veranstaltungen zur Mitbestimmung vorlegte. Die gerade Linie ist die billigste. Umwege und Kurven um den Park herum kosten Zeit und Geld, und nichts ist wichtiger als Zeit und Geld, wie in der Wirtschaft also auch in der Politik. Die alternativen, den Park umfahrenden Routen existieren womöglich nur auf dem Papier. Sie sollen den Eindruck erwecken, dass alle möglichen Varianten sorgfältig geprüft wurden. Die achte Variante, nämlich die Restaurierung der im Krieg zerstörten Brommy-Brücke, die der Stadtplaner Rhein-laender vorschlägt und die zusätzlich die Oberbaumbrücke entlasten würde, steht für den Senat scheinbar nicht zur Diskussion. Deshalb ist es höchst wahrscheinlich, dass schon bald eine Bahnlinie den Görlitzer Park in zwei Teile teilen wird. Ein Zaun müsste dann Hunde und Kinder vor dem plötzlichen Unfalltod retten und Bahnfahrer vor Bällen, Frisbyscheiben und Steinschlag schützen. »Der Park hätte plötzlich ein vollkommen anderes Gesicht!«, sagt Rheinlaender. Wahrscheinlich würde es nicht lange dauern, bis einer der beiden Parkteile verwahrlosen und wertlos, und am Ende vielleicht sogar zu Bauland werden würde. Eine Verkehrsanbindung für das neue Wohnviertel am Parkrand wäre ja schon vorhanden. • |