Juni 2021 - Ausgabe 230
Strassen, Häuser, Höfe
Das Haus am See von Michael Unfried |
Es ist eines der schönsten Häuser Kreuzbergs: Das ehemalige Aufseherwohnhaus der Königlichen Wasserbau-Inspektion liegt auf einem Zipfel Land, der in einen kleinen See zu ragen scheint, dessen gegenüberliegendes Ufer an Sommerabenden von jungen Menschen besiedelt ist, die im Schein der untergehenden Sonne mit Gitarren den Einbruch der Nacht feiern. Der vermeintliche See entstand, als zwischen Landwehrkanal und Neuköllner Schifffahrtskanal eine dritte Wasserstraße nach Norden zur Lohmühleninsel abgezweigt wurde und die Schiffe Platz zum Manövrieren brauchten. Schon im 19. Jahrhundert übte das Wasserbecken auf junge Menschen große Anziehungskraft aus. Am westlichen Ufer eröffnete 1848 das beliebte »Studentenbad«. Von der Liegewiese aus sah man schon damals zwischen den Bäumen die Backsteingotik des Häuschens mit den spitzen Giebeln, Zinnen und Türmchen. 1890 hatte Wilhelm Germelmann die Baugenehmigung für ein »Aufseherhaus nebst Geräthe- und Dampfbootschuppen« erhalten. Es entstand ein Kleinod mit 200 Quadratmetern Wohnfläche, zwei Wohnungen im Erdgeschoss und mehreren Kammern unter dem Dach. Germelmann besaß einen Hang zum Wasser. Bevor er Brücken und Kanäle für den König plante, hatte er Hafenanlagen und Gebäude auf Rügen errichtet und den Ems-Jade-Kanal ausgehoben. 1888 wurde er zum Königlichen Wasserbau-Inspektor, zehn Jahre später zum Geheimen Baurat, dann zum Geheimen Oberbaurat und schließlich zum Wirklichen Geheimen Oberbaurat. Doch auch als Oberhaupt der Wasserbau-Inspektion hatte er das hübsche Häuschen mit dem Bootsschuppen nie zu seinem Amts- oder Wohnsitz machen können. In eine der beiden Wohnungen zog der Königliche Bauaufseher Geiert ein, der die Wasserstraßen beaufsichtigte, in die andere der für das Boot zuständige Dampfmaschinist Caspar mit Frau Louise und drei Kindern. Auf der Wiese trocknete die Wäsche, vom Steg aus sprangen Kinder ins Wasser. Doch die Stadt rückte näher, 1920 hieß es plötzlich Groß-Berlin, und 1925 erhielt das Häuschen einen Anbau mit zwei Toiletten und einem Badezimmer. Caspar und Geiert wurden abgelöst, andere Aufseher und Frauen und Kinder zogen ein, bis der Krieg die Stadt teilte. Dabei wurden sämtliche Wasserstraßen der sowjetischen Verwaltung unterstellt, während das Häuschen der Aufseher nun auf amerikanischem Boden, und damit auf verlorenem Posten stand. In einem Schiff, das am Steg festgemacht hatte, wurde eine Notunterkunft für Ausgebombte eingerichtet, im Vorgarten waren die Kaninchenställe. Das Haus stand leer, verkam, schon sollte das Dach abgerissen werden, da durfte 1978 Schleusenwärter Götz, ein Angestellter der DDR, mit Frau und Kindern in das Häuschen im Westen einziehen. Dann fiel die Mauer und das Gebäude kam zum Bund. Als nachts Piraten vom Wasser aus über das Haus herfielen, verließ der Schleusenwärter das sinkende Schiff. Abermals sollte das Haus abgerissen werden, doch die Kreuzberger protestierten, und 1996 erhielt das Bauwerk endlich den verdienten Denkmalschutz. Als der Bezirk das Grundstück auf dem Privatmarkt anbietet, stößt er auf reges Interesse, auch bei Peter Ackermann, einem echten Berliner, dessen Vater im Krieg blieb und dessen Mutter den Sohn alleine durchbringen musste, wie DIE ZEIT schrieb. Nur ein Schüleraustausch mit den USA habe ihn seinerzeit aus Not und Elend gerettet. Eine Erfahrung, die ihn nachhaltig prägte. »Wenn nur 100 Mark notwendig gewesen wären, dann hätte ich nicht fahren können.« Die damals erlittene Armut habe ihn auf die Idee gebracht, Anwalt zu werden, und so ist aus dem armen Kind ein reicher Mann geworden. So reich, dass er 2004 dem Land Berlin zu Hilfe kommen konnte, das nicht genügend Geld in der Kasse hatte, um das Filetstück am See vom Bund abzukaufen. Ackermann erhielt für seine Großzügigkeit einen Pachtvertrag für das Grundstück - zwar nicht für alle Ewigkeit, aber immerhin bis zum Dezember 2070. Da so ein Filetstück mitten in Kreuzberg nicht in Unternehmerhände geraten kann, ohne Widerstand zu provozieren, kam als Pächter jedoch nur eine gemeinnützige Stiftung in Frage. Ackermann investierte drei weitere Millionen und gründete die Kreuzberger Kinderstiftung. In einem Interview zeigt er sich von der Unternehmerseite und macht deutlich, dass erfolgreiche Stiftungen nichts mit Romantik zu tun haben. Sie seien oft als »Ewigkeitsstiftungen angelegt«, hätten aber mit Beträgen wie 50.000 oder 100.000 Euro keine Chance, den Stifter zu überleben. Man brauche ein Volumen von 5 bis 10 Millionen Euro. Für seine eigene Stiftung zum Beispiel suche er einen guten Geschäftsführer, und der sei »unter 80.000 € im Jahr nicht zu haben«. Ackermanns Ansprüche sind hoch, andererseits scheint die Stiftung gute Arbeit zu leisten. Nach zwölf Jahren hatte sie 450 Auslandsaufenthalte und mehr als 500 gemeinnützige Projekte unterstützt. Kinder allerdings, so berichtet Hanni Schmidt, die seit Jahren gegenüber wohnt, wurden hier nie gesehen. Nur einmal im Jahr treffen sich die jugendlichen Heimkehrer aus dem Ausland im Garten vor der Villa zu einem kleinen Fest und posieren für ein Gruppenfoto. Kürzlich hat die Villa Zuwachs erhalten. Am 15. April 2019 schwebte ein Fertighaus über den Zaun, zwei Tage später war der Konferenzraum fertig. Die Stiftung bewirbt ihn als »Tagungsort in idyllischer Umgebung« mit »Panoramablick und Terrasse mit Gartenzugang«. Laut Google-Maps übrigens sitzt in der alten Villa die Unternehmensberatung International Consulting. • |