Kreuzberger Chronik
Februar 2021 - Ausgabe 226

Reportagen, Gespräche, Interviews

Streit um Privatbänke


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von Michael Unfried

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Als Günter starb, kauften die Angehörigen einen schmiede-eisernen Stuhl, passend zum historischen Geländer des Grabes, und platzierten ihn außerhalb der Einfassung. Da Günter sich stets eine »WG« gewünscht hatte, handelte es sich um ein Gemeinschaftsgrab, und natürlich stand Günters Stuhl auch Trauernden seiner neuen WG-Genossen zur Verfügung. Eines Tages war der Stuhl verschwunden, doch bei einem der Spaziergänge entdeckten Günters Töchter das gute Stück zufällig im Maschinenschuppen der Friedhofsgärtner. Sie händigten ihn anstandslos aus und gaben den Angehörigen darüber hinaus das Versprechen, eine Bank dort aufzustellen. Das war vor etwa zehn Jahren. Eine Bank steht dort noch nicht.

Katarina starb erst vergangenes Jahr. Henner Altevogt trug sie an einem dunklen Novembertag in strömendem Regen zu Grabe. Dreißig Jahre lang waren sie ein Paar, hatten jeden Tag dieser drei Jahrzehnte gemeinsam verbracht. Der Zurückbleibende kümmerte sich rührend um das Grab, pflanzte einen Olivenbaum, gestaltete den Grabstein, brachte ihr täglich Rosen, so, als lebte sie noch. Im Sommer stellte er eine Bank an ihr Grab. Kurz nach Weihnachten fand er an der Lehne eine Nachricht vor, der zu entnehmen war, dass die Friedhofsverwaltung ab 2021 keine Privatbänke mehr dulde. Tatsächlich waren wenige Tage zuvor einige Bänke abtransportiert worden.

Henner Altevogt schrieb an den Vorstand des Evangelischen Friedhofsverbandes: »Offensichtlich ließ vor kurzem die Verwaltung ohne Vorankündigung einige dort privat aufgestellte Bänke wieder entfernen. Nun ist zwar laut der entsprechenden Verordnung eine solche Aufstellung nicht genehmigt - einige der betroffenen Bänke standen aber bereits sehr lange (Jahrzehnte) vor Ort, sodass von einem stillschweigenden Einverständnis auszugehen war.«

Damit brachte Altevogt die Angelegenheit mit wenigen Worten auf den Punkt und fügte hinzu, dass er das »Vorgehen der Verwaltung für absolut unsensibel, - um nicht zu sagen - pietätlos« halte. »Insbesondere die erste Nacht- und Nebel-Aktion, aber auch die folgende Art der Bekanntgabe zwischen den Feiertagen mit einem impliziten Stichtag nicht einmal eine Woche später lassen keinerlei Absicht erkennen, die Angelegenheit angemessen und mit Rücksicht auf die Betroffenen zu regeln.«

Andere Bankbesitzer reagierten weniger diplomatisch und zeigten sich erschüttert und wütend. Da ist eine Mutter, die 2014 ihren 25jährigen Sohn verloren hat und eine Bank vor das Grab stellte, damit auch ihre Eltern, die längst über achtzig sind, ihren Enkel noch besuchen können. Und da ist die Frau, die ihren Mann verloren hat, mit dem sie 30 Jahre lang regelmäßig auf dem Friedhof gewesen war, bis er selbst starb. Keine der Betroffenen konnte verstehen, weshalb nach so vielen Jahren plötzlich alles anders werden sollte. Weshalb die Friedhofsordnung plötzlich wichtiger geworden zu sein scheint als Gottes Wort, das da sagt: Ehret die Toten. Die Verwaltung, so der entrüstete Tenor, solle sich schämen. »Wirklich schämen!«

Das tat die Verwaltung dann auch, als sie am 8. Dezember mit einem Antwortschreiben auf »die Vielzahl der Briefe und Telefonate in den vergangenen Tagen« reagierte und schrieb: »Wir möchten uns bei Ihnen allen für unser unangekündigtes Verhalten entschuldigen.« Die Verwaltung berief sich auf ein internes Kommunikationsproblem und versprach, die Bänke »dieser Tage wieder zur Abteilung zurückzubringen«, versäumte jedoch nicht, »bei dieser Gelegenheit auf die Problematik mit den privat aufgestellten Bänken« hinzuweisen.

Die Bänke seien marode und stünden den Maschinen der Gärtner im Wege. Der »Mehraufwand« sei »enorm«. Zudem sei das Aufstellen von Privatbänken mit der Friedhofsordnung nicht vereinbar. Deshalb bitte er darum, »die Anzahl der Bänke zu verringern«, und bot an, sich zusammenzutun, um »feste Bänke an abgesprochenen Plätzen aufzustellen.« Das »Zusammentun« implizierte auch das Zusammenlegen eines nicht unerheblichen Geldbetrages, den man für den Kauf friedhofsgerechter und friedhofseigener Bänke aufbringen müsse. Zuletzt schlug der Verwalter den Privatbankern einen Gesprächstermin vor: 18. Dezember um 10 Uhr beim Engel am Hauptweg.

Doch so versöhnlich der Engel am Hauptweg auch auf die kleine Frauenrunde herabblickte, die sich am 18. Dezember zu seinen Füßen versammelte: Es kam zu einer lautstarken Auseinandersetzung. Sätze wie »Dann zeigen Sie mir bitte erst einmal ihre Grabkarte« sollen gefallen sein und machen deutlich, wie verfahren die Situation bereits war. Immer wieder führten die Bankbesitzer an, wie wichtig die Bänke für die Trauernden seien. Die Verwaltung hielt dagegen mit Verordnungen, Verboten und Pflichten. Vor allem mit der Pflicht, für die »Verkehrssicherheit« sorgen zu müssen.

Die Sorge allerdings, es könnten »Menschen verunfallen« auf den einsturzgefährdeten Bänken, klingt wenig glaubhaft. Und die Erwähnung einer Dame, die sich beim Evangelischen Friedhofsverband über die Laufmasche in ihrer Strumpfhose beschwerte, für die ein rostiger Nagel in einer Bank verantwortlich gewesen sei, erscheint angesichts der Trauer um verstorbene Familienangehörige schlicht unverhältnismäßig und unangebracht. Gewichtigeren Einwänden wie etwa dem Vorwurf, die Privatbankbesitzer würden sich nicht um ihre Bänke kümmern und keine Rücksicht auf die Gärtner nehmen, widersprechen die Bankbesitzerinnen vehement. »Wir tauschen unsere Bank jedes Jahr gegen eine neue aus. Wir rechen das Laub und mähen den Rasen um das Grab, wenn die Maschine dort nicht hinkommt.« Eine andere fügt hinzu: »Mit den Gärtnern komme ich wunderbar klar.«

Tatsächlich ist die Mehrzahl der Privatbänke weder einsturzgefährdet noch hinterlässt sie einen ungepflegten Eindruck. Und wenn es Preise für die idyllischsten Grabstellen auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße gäbe, dann würden die Privatbankbesitzer diesen Preis gewinnen. Ungepflegte Gräber sind andernorts zu finden. Eine von Günters Töchtern hatte vor einiger Zeit eine Blume gepflanzt - sie wurde von den Gärtnern entfernt. Das Pflanzen von Blumen auf WG-Gräbern ist untersagt. Das Grab unterliegt der ausschließlichen Pflege der Friedhofsgärtner. Wer ein Vergissmeinnicht pflanzen möchte, muss ein teures Einzelgrab mieten.

Die Konflikte zwischen Grabbesitzern und Friedhofsverwaltung haben eine lange Tradition. Immer wieder war seitens der Ordnungshüter zu hören, dass Gräber keine Schrebergärten seien. Und dass es eine Friedhofsordnung gebe, weil es sonst nicht mehr lange dauern würde, bis Tomaten, Obstbäume und Hanf hier wüchsen und bis die ersten Lauben mit Liegestühlen zwischen Grabsteinen aufgestellt würden. Die Sorge ist nicht ganz unberechtigt, einige Grabbesitzer sehen in den zwei angemieteten Quadratmetern vor allem eine fruchtbare Scholle zum Gärtnern nicht weit vom häuslichen Wohnsitz.

