Juni 2021 - Ausgabe 230
Herr D.
Der Herr D. trifft Anna von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. hatte schon viele ausprobiert, aber es war nie die Richtige darunter gewesen. Bei den ersten Begegnungen hatten sie sich alle von der freundlichsten Seite gezeigt, ihn angelächelt und um ihn geworben, und doch endeten all diese Bekanntschaften im Streit. Die erste war die Berliner Bank gewesen, dann kam die Deutsche Bank, dann die Volksbank, und schließlich die Postbank. Als die sich dann mit der Deutschen Bank einließ und der Herr D. auch noch die gleiche Frau am Schalter wiedertraf, mit der er sich zehn Jahre zuvor derart gestritten hatte, dass ein Kollege sicherheitshalber schon die Eingangstür hinter ihnen schloss, begann er zu resignieren. Auf dem Mehringdamm traf er Anna. Die Kreuzbergerin. Sie trug offene graue Haare, ein weites Kleid und Birkenstockschuhe. Sie war Nichtraucherin, trank nichts, unterstützte von ihrem mickrigen Gehalt Kinderheime in Indien und wählte seit fünfzig Jahren die Grünen.»Ach Herr D., warum haben Sie denn schon wieder so schlechte Laune?«, rief sie von weitem, und der Herr D. bekam noch schlechtere Laune. Er erwähnte die Deutsche Bank. Anna hatte etwas für ihn: »die einzig alternative Bank, investiert in nachhaltige Projekte, umweltfreundlich, und furchtbar nette Leute..« - »Furchtbar nette Leute? Ich weiß nicht, ob das das Richtige für mich ist!«, brummte der Herr D. Anna schwärmte weiter: »Ich war bei der Postbank, jetzt zahl ich die Hälfte, sooo günstig, was Besseres finden Sie nicht auf dieser Welt.«Nun war der Herr D. seit zwei Jahrzehnten bei Annas Bank. Zuerst zahlte er so viel wie bei der Postbank, aber da die Bank so eine Art Sekte war, fing sie vor ein paar Jahren damit an, Mitgliedsbeiträge zu erheben. Der Herr D. konnte den Jahresbeitrag noch von 60 auf 10 Euro herunterhandeln, doch die Bank fand andere Wege, um beim Herrn D. etwas dazu zu verdienen. Seit einem halben Jahr schrieb sie ihm jeden Monat einen Brief, um die aktuellen Zinssatzänderungen mitzuteilen. Das erschien dem Herrn D. weder seriös, noch glaubte er, dass das Versenden von 300.000 Briefen umweltfreundlich war. Womöglich, spekulierte der Herr D., steckte Annas Bank längst mit der Deutschen Bank, also der Post, unter einer Decke. Der Gedanke gefiel ihm, doch selbst, wenn sich die unglückselige Verschwörung von Post und Bank als bloße Theorie erweisen sollte, machte die Bank mit den Briefen womöglich kein schlechtes Geschäft, denn bestimmt fielen jedes Mal Bearbeitungsgebühren in Höhe von ein paar Cent an. Mal 300.000 ... Da traf er Anna. »Na, was machen Sie denn schon wieder für ein Gesicht!«, rief Anna schon von weitem. »Die Bank!«, brummte der Herr D., und Anna mit ihrem christlichen Glauben an das Gute in dieser Welt sagte: »Da hab ich was für Sie....« |