April 2021 - Ausgabe 228
Mühlenhaupts Erinnerungen
Humpelbein von Kurt Mühlenhaupt |
Horst Becker war ein einsamer, alter Mann und stand nach seiner Verwundung, die er sich während des Krieges zuzog, nur noch auf einem Bein. Als Kriegsversehrter hatte er ein Recht auf einen Arbeitsplatz und war sozusagen unkündbar. Darum hatte er eine sitzende Beschäftigung, eine sehr langweilige! Denn es waren immer die gleichen Bewegungen, die er in der Materialprüfung zu tätigen hatte. Die gesunden Arbeitslosen holten sich ihre Stütze vom Arbeitsamt und amüsierten sich in der Stadt. Er konnte sich nicht vor der Arbeit drücken. Dafür hatte er aber ein paar Mark mehr in der Tasche und konnte im Leierkasten sitzen. Dort spendierte er allen ein paar Bier und hatte viele Freunde. Irgendwann sprang er dann nachts auf Krücken nach Hause. Von seinem verdienten Geld blieb auch was übrig. Und er schmückte seine Wohnung mit Bildern. Ja, er hatte sogar einen echten Sammeltrieb. Ich malte gerade ein riesengroßes Bild vom Rudi Lesser, wie er mit seinem Hündchen in Kreuzberg spazieren geht. Dieses Bild hatte es ihm angetan. Er kaufte es, weil er es so wunderbar fand, daß jemand mit seinen eigenen Beinen herumlaufen kann. Aber er hatte damit Pech, denn es war so groß, daß es nicht in seine Wohnung paßte. Das machte ihm aber nichts aus, und so hing es mal bei dem einen Freund und mal bei dem anderen, die er dann ständig besuchte. Zwischendurch hing es auch der Kunsthalle, damit alle was von haben. Nur bei ihm, dem Leihgeber Horst Becker, hing es nie. Entnommen aus Kurt Mühlenhaupt, Rund um den Chamissoplatz, 1969 - 1975 |