Kreuzberger Chronik
April 2021 - Ausgabe 228

Reportagen, Gespräche, Interviews

Feuer und Flamme für Kreuzberg


linie

von Eckhard Siepmann

1pixgif






Fangen wir doch ganz von vorne an. Aufrührerische Engel halten bekanntlich die Hölle am Laufen. Laut Goethes Faust II im 4. Akt ist dieser ungemütliche Ort der wahre Ursprung des Gases:

Die Teufel fingen sämtlich an zu husten,

von oben und von unten auszupusten;

die Hölle schwoll von Schwefelstank und -säure:

Das gab ein Gas! Das ging ins Ungeheure...

Entstammt das Gas aus der Hölle, so stammt sein Name aus dem Chaos. 1609 erkannte der niederländische Chemiker Jean Baptiste van Helmont, dass beim Verbrennen von Holz Kohlenstoffdioxid entsteht, und bezeichnete diesen »wilden Geist« als Gas – in Anlehnung an das griechische Wort »Chaos«, das unsere benachbarten Holländer noch heute ungefähr wie »Gas« aussprechen.

Die Geschichte der Berliner Gasbeleuchtung beginnt mit einem Sprung vom lichterschaffenden Schöpfungsakt Gottes zur Lichtverordnung des Großen Kurfürsten. Friedrich Wilhelm verfügte 1682 im Rahmen eines umfassenden Modernisierungsprogramms, dass jedes dritte Haus in Berlin turnusmäßig von seinen Bewohnern mit einer Lampe ausgestattet werden sollte, anzuzünden in den Abendstunden. Als die Bürger sich nicht wirklich angesprochen fühlten, verfügte der Herrscher die Errichtung von Pfählen mit ölgespeisten Laternen. Sie sollten nur in den Abendstunden brennen, und auch nur bei wolkenverhangenem Mond – denn diese Funzeln erreichten noch lange nicht die Helligkeit des Erdtrabanten. Wer aber sollte die Versorgung der Lampen mit Öl übernehmen, das Anzünden und Löschen?


Protest in den Neunzigern: "Gaslaternen müssen bleiben!" (Photo: Christoph Petras)
So wurde der Beruf des Laternenanzünders geboren. Und wenn dieser Laternenanzünder nach getaner Arbeit zu Bett ging, trat der Nachtwächter auf den Plan. Er hatte neben der Zeitausrufung unter anderem dafür zu sorgen, dass den Laternen »von muthwilligen Frevlern und betrunkenen Leuten kein Schaden zugefügt« wurde. Der schlecht bezahlte Mann trug einen Bund mit hundert Schlüsseln bei sich. Wer aus erotischen, Vergesslichkeits- oder Diebstahlgründen nächtens Zutritt zu einem Haus begehrte, war gegen ein gutes Trinkgeld bei diesem Nachtwächter an der richtigen Adresse.

Die Beleuchtung des 17. und 18. Jahrhunderts diente vor allem der Sicherheit auf den nachtdunklen, von allerlei Gesindel bevölkerten Straßen. Es waren jedoch nicht nur lichtscheue Tunichtgute, denen die Laternen ungelegen kamen und die ihrer Helligkeit mit Steinwürfen zuleibe rückten, woraufhin sie mitunter von den Nachtwächtern dem Pranger ausgeliefert wurden. Die Laternenzerstörung war auch ein Akt des Aufruhrs der Opposition gegen die Autorität. Das Auslöschen des Lichtes hatte symbolischen Charakter und stand für das Auslöschen von Herrschaft. Während der 1848er Revolution wurden in Wien zahlreiche Gaslaternen zerstört, »das ausströmende Gas«, so ein zeitgenössischer Bericht, »flammte mannshoch auf und machte die Nacht zum Tag.« Auch während der Terrorherrschaft nach der Französischen Revolution von 1789 hatten sich die Umstürzler den Straßenlaternen zugewandt. Mordlustig sangen Arbeiter und Kleinbürger: »Die Adeligen an die Laterne! Wir werden sie aufknüpfen!« Und sie beließen es nicht beim Singen.

Die Kreuzberger betraf das alles noch nicht. Wo heute Kreuzberg liegt, befand sich damals noch Weide- und Ackerland, eine einsame Gegend zwischen Tempelhof und der Berliner Stadtmauer. Doch hier, in der Nähe des Halleschen Stadttores, entstand 1826 die erste Gas-Erleuchtungsanstalt – die Großmutter der heutigen GASAG. Stück für Stück, Straße für Straße wurden die zwielichtigen Öllampen durch Gaslaternen ersetzt.

