Kreuzberger Chronik
Oktober 2020 - Ausgabe 223

Kanzlei Hilfreich

Hilfreich und die Gemengelage


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von Kajo Frings

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Jens Hilfreich hatte es sich zum Prinzip gemacht, in Rechtsstreitigkeiten von Freunden einen Kollegen zu empfehlen. Er war gerne als Freund tätig, aber nicht als Anwalt. Gisela und Günther Wagner waren ein ansehnliches Paar in den 80er Jahren: er Chirurg im Krankenhaus am