September 2020 - Ausgabe 222
Reportagen, Gespräche, Interviews
Off-Theater nach dem Off-Modus von Michael Unfried |
Kreuzberg war berühmt für seine Hinterhoftheater. Das Theater am Ufer, das BKA, das Mehringhoftheater, das Theater im Bergmannkiez und nicht zuletzt das Garn-Theater von Adolfo Assor: Es ist still um sie geworden in diesem Sommer. Der 14. März 2020. Das Mehringhoftheater, in dem die legendären Drei Tornados ihre ersten Salven auf die Republik abschossen, wird geschlossen. Auch die drei Häuser des Hebbel-Theaters mit dem großen Saal an der Stresemannstraße und den ehemaligen Hinterhof-Theatern am Halleschen und am Tempelhofer Ufer haben schließen müssen. Ebenso das BKA, das Ratibor-Theater mit den Gorillas, das Theater Thikwa, das Englische Theater und das Theater im Bergmannkiez - alle traf im Frühjahr der Saison dasselbe Schicksal. Sie mussten schließen und monatelang auf die Erlaubnis zur Wiedereröffnung warten. Jetzt ist die Zeit des Wartens vorüber, der Vorhang geht wieder auf. Am 19. August öffnete das ehrwürdige Gebäude des Hebbel- Theaters in der Stresemannstraße seine Türen, um Senator Lederer und geladene Gäste einzulassen. Man feierte die Auferstehung nach der Corona-Agonie mit dem traditionellen Tanz im August. Das Programm auf der Website des Theaters unterschied sich auf den ersten Blick kaum von dem vorhergegangener, gesünderer Jahre. An zehn Festivaltagen, so wurde angekündigt, wolle man »in einer Special Edition (...) Veranstaltungen online und im öffentlichen Raum« zeigen und »verschiedenste Stimmen der zeitgenössischen, internationalen Tanzwelt zusammen bringen.« Erst auf den zweiten Blick erschließt sich, dass das diesjährige Festival vornehmlich aus »Filmen und Texten, die auf der Website von Tanz im August zugänglich sein werden« besteht, und dass tatsächlich nur »zwei Produktionen im öffentlichen Raum« stattfinden werden. So versucht die Branche weiterzumachen, als wäre nichts geschehen, indem sie ihren Zuschauern per Livestream suggeriert, es sei alles wie zuvor. Doch Theateraufführungen beginnen nicht im heimischen Sessel. Theaterbesuche beginnen mit dem Sektglas im Foyer, mit dem erwartungsvollen Füßescharren in den Rängen, mit der plötzlich eintretenden Stille beim Erlöschen des Lichtes und mit dem Aufbrausen oder dem nur zaghaften Einsetzen des Applauses. Der Reiz der Bühne liegt im Unvorhersehbaren, im Nicht-Planbaren. Theater ist das genaue Gegenstück zu jener zensierten, zurechtgeschnittenen und zweidimensionalen Bilderflut auf den Bildschirmen, der wir tagtäglich ausgeliefert sind. Auch das BKA unter dem Dach an der Ecke zur Yorckstraße schloss im März die Türen, versuchte aber, seine Künstler in dieser Zeit online zu präsentieren, um nicht ganz in Vergessenheit zu geraten. Schon drei Tage nach der Schließung waren die ersten Bilder der Berliner Stammkünstler des Theaters unterm Dach per Livestream zu sehen. Unter dem Motto »Im BKA brennt noch Licht« verwandelte man innerhalb kürzester Zeit das Theater in ein Filmstudio. Der Technische Leiter und die Crew um Ades Zabel & Co waren nicht unerfahren im Umgang mit Kameras, anders als die meisten anderen Bühnen hatte das BKA schon vor der Schließung sein Stammpublikum hin und wieder mit Livestreams auf dem Laufenden gehalten. Dementsprechend groß war die Resonanz, in den Zeiten der Ausgangssperre gab es Abende, da waren 3000 virtuelle Besucher zu Gast im BKA mit seinen knapp 250 Sitzplätzen. Überraschend groß war auch die Spendenbereitschaft, »es gab tatsächlich Leute, die Angst um unser Theater hatten!«, erinnert sich Uwe Berger. Die Spendeneinnahmen teilte das Theater mit seinen Hauskünstlern, die es ohne Livestream und ohne öffentliche Auftritte deutlich schwerer gehabt hätten. Jurassica Parka, einer der Stars des Dachboden-Theaters am Mehringdamm, trat gleich alle zwei Wochen mit einem neuen Programm vor die Kamera und ist damit äußerst erfolgreich. Anfang Juli ging dann auch das BKA in die Sommerpause um sich auf das Reopening-Festival vorzubereiten, dem seit dem 22. Juli wieder bis zu 100 Zuschauer live beiwohnen dürfen. In der Pressemitteilung dazu hieß es: »Nach knapp 60 Livestreams ist nun die Zeit gekommen, in der das BKA aus der virtuellen Theaterwelt wieder behutsam in die – vorerst neue – Normalität gleiten darf, um dann hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft wieder voll im Rampenlicht zu stehen.« Auf Grund der virtuellen Besucherzahlen aber wird das BKA künftig auf einige Livestreams kaum mehr verzichten wollen. Im Ratibor-Theater, einem der letzten authentischen Hinterhoftheater Kreuzbergs, treten die Gorillas bereits seit Anfang Juli wieder in Aktion. Dafür haben sie die Bühne durch eine Plexiglasschreibe vom Zuschauerraum getrennt, der direkte Kontakt zum Publikum, das den Improvistaions-Schauspielern Stichworte zuwerfen muss, ist nur noch über das Mikrophon möglich. Auch wenn sich sowohl die Gorillas als auch das Publikum am Anfang jeder Vorstellung noch wie im Terrarium eines Zoologischen Gartens oder im Vernehmungszimmer eines Tatorts fühlen, - wenn die Spieler erst einmal in ihrem Element sind, wird die Trennscheibe schnell unsichtbar. Um die Krise zu überstehen, haben sich Restaurants, Geschäfte und auch einige Bühnen zum »Lieblingsort« erklärt und die Kiezkundschaft um Spenden gebeten. Nicht immer waren diese Orte echte Lieblingsorte, im Gegensatz zum Theater im Bergmannkiez, das sich in kürzester Zeit eine stattliche Fangemeinde eingespielt hat. Daniel Wagner und Anna Fregin von der kleinen Hinterhofbühne in der Fidicinstraße haben auch nicht einfach die Hand aufgehalten, sie haben sich etwas einfallen lassen. Seit das Puppentheater geschlossen ist, treten ihre Protagonisten als »Bergmannfreaks« vor die Kamera und unterhalten das Publikum mit kleinen Sketchen im Internet: Plum, der Bär, nörgelt herum, weil er kein Puppentheater spielen darf, weshalb Anneliese, die Katze, vorschlägt, doch einfach weiterzuspielen, zuhause, vor der Videokamera, mit den Kindern des Puppenspieler-Ehepaars. Aber der Bär ist skeptisch, so ganz ohne Publikum und Bühne? »Das ist doch langweilig!« Auch ein Jäger, der auf der Suche nach Schneewittchen zufällig vorbeikommt, nörgelt herum: »Im Video, das wirkt doch gar nicht, manmanman....«, und geht kopfschüttelnd wieder ab. Aber Bär und Jäger irren. Es wirkt. Die kleinen Puppen verlieren auch vor der Kamera nichts von ihrer Vitalität. Die Bergmannfreaks gehören, trotz minimaler Produktionskosten und überschaubarem Zeitaufwand, in eine Reihe mit Käpt´n Blaubär und den Stars aus der Sesamstraße. Das hat auch eine Filmproduzentin erkannt, kurz entschlossen ein Team zusammengestellt und mit den Bergmannfreaks einen zehminütigen Pilotfilm gedreht. Derzeit liegt das Projekt auf den Schreibtischen verschiedener Fernsehsender. Sollte es klappen, dann wäre das Theater im Bergmannkiez erst einmal gerettet. Ansonsten müssen die Bergmannfreaks eben noch ein paar Heimvideos drehen, inzwischen ist schon die 9. Folge im Netz. Eine der Zuschauerinnen schrieb: »Ich liebe die Bergmannfreaks und freue mich schon, sie live im Theater zu erleben.« Das könnte noch eine Weile dauern, aber die Miete läuft weiter, weshalb die Theatermacher schreiben: »Eigentlich müssten wir sofort kündigen. Wir wollen aber noch nicht aufgeben und hoffen auf Hilfe von Außerirdischen - oder von Euch.« Auch Adolpho Assor vom Garn-Theater in der Katzbachstraße gibt nicht einfach auf: »Ich habe schon viele Theaterkrisen erlebt. Aber ich spiele noch!« Tatsächlich trotzt der Mann seit über dreißig Jahren allen Unbilden des Theaterlebens und spielt, wenn es sein muss, auch für vier Zuschauer. Sein Garn-Theater ist ein Einmann-Unternehmen, Assor spielt Theater wie ein Bäcker Brötchen backt und ein Tischler Tische baut. Er geht zur Arbeit, täglich, pünktlich. »Diese Schauspieler, die drei Wochen drehen und dann ein halbes Jahr lang nichts tun... - die kann ich nicht ernst nehmen. Ich bin ein konsequenter Schauspieler.« Assor öffnet jeden Tag pünktlich um halb Neun die Kellertür im Hinterhof der Katzbachstraße. Er spielt »aus Leidenschaft«, nicht aus Berechnung. Doch im Frühjahr des Jahres 2020 spielte auch Adolpho Assor nur noch einmal in der Woche. Zwar kann das Garn-Theater auch mit wenigen Zuschauern überleben, aber »es kam einfach gar niemand mehr. Gar niemand!« Die aufgezwungene Kurzarbeit brachte Assors gesamten Spielplan durcheinander. Es wurde schwierig, trotzdem verzichtete Assor auf den staatlichen Corona-Zuschuss und verzieht nur noch den Mund, wenn er davon hört: »Ich habe keine Lust, die Hand aufzuhalten. Ich möchte selbstständig sein.« Assor ist ein Überzeugungstäter. Selbst wenn »die kleinen Theater alle verrecken« sollten, er wird weitermachen. Schon seit März steht Das Beruhigungsmittel von Beckett auf seinem Programm, ein Titel, der gut passt in diese unruhige Zeit des Wartens auf ein Ende der Krise, von der keiner sagen kann, wie lange sie noch dauern wird: einer Zeit des Wartens auf Godot. Im Keller-theater wird diese Zeit nächstes Jahr ein sicheres Ende haben. Dann wird Godot erscheinen. In einem Stück von Juan Radrigan, einem Landsmann des Chilenen vom Kellertheater. Assor hat bereits den »Bericht für Gleichgültige« und »Der Verrückte und die Traurige« von Radrigan ins Deutsche übersetzt, zur Zeit arbeitet er emsig an seinem Text über »Beckett und Godot.« Das Stück wurde in Chile bereits einmal erfolgreich inszeniert, mit zwei alten Männern in den Hauptrollen. »Aber ich bin noch nicht sicher, ob Godot unbedingt ein alter Mann mit langem weißen Bart sein muss. Es könnte auch eine junge Frau sein, auf die Beckett wartet, oder ein junger Mann. Wer soll das wissen?« Ein alter Mann allerdings wird sicher auf der Bühne stehen: Adolfo Assor als Samuel Beckett. Über all das denkt Assor nach. Jeden Tag. Nicht über Corona. Nicht über leere Kassen. Es geht im Leben nicht um die Kasse. Es geht um Beckett. Und Godot. • |