Gesprächsstoff jedenfalls ist genügend vorhanden, und deshalb erschien auch Tillmann Wagner, der amtierende Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbandes, zum Gespräch unter dem Engel. »Wir haben das Ganze dann abgebrochen, das brachte nichts mehr. Unser Ziel war so etwas gewesen wie: Diese Bank ist ok, die kann stehen bleiben, und die da, die muss weg, die kippt bald um... Da hätte man dann eben eine neue Bank besorgen müssen, und wenn sich drei Parteien zusammentun und eine Bank kaufen, dann hätte ich von mir aus noch eine dazu gestellt. Das war mein Angebot. Aber den Damen ging es nicht um eine Sitzgelegenheit für alle, es ging ihnen um ihre ganz private Bank. Ich bin generell kompromissbereit, aber ich kann niemandem eine schriftliche Genehmigung geben, das erlaubt die Friedhofsordnung nicht.«

Nun weiß der mündige Bürger, dass in Hausordnungen und sogar in Gesetzbüchern festgeschriebene Regeln nie für die Ewigkeit sind und jederzeit überdacht und modifiziert werden müssen. Und es entspräche dem Geist der Zeit, die veralteten Verordnungen auf den Friedhöfen zu lockern. Das weiß auch der Evangelische Friedhofsverband. Wie sonst konnte er beschließen, die Friedhöfe künftig nicht nur für die Trauergemeinde zu öffnen: Ein Friedhofscafé durfte einziehen, Konzerte und Ausstellungen konnten in Kapellen und Wirtschaftsgebäuden stattfinden - vor zwanzig Jahren undenkbar, ebenso wie Mietwohnungen zwischen den Gräbern. All das sind Lockerungen der Ordnung, die streng genommen nur »friedhofsverwandtes Gewerbe« und dazu gehörendes Personal auf geweihtem Boden erlaubt.

Warum also, fragen die trauernden Frauen, ist man bei den Bänken so hartnäckig? Und warum bei den Gießkannen? Warum stört sich die Verwaltung an den kleinen blauen oder grünen Gießkannen, die Opis und Omis in den Büschen oder hinter Grabsteinen verstecken, damit sie die violetten Stiefmütterchen gießen können, die Ernst oder Hilde so gerne mochte? Und warum kann die Verwaltung nicht lächeln und nicken wie der Vater im Himmel über die Treue dieser Menschen, die stundenlang vor dem Grab ihrer verlorenen Liebsten sitzen?

Auch auf dem so genannten Friedhofspark der Bergmannfriedhöfe stand den Lockerungen der Friedhofsordnung nichts im Wege. Trampelpfade quer durch die Wiesenlandschaft waren ebenso möglich wie ein Bienenstock zwischen den Parkbänken. Auch das umstrittene Areal mit den Privatbänken hat längst parkähnlichen Charakter. Kein anderer Teil der Friedhöfe ist idyllischer, keiner so beliebt wie dieser, bei Touristen ebenso wie bei den Anwohnern und sogar bei jenen, die auf der Suche nach einer letzten Ruhestätte sind! Dieser Teil des Friedhofs hat Zukunft, er zeigt, wonach sich Hinterbliebene sehnen. Das macht das Verhalten der Verwaltung nur schwer verständlich. Tillmann Wagner entgegnet: »Es sind ganz einfach zu viele geworden. Jeder, der sich hier ein Grab aussucht, denkt, er kann sich nun auch seine Bank hier aufstellen.«

Doch im Moment geht es um 15 Bänke! Eine überschaubare Menge, die man tolerieren könnte. Doch es gibt da etwas, das Tillmann Wagner nicht tolerieren kann. Als er aus den Weihnachtsferien kam, fand er diese kleinen Zettel vor, auf denen mit der Entfernung der Bänke innerhalb von sieben Tagen gedroht wurde. Darunter standen sein Name und seine Kontaktdaten. Deshalb glaubten viele an ein offizielles Schreiben der Verwaltung, »aber das ist nicht von uns. Das haben andere verfasst. Und da hatte ich ganz schön schlechte Laune. Ich bin kompromissbereit - aber die Art und Weise, wie diese Leute hier Stimmung gegen uns machen, die gefällt mir nicht.«

Wagners Ärger ist verständlich. Dass er dennoch einen zweiten Gesprächstermin vorgeschlagen hat, ist ihm hoch anzurechnen. Er möchte den Konflikt lieber diplomatisch lösen. Doch die Chancen auf Erfolg sind gering. Zumal Wagner bereits unmissverständlich klar gemacht haben soll: Die Bänke müssen reduziert werden. •

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