Kreuzberger Chronik
Juli 2021 - Ausgabe 231

Strassen, Häuser, Höfe

Gneisenaustraße 66/67


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von Michael Unfried

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Viele der berühmten Straßen und Plätze der Hauptstadt tragen bis heute die Namen berühmter Schlachten und großer Generäle, die im Kampf gegen Napoleon erfolgreich waren. Wittenberg, Dennewitz, Großbeeren: lauter Orte, an denen die Preußen gegen die Franzosen antraten. Tauentzien, Bülow, Blücher und Yorck: lauter erfolgreiche Generäle im Krieg gegen Napoleon. In Kreuzberg erinnern sogar Nebenstraßen und Parallelstraßen des sogenannten Generalzuges aus repräsentativen Alleen und Plätzen an Kämpfer aus der zweiten Reihe sowie an Nebenschauplätze des Befreiungskrieges: Wartenburg, Riemann und Nostitz, sowie Eylau, Luckenwalde und Kleinbeeren. Es sind hier derart viele militante Namensgeber versammelt, dass 204 Jahre nach Beendigung der Napoleonkriege eine grüne Bezirksregierung in Berlin sogar auf die Idee kam, einen Antrag auf »Entmilitarisierung des öffentlichen Raums« zu stellen.

Als die gerade angelegte Gneisenaustraße 1864 den Namen des Generalfeldmarschalls August Wilhelm Anton Graf Neidhardt von Gneisenau erhielt, war man sich noch keiner Schuld bewusst. Die Gneisenaustraße war das östliche Ende einer langen und stattlichen Allee zwischen Gedächtniskirche und Südstern. Innerhalb weniger Jahre wurde die neu angelegte Straße flankiert von den schmuckvollen Fassaden fünfstöckiger Wohnhäuser. Hinter den Häusern erstreckten sich Wiesen und Gärten, erst um die Jahrhundertwende wurden Seitenflügel und Hinterhäuser, Höfe und Remisen angebaut. So entstanden auch die repräsentativen Zwillingshäuser der Gneisenaustraße 66/67 mit ihren halbrunden Erkern und Balkonen. Hinter dem Haus aber befanden sich bereits damals schon kleine Werkstätten, woraus nach und nach einer der großen Kreuzberger Gewerbehöfe entstand.

Errichtet wurden die Häuser vom Architekten Wilhelm Peters, einem erfolgreichen, aber - »leider völlig zu unrecht« - vergessenen »Baumeister Berlins«, wie der stets ums Renommee besorgte Besitzer schreibt. Die »liebevoll sanierten Petershöfe« böten noch heute ein »perfektes Betriebsklima für einen bunten Branchenmix.«

Die sorgfältige Sanierung der knapp 11.500 Quadratmeter allerdings hatte noch die städtische Gewerbesiedlungsgesellschaft bezahlt, die 1965 gegründet wurde, um mit günstigen Gewerbemieten Firmen aus Westdeutschland anzulocken und die Wirtschaft in Berlin anzukurbeln. Als die GSG die Gewerbehöfe in Kreuzberg sanierte, wurde sie von der Europäischen Gemeinschaft unterstützt, worauf eine blaue Plakette mit zwölf goldenen Sternen am Hofeingang hinweist. Unter dem blauen Schild mit den goldenen Sternen hängen drei weniger schöne Schilder, die auch nicht von der Europäischen Union, sondern vom Hausbesitzer aufgehängt wurden: Es sind Verbotsschilder: Fahrräder verboten! Hunde verboten! Fotografieren verboten!


Seit der Senat die 42 Berliner Gewerbehöfe 2007 an die Orco Property Group verkaufte - und damit Hunderte von Firmen und 12.000 Arbeitsplätze gefährdete, - ist nichts mehr, wie es war. Auch nicht in den Petershöfen. »Der Typ mit den alten Druckmaschinen im Keller ist weg, die Druckerei Weidling mit ihren tonnenschweren Maschinen auch.« Und der Stahlbauer. Sogar die Jugendtischlerei, ein senatsgefördertes Projekt, musste aus den ehemaligen Senatsräumen wieder ausziehen.

Hoppes Schraubenhandlung aber ist noch da. Und der Feinlehrenbau Seelecke. Was die neuen Mieter im Haus produzieren, ist den Firmenschildern nicht zu entnehmen. Sie heißen eShot, caseable, 36 Stage XL, BigRep oder Readly, lauter Firmen, die an keinen großen Rädern mehr drehen. Ihre Maschinen passen in die Aktentasche, sie brauchen nichts als einen Schreibtisch und eine Telefonleitung. Wo einst eine Firma mit 500 Quadratmetern saß und Miete zahlte, sitzen jetzt 10 Firmen und zahlen 10 Mieten. »Alle Räume sind völlig frei konfigurierbar«, prahlt der Investor. »Die Flächen passen sich ganz individuell Ideen und Wünschen an«. Schiebewände?

Michael Schneider ist zwei Häuser weiter gezogen mit seinem Großhandel für Beleuchtung und Dekoration. Als er 1998 bei der GSG einzog, zahlte er zwölf Mark den Meter, jetzt würde der 23 Euro kosten. Viel Geld bei den vielen Metern, die Schneider gemietet hatte. »Die komplette 3. Etage, zwei Seitenflügel und die gesamte Länge des Quergebäudes mit drei Eingängen und zwei Fahrstühlen.« Fast 1000 Quadratmeter, Platz genug für ein paar Hundert Lampen, die lebensgroße Bronze eines Pferdes und seine vier dressierten Pudel. Die fielen irgendwann auch »diesen Filmfuzzis aus dem vierten Stock auf, die den Bullen von Toelk drehten und irgendwann einen Pudel brauchten. Der sollte dann zu Katharina Thalbach gehen, die auf der Bank ein Buch las, kurz mit ihr plaudern, und dann sollten beide in umgekehrter Richtung wieder auseinander gehen. Ich dachte, das macht doch mein Moriel nie, das dauert mindestens drei Tage! Aber nach fünf Minuten hatten sie die Szene im Kasten.«

Solche Geschichten erlebt man jetzt nicht mehr. Hunde sind verboten. Fahrradfahrer auch. Das Fotografieren der denkmalgeschützten Fassaden auch. Und die Türen, mahnt die Verwaltung, sollen »aufgrund aktueller Vorkommnisse« stets geschlossen bleiben.

Auf der Internetseite des Eigentümers ist die Welt noch in Ordnung: »22 historische Gewerbehöfe allein in Kreuzberg – ganz ehrlich: Darauf sind wir ein wenig stolz. Wir sind mit fast 1 Mio. Quadratmetern einer der größten Anbieter von Büro-, Gewerbe- und Lagerflächen in Berlin.« - Aber mal wirklich ehrlich: Kann man auf geschenktes, aus EU- und Steuergeldern finanziertes Kapital wirklich stolz sein? •



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