Die Modernisierungen des 19. Jahrhunderts machten vielen Berufen den Garaus – nicht aber dem des Laternenanzünders. Die zu Mitleid und Spott einladende Gestalt dieses Mannes fand bald Einlass in die Künste, sogar der singende Seemann Freddy Quinn nahm sich seiner an. Wahrhaft unsterblich aber wurde ein Kollege des Laternenanzünders: der Lampenputzer. Der Schriftsteller Erich Mühsam, der sich als »anarchistischen Kommunisten« sah, machte seiner Abneigung gegen die SPD 1907 in einem Gedicht Luft, das den Abschied dieser Partei vom revolutionären Kampf aufs Korn nimmt: War einmal ein Revoluzzer, / im Zivilstand Lampenputzer, / ging im Revoluzzerschritt / mit den Revoluzzern mit / sie vom Boden zu entfernen, / rupfte man die Gaslaternen / aus dem Straßenpflaster aus, / zwecks des Barrikadenbaus.

Archiv Kreuzbergmuseum
Doch das ging unserem Revoluzzer total gegen den Strich:

Laßt die Lampen stehn, ich bitt! / Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit! / Doch die Revoluzzer lachten, / und die Gaslaternen krachten, / und der Lampenputzer schlich / fort und weinte bitterlich.


Das Flehen des Lampenputzers nutzte nichts: Am 29. April 1925 wurde in Friedrichshain die letzte Berliner Gaslaterne noch von Hand angezündet. Die Fernzündung des Laternengasnetzes per Druckwelle bereitete dem Mythos Laternenanzünder ein Ende.

Knapp 100 Jahre später läutet auch für die Gaslaternen das Totenglöckchen. 2011 wird der Entschluss gefasst, die damals noch rund 44.000 Gasleuchten durch energiesparende LED-Lampen zu ersetzen. Zu teuer seien die alten Lampen, so heißt es, zu umständlich und noch dazu umweltunfreundlich! Energieverschwendung, CO2-Produktion satt, so tönt der Senat. Die Gegner halten dagegen: »Eine Lachnummer. Unsere Gaslaternen sind mit 0,2 Prozent an den städtischen CO2-Emissionen beteiligt. Um diesen Wert zu halbieren, werden zig Millionen Euro mit umstrittenen Lichtquellen verpulvert und Kulturgut vernichtet.« Gleich mehrere Vereine wie ProGaslicht e. V., Gaslicht-Kultur e. V. und Denk mal an Berlin e. V. kämpfen deutschlandweit für den Erhalt der Gaslaternen und ihrer Poesie. Sie sehen in dem Abbau eine unselige Parallele zu der Entstuckungsmanie, der bis 1979 allein in Kreuzberg der Schmuck von etwa 1400 Gründerzeit-fassaden zum Opfer fiel.

Doch der Abbau hat begonnen, einige der historischen Lampen von der Spree schmücken inzwischen die Karlsbrücke in Prag. Verschont bleiben nur wenige denkmalgeschützte Areale und Tourismus-Hotspots – darunter auch die Gegend um den Chamissoplatz, wo sich noch das Modell der Städtischen Gaswerke von 1892/93 mit seinem mundgeblasenen Glas findet, dessen Gestaltung auf Preußens Stararchitekten Karl Friedrich Schinkel zurückgeht.

Und schon kündigt sich die nächste Erneuerung an: Die E-Laterne. Die intelligente Beleuchtung für die smarte Stadt! »Bewegungssensoren, Übermittlung von Verkehrs- und Wetterdaten, zentrale Lichtmanagementsysteme, E-Ladestationen, offenes WLAN, Notruffunktionen, Parkplatzanzeigen transformieren die Leuchtmasten zu Infrastruktur-Säulen der Smart Cities«, so tönt das Zukunftsmagazin Innovisions. Doch es scheint nicht allen zu gefallen, wenn Kreuzberg immer berechenbarer und damit auch immer traumloser wird. In einer Nacht im Juli 2019 standen am Chamissoplatz zehn Autos in Flammen, Rauchwolken stiegen in den Himmel. Die Hitzeentwicklung war so gewaltig, dass in den anliegenden Erdgeschosswohnungen Fensterscheiben zersprangen.

Der Prozess, in dessen Verlauf Kreuzberg und sein Mythos zusehends schaler und blasser werden, kann durch Flamme und Feuer nicht aufgehalten werden. Da hilft kein Maler Mühlenhaupt mehr, kein Baustadtrat Orlowsky und auch keine brennenden Personenwagen. So entsteht ein modernes Kreuzberg für neue, andersfühlende Generationen - beleuchtet von alten Gaslaternen. •

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg