Kreuzberger Chronik
März 2021 - Ausgabe 227

Strassen, Häuser, Höfe

Alte Straßennamen (0):
Teil 4: Die Neue Orangenstraße 74



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von Werner von Westhafen

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Als sich die noch namenlose Oranienstraße lang und breit machte, gab man ihr zunächst den Namen eines Städtchens und gleichnamigen Fürstentums in Südfrankreich, von wo aus Ende des 17. Jahrhunderts protestantische Religionsflüchtlinge in die Stadt an der Spree gekommen und sich im Süden Berlins niedergelassen hatten. In Erinnerung an ihre mediterrane Heimat nannten sie die wichtigste Straße in ihrem Viertel die Orangenstraße.

Weil sich diese Straße aber an beiden Enden immer weiter ausdehnte, erhielten die neuen Teilstücke der langen Gerade 1843 den Namen Neue Orangenstraße. Da es nun aber gleich zwei Neue gab, eine im Osten und eine im Westen, wurden sie schon bald in die Orangenstraße integriert. Am 24. März 1849 schließlich wurde die Orangenstraße zur Oranienstraße, einer holländischen Herrscherdynastie zu Ehren, die im Süden Frankreichs eine Dependance besaß.

In jener Zeit, als die Straße noch Neue Orangenstraße hieß, ließ sich ein Drucker dort nieder, der seiner fortschrittlichen Ideen wegen sowohl als Unternehmer als auch als politisch engagierter Bürger noch heute als Altkreuzberger durchgehen könnte: Eduard Heinrich Bernhard Krause. Krause war Zweiter Vorsitzender des politisch unbequemen, später gesetzlich verbotenen Berliner Handwerkervereins und einer der Volksredner auf den Barrikaden der Märzrevolution des Jahres 1848. Welche Rolle er in den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Volk und Staat gespielt hatte, vertraute der womöglich um den Ruf seines Geschäftes besorgte Krause erst neun Jahre später einem Schriftstück an, das er bei der Grundsteinlegung für seinen neuen Firmensitz in der Französischen Straße mit eingraben ließ.

Geboren wurde Krause 1816 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Stralsund. Er lernte den Beruf des Schriftsetzers, reiste als junger Mann nach Paris, London, Brüssel und sogar New York, bis es ihn 1843 nach Berlin verschlug. Dort schaffte er sich eine hölzerne Handpresse an und mietete Räume in der Neuen Orangenstraße 74, um Reden, Vorträge und die Gedichte des vereinsinternen Poetischen Zirkels abzudrucken. Gleich auf der ersten Generalversammlung des Vereins wurde Krause in den Vorstand gewählt, und schon wenig später gehörte er zu den Unterzeichnern eines Aufrufs an alle Handwerker Berlins, sich unter dem Dach dieses Vereins zu einer politischen Bewegung zu formieren. Krause druckte: »Kommen Sie alle und vereinigen Sie sich mit uns...«

Krauses kleine Druckerei wurde größer und zog bald von der Orangenstraße in die Lindenstraße. Seinen politischen Idealen blieb Krause auch als Unternehmer treu, lebhaft soll er sich an den vielen Diskussionen des Winters 1847/1848 beteiligt haben. Es waren nicht mehr nur kommunistische Gruppierungen, die den gesellschaftlichen Umschwung im Land heraufbeschworen, der Geist der Revolution war längst im Volk angekommen. Als am 16. März drei Zivilisten vor der Neuen Wache ermordet wurden, beschloss auch der Handwerkerverein die Teilnahme an der für den 18. März angekündigten Demonstration auf dem Schlossplatz. Dass Krause selbst an vorderster Front kämpfte, bestätigt das vergrabene Schriftstück: »In der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 verteidigte ich die Barrikade am Cöllnischen Rathause und empfing bei der endlichen Einnahme derselben durch das Militär eine Stirnwunde.«

Drucker Krause war nicht nur ein Mann des Wortes. Der Redner auf der Barrikade, der anfangs noch Zurückhaltung propagiert und geraten hatte, den ersten Angriff der Königlichen Garde zu überlassen, nahm, als die Truppen tatsächlich zu schießen begannen, unverzüglich selbst das Gewehr zur Hand. Die Barrikade auf der Breiten Straße mit ihrer schwarz-rot-goldenen Fahne nahe dem Rathaus war zum provokanten und deshalb bevorzugten Zielobjekt der Königstruppen geworden, es gab »Tote und Verletzte. Eine wahre Metzelei begann aber von Seiten der Soldaten, als sie mit gezücktem Bajonett in das Rathaus vordrangen und alles, was ihnen dort entgegenkam, niederstachen«. So berichtet es später ein Zeitzeuge.

Einer jener Barrikadenkämpfer, die sich im Rathaus verschanzt hatten und den Soldaten entgegentraten, war Eduard Heinrich Bernhard Krause. Mit der Büchse im Anschlag soll er sich den Angreifern in den Weg gestellt haben, als diese die Tür aufbrachen, und vom Säbel des Kommandanten persönlich niedergestreckt worden sein. Die vorüberstürmenden Soldaten schenkten dem am Boden liegenden, scheinbar toten Bürger keinerlei Beachtung. So kam es, dass er als einziger Revolutionär die Schlacht im Rathaus überlebte.

Es scheint, als habe Krause um die Sache nie viel Aufhebens gemacht und nach all den politischen Unruhen in aller Ruhe weiter seine Geschäfte betrieben. Neun Jahre nach dem Gemetzel aber, am 5. Mai des Jahres 1857, vertraute er dem Grundstein für das neue Druckhaus in der Französischen Straße 51 sein kleines Geheimnis an.

Das handschriftliche Dokument, so schreibt Kurt Wernicke, langjähriger Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, belege eindeutig das Festhalten an den alten Idealen der Revolution von 1848: »Er bekennt sich darin nicht nur zu seinem Auftreten am 18. März, sondern knüpft daran auch die Reflexion: Ob auch die Errungenschaften jenes Jahres längst verloren, ob auch das herrschende Regiment bemüht sein möge, selbst die Erinnerung daran zu verwischen: Die Saat, die damals aufgegangen, wird nicht verloren sein trotz des langen Winters, der sie bedeckt.« •

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