April 2021 - Ausgabe 228
Kreuzberger
Kajo Frings Nichts zu sagen, aber viel zu erzählen.
von Jo Severin
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Wenn man Kajo eine Freude machen will, bringt man ihm entweder einen seltenen Tropfen eines sardischen Olivenöls, eine neue Pfeffersorte vom Alten Gewürzamt oder einfach eine Flasche guten Weines mit. Nach dem zweiten Glas wird er redselig. Nach dem fünften undeutlich. Aber dazwischen ist er ganz unterhaltsam. Zur Zeit kommt es nicht mal zum ersten Glas. Es ist Fastenzeit. Kajo Frings erzählt trotzdem. Dass er längst aus der Kirche ausgetreten sei, aber mit der katholischen Taufe sei es wie mit der Pockenimpfung: Es bleiben Narben, die nie wieder verschwinden. Außerdem sei er gerade dabei, die Räume seiner Anwalts- und Notarkanzlei für den Nachfolger zu leeren. Die NJW-Sammlung, gebunden seit 1954, die ihm sein Vorgänger 1982 überließ, wandert ebenso ins Altpapier wie die zwei Meter der »Dritten Auflage des Münchener Kommentars zum BGB«. Das einzige Buch, das er mitnehme, sei Fechner’s Lexikalisches Taschenbuch auf dem Gebiete der Gesetzgebung aus dem Jahre 1896. Eigentlich ende die Amtsstellung eines Notars mit dem letzten Tag des Monats, an dem der Amtsinhaber das siebzigste Lebensjahr vollendet, aber solange wolle er nicht mehr warten. Er erinnert sich noch an den Vortrag des Redners im Münchener Anwaltsverein, der die neuen Anwälte mit dem Ratschlag ins Berufsleben entließ: »Der eine beendet seinen Beruf mit 65, der andere stirbt während des Plädoyers. Beide Extreme sollte man vermeiden.« Und dann ist da noch die Erinnerung an das Zimmer im Dachgeschoss des Landgerichts in München, wo er zur Fertigung des Anwaltsausweises ein Foto machen lassen und seine Unterschrift hinterlegen musste. Der zuständige Beamte, ein selbsternannter Graphologe, meinte kritisch »Na ja, fängt ja schwungvoll an, wird aber gegen Ende ziemlich schwach. Sieht nicht gut aus für Ihre Laufbahn.« Rückblickend scheint ihm, dass das nicht die einzige Situation in seinem Leben war, die eine Trotzreaktion in ihm hervorrief und seinem Leben eine andere Richtung gab. Da war das erste Schuljahr und er wollte lesen lernen. Nach dem Mittagessen las sein Vater die Rhein-Sieg-Rundschau und Kajo versuchte, die Überschriften der Titelseiten zu entziffern, Buchstabe für Buchstabe, bis sich ihm die Wörter und Sätze und ihre Bedeutung enthüllten. »Das wird nie was«, meinte seine Mutter, aber ihr Sohn überzeugte sie vom Gegenteil, als der Lehrer aus der 3. Klasse den Kajo aus der 2. holte und den Älteren vorlesen ließ. Das verschaffte dem jungen Schüler Genugtuung und eine gehörige Portion Klassenkeile. Seitdem vermied er es, in der Schule als der Beste zu gelten. Befriedigend war ihm gut genug. Frings, ganz links, im Kreise der Familie - 1969
Aber dann wurde aus dem nicht mehr gläubigen Katholiken ein gläubiger Maoist, der sich als Co-Autor von Dem Volke dienen und bei der Roten Zelle Jura betätigte. Irgendwann ließ der Umfang der Strafverfahren es sinnvoll erscheinen, einer Exmatrikulation aus dem Wege und im Herbst 1974 an die LMU München zu gehen. Am 10. 0ktober fiel ihm auf einer Demonstration gegen den NPD-Parteitag eine junge Frau ins Auge, die sich gerade dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und der Gefangenbefreiung hingab; irgendein Demonstrant sagte »...typisch Trixi!« Jener Trixi drohte nun die Abschiebung nach Österreich, der sie nur durch eine Eheschließung mit einem deutschen Mann entkommen konnte. Und da war wieder: der Trotz. Wenn schon Heirat, dann aber richtig! Bei der Trauung sangen die Beatles »When I’m Sixty-Four« und »Will you still need me, will you still feed me?« Nachdem der Glaube an und die Hoffnung auf den Sieg des Proletariats endeten, begann Kajo Frings Texte für diverse Kabarettisten zu schreiben, darunter das Rationaltheater, die Lach- und Schießgesellschaft, die Lampenputzer oder die Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung, manchmal stand er sogar selbst auf der Bühne. Er versuchte sich an Chansontexten, einige von ihnen sind heute auf Schallplatten verewigt. Aber das Künstlerleben war nicht einfach, ein Besuch bei Konstantin Wecker scheiterte an dessen weiblicher Leibgarde, ein Gespräch mit Evelyn Künneke endete schrecklich: Die alte Dame brüllte ihn an, wie er es wagen könne, ihr einen Text anzubieten mit der Zeile »Ich wär gern Lola-Lola, wenn ich die Beine hätt«, schließlich hätte sie ja viel besser ausgesehen als die Dietrich, die ihr die Rolle der Lola im Blauen Engel abspenstig gemacht hätte. Man spürt Kajo heute noch die Enttäuschung an und die Scham ob seiner dummen Dreistigkeit. Erst Jahre später wurde ihm klar, dass Evelyn Künneke zu jener Zeit erst 9 Jahre alt gewesen und ihre Erinnerung 50 Jahre später auch nicht mehr die beste war. An seinem Arbeitsplatz - 2010
Und dann reichte ihm München. Wieso, warum, wird er vielleicht einmal an anderer Stelle erklären. Jedenfalls las er im Sommer 1982 eine Anzeige in den Neuen Juristischen Wochenzeitschrift: »Kanzlei in der Nähe vom Rathaus Kreuzberg abzugeben«. Am 1. November begann er in Berlin. Die Geschichten, die Frings seit 2016 über die »Kanzlei Hilfreich« schreibt, erzählen viel aus jenen ersten Jahren. Sie wohnten zuerst in der Schleiermacherstraße zwischen Menschen aller Herkünfte und Schicksale. Er wohnte nicht immer mit Frau und Tochter in einer Wohnung, aber es gab ein Familienleben, man erkundete Berlin und Umgebung von den Neuköllner Maientagen bis zum Plänterwald und zur Ostsee, samstagmorgens Winterfeldplatz. Es gab die langen Abende im Riehmers, die im Schwarzen Café und die im Diener, wo die Schauspieler lautstark über ihre Kollegen herzogen. Und es gab die autonomen Kneipen in Neukölln. Nur die Ecke um den Chamissoplatz blieb ein schwarzer Fleck, die Gneisenaustraße trennte die Milieus. Wie alle Berliner war er froh, dass er abends nach Verlassen der Kneipe »immer an der Wand lang« bis zur Haustür gehen konnte. Nebenbei sammelte er Geschichten über Schicksale von Menschen und Häusern, einige hat er, manchmal unter dem Pseudonym Alwin Singer, auch veröffentlicht. Und dann kam der Abend, als Trixi ihn ins Riehmers bestellte und ihm aus scheinbar heiterem Himmel bei einem Glas Wein eröffnete: »Ich habe Multiple Sklerose - aber nur in der leichten Form«. Doch bei der leichten Form sollte es nicht bleiben. Also zogen sie wieder zusammen, in eine Wohnung im renovierten KuKuck in der Anhalter Straße. Und begannen zu reisen, besuchten alte Freunde, die in Afrika oder der Dominikanischen Republik arbeiteten. Auf dem Rückflug blieben sie 3 Tage in New York, es war Januar und die Sonne schien und sie verliebten sich in diese Stadt. Für den Rechtsanwalt Frings tat sich mit dem Fall der Mauer ein neues Tätigkeitsfeld auf: Schon früh hatte er sich mit dem Wehrrecht befasst, jetzt wurde auch in Berlin einberufen, und Frings vertrat den ersten Angeklagten, der in Westberlin wegen Wehrpflichtentziehung vor Gericht stand. Anschließend wurde der Anwalt selbst wegen »Beihilfe zur Wehrpflichtentziehung« angeklagt. Als im August 1996 in der ZEIT ein Artikel mit dem Titel »Der angeklagte Anwalt« erschien, war Frings mit einem Mal prominent. Die Kanzlei florierte. Doch dann wurde das Höchstalter für Einberufungen von 28 auf 25 Jahre herabgesetzt, Frings sah seine Einkommensquelle versiegen. Da kam ihm abermals der Trotz zuhilfe. Er sattelte um und wurde zum Notar und Fachanwalt für Erb- und Familienrecht. In seinem Metier - 2016
Ein kleiner Mann, Rudi Giuliani, tönte »They will loose and we will win, cause they are wrong and we are right.« Der Chor der New Yorker Feuerwehr sang Star-Spangeld Banner, der Startschuss fiel und aus den Lautsprechern sang Frank Sinatra »New York, New York...«. Und dann 26 Meilen lang das Gefühl: »If I can make it there, I’ll make it anywhere«. 20 weitere Marathons folgten. Ob es am 7. November 2021 in New York noch einen Startplatz für Frings gibt, ist unklar. 1995 zogen sie in die Zossener Straße und reisten weiter, mit Rollstuhl und Wohnwagen, durch Frankreich, Italien, New Mexico, Kalifornien und Florida, flogen nach Bali, Singapur, Honkong und immer wieder nach Kuba; 2001 fuhren sie mit der Transsibirischen Eisenbahn von Berlin nach Peking. Wenns schwer wurde, erinnerten sie sich an das kleine Theater in Miami Beach, in dem Liza Minelli immer noch dem Leben trotzte: Sometimes I’m up and sometimes I’m down - But the world goes round... 2006 begann die letzte Phase des Lebens mit Trixi. Die behindertengerechte Wohnung im grünen Hinterhof der Fidicinstraße, tagsüber Anwalt, abends Hausmann, nachts Krankenpfleger. Zwischendurch Reisen mit Freunden: Malediven, Indien, Lateinamerika, Asien, mit Trixi noch einmal nach Kuba und New York, Istanbul und Tel Aviv. Doch dann kamen die epileptischen Anfälle, und Trixi wollte die Sixty Four nicht mehr abwarten und verabschiedete sich mit 63. Er reiste weiter. Mit der Tochter, Freunden, nach Myanmar, nach Apulien, und mit den Hurtigruten in die Antarktis. Jetzt wartet er auf die Impfung. Und auf das Essen und Trinken mit Freundinnen und Freunden in der Fichtestraße, in der Rudi Dutschke Straße, in Dierhagen. Das Mugaritz hat ja auch bald wieder auf. Dann wird er abends in den Himmel schauen, egal wo auf der Welt, und Klaus Hoffmann hören: »Das ist derselbe Mond wie über Berlin«. Manchmal, kurz vor dem fünften Glas, sagt er sich: »Ich hab zwar nichts zu sagen, aber viel zu erzählen.« So viel, dass es ein Buch füllen könnte. Einen Titel hätte er schon: Als im Februar 2003 in einem kleinen Magazin ein Porträt mit Trixi auf der Titelseite erschien, sprach ihn ein Passant auf der Gneisenaustraße an. Seine Frage lautete: »Sind Sie nicht das Herrchen von dem Hundchen von dem Frauchen mit dem Rollstuhl?« Die Antwort steht noch aus. • |