Juni 2021 - Ausgabe 230
Geschäfte
Der Tischler vom Tempelhofer Berg von Hans W. Korfmann |
Karl Richter steht vor der Rapid, dem Kettenstemmer mit dem kreisrunden, roten Firmenschild, wie es in den Siebzigerjahren auf vielen Maschinen zu sehen war. Die Maschine, Baujahr 1979, hat einen Metalltisch, einige Klemmen und Schalter und einen langen Hebel, mit dem sich das Sägeblatt absenken lässt. Dieses etwa dreißig Zentimeter lange Metallschwert ähnelt dem einer Kettensäge, allerdings wird es nicht waagerecht, sondern senkrecht auf das Holz gerichtet, so dass es einen perfekten rechteckigen Schlitz im Balken oder im Brett hinterlässt. Passend zum Schwert hat Richter etwa zwanzig verschiedene Ketten im Schrank, die er behütet wie seine Augäpfel, denn solche Ketten gibt es nicht mehr. So eine Maschine auch nicht. Dabei braucht er sie immer wieder. Er legt die Hand auf den Hebel, als wäre es die Schulter eines Freundes. »Das ist die vorletzte, die ich verkaufe, wenn ich mal Pleite mache!«, sagt Richter. Die letzte ist der Zapfenschläger. Auch so eine alte Maschine, die es kaum noch gibt. Sie sägt Zapfen und Schlitze für Leimverbindungen in die Rahmen von Fenstern, Türen, Schränken. Ohne diese Maschine kann man gar keine ordentlichen Fenster oder Türen bauen, jedenfalls keine, die 30 Kilo wiegen und 300 Jahre halten. Mindestens. Aber genau solche Türen baut der Tischler Karl Richter im einstigen Maschinenraum der Brauerei am Tempelhofer Berg. Seit bald schon 40 Jahren, zuerst bei Horst Schmidt in Zehlendorf und seit 1997 in seiner wunderbaren Werkstatt mit dem altem Kopfsteinpflaster vor der Tür im Hof, den kreischenden Maschinen, der von Kerben und Narben übersäten Hobelbank und den schlangenartigen Schläuchen unter der hohen Decke, die mehrere Kubikmeter Sägemehl im Monat wegsaugen. Schmidt, das war eine der drei großen Schreinereien in Berlin mit 50 Angestellten. Eigentlich wollte Karl Richter Architektur studieren, aber das Warten auf den Studienplatz dauerte zu lange, und weil Sitzen und Warten nichts ist für einen wie ihn, fing er bei Schmidt an, um sich »die Zeit zu vertreiben. Ich war da natürlich der Exot, der einzige Schreiner mit Abi, alle fragten, was ich da will. Aber mir hat es Spaß gemacht, und der alte Schmidt mochte mich. Irgendwann hatte ich dann den Meisterbrief in der Tasche. Es waren gute Jahre, die Achtzigerjahre, wir waren ständig nur in Kreuzberg. Wir haben den Hausbesetzern viel zu verdanken, die ganze Naunynstraße und die halbe Adalbertstraße haben wir gemacht, die ganzen Altberliner Fenster und Haustüren, mit Wassernasen und profilierten Schlageleisten, alles aus Holz, alles wie früher. Das war schon ein gutes Gefühl, so ein ganzes Stadtviertel zu retten. Sonst hätte doch auch da alles wie am Kotti ausgesehen, nur noch Beton.« Außerdem lernte man in Kreuzberg immer interessante Leute kennen. Die meisten waren einfache Mieter, mit denen man nach Feierabend in den Kneipen sitzen konnte. In einem dieser Cafés kam Richter mit einer jungen Frau ins Gespräch, den ganzen Abend saßen sie zusammen, am Ende gab sie ihm eine Visitenkarte: »Mein Chef braucht ein paar Regale, ruf doch mal an.« Der Chef war Rainer Fetting. In Richters staubigem Büro hängen ein paar hölzerne Farbpaletten von ihm, stehen die kiloschweren Bildbände des Erfolgsmalers, der nicht nur Regale, sondern Türen, Fenster, Schränke brauchte. Was aus Holz ist bei Fetting, stammt vom Tempelhofer Berg. Die beiden sind inzwischen Freunde. Weil es etwas gibt, das sie verbindet: Beide arbeiten aus Leidenschaft. Der Schreiner zeigt ein Schränkchen, das einer seiner Lehrlinge gebaut hat. »Alles von Hand gesägt, die Zapfen, Millimeterarbeit!« Auf seine Lehrlinge ist er stolz, elf sind es bis jetzt gewesen, zwei haben den Meister gemacht. Auch die besaßen Leidenschaft. Wer keine Leidenschaft hat, ist fehl am Platz. Den nimmt er irgendwann beiseite, deutet auf die Kreissäge mit ihren 6000 Umdrehungen und sagt: »Du, ich glaube, du wirst hier nicht glücklich. Und wenn du Pech hast, wirst du dir irgendwann noch weh tun.« Er hatte mal eine Praktikantin, die zeigte ihm stolz ihr Erstlingswerk: »Ist das nicht schön?« - »Nee, ist nicht schön!«, sagte er und zeigte ihr Unebenheiten und Kratzer. »Der Hobel war nicht scharf genug, und das Stecheisen hatte Kerben!« Sie hatte Tränen in den Augen, aber als sie ihn eines Tages verließ, lachte sie. Richter verlangt auch von seiner Kundschaft viel. Sie muss wissen, was »preiswert« eigentlich bedeutet. Dass eine Alt-Berliner Zimmertür mit sechs Fächern und einer Lebenserwartung von mehreren hundert Jahren diesen Preis wert ist. Seine Kunden sind heute die Besitzer von Eigentumswohnungen, »so genannte Best-Ager. Die kaufen nicht mehr bei Ikea, sondern bei Manufaktum.« Darüber kann man die Nase rümpfen, aber besser als diese Investmentbanker, die nach dem Mauerfall in die Stadt kamen, sind sie allemal. Es gibt nichts Schlimmeres als Investoren, die diese alten Handarbeiten, die alten Fenster und Türen in den Abfallcontainer werfen, als hätten sie keinen Wert. Karl Richter hat einige dieser Türen gerettet und gelagert. »Antiquitätenhändler verkaufen die für 400 Euro im Bergezustand - also so, wie sie geborgen wird.« Da muss man dann noch Arbeit reinstecken. Richter baut lieber gleich neu. »Wo haben sie denn die alte Tür her?«, fragte kürzlich ein Architekt, der den wunderbaren Zustand einer Flügel-Tür bewunderte. »Die sieht ja aus wie neu!« - Da musste der Tischler grinsen. »Die ist auch neu! Alt sind nur meine Maschinen.« • |