Kreuzberger Chronik
Februar 2021 - Ausgabe 226

Mühlenhaupts Erinnerungen

Rosi in der Heide


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von Kurt Mühlenhaupt

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Rosi, die Wirtin vom Leierkasten, kennt ihr ja. Eines Tages stand sie vor meiner Tür und äußerte den Wunsch, mit mir in die Heide zu fahren.

»Du willst also ein paar Tage Urlaub machen?«, fragte ich, denn ich wußte ja, daß sie Berlin noch nie verlassen hatte. »Ja«, sagte sie, »ich weiß ja, wie es dort aussieht, du hast es oft genug von der Pralinenschüssel abgemalt. Ich will sie auch mal in Natura sehen.«

Sie quengelte so lange, bis ich zusagte.

Wir fuhren also beide hin. Erstmal durch die Mark Brandenburg. Auf den Autobahnbrücken, durch die wir fuhren, standen Menschen, die uns zuwinkten. Wir fühlten uns seltsam berührt.

Aber wir mußten weiter. Man durfte ja keinen mitnehmen. Nach dem Grenzübergang nahm die Landschaft langsam Farbe an. Birken standen an den Wegrändern. Sie verbreiteten eine seltsame Melancholie. Ich fuhr, bis wir in der Heide stecken blieben.

Rosi stieg aus, machte ein paar Schritte, breitete ihren Glockenrock um sich und setzte sich mitten ins Blütenmeer. Die Bienen schwirrten um sie herum. Das störte sie nicht, nein es gehörte alles mit dazu. Sie nahm es in sich auf. Ich aquarellierte eine Landschaft in rot, in der die Buchsbäume dunkel, fast schwarz umherstehen. Ich malte die Birken wie Mädchen in gold-silbrigen Kleidern und ließ Wolken darüber fliegen.

Schwere Steine lagen vor mir. Ich glaube, sie gehörten zu einem Hühnengrab.

Als ich zwei Stunden später nach Rosi sah, saß sie immer noch auf dem selben Fleck. Ich tippte sie an und fragte:

»Schläfst du?«

»Ich träume ein bisschen,« sagte sie.

»Willst du nicht ein bisschen spazierengehen?«

Sie schüttelte den Kopf und sagte:

»Nun weiß ich, was es mit der Heide auf sich hat. Ich meine, wenn du sie malst. Lass uns wieder nach Berlin fahren.«

Da wußte ich, daß es ihr für ein Leben lang reichte. Sie wollte zurück in die Steinwüste von Kreuzberg, wo sie zu Hause war!









Entnommen aus Kurt Mühlenhaupt, Rund um den Chamissoplatz, 1969 - 1975

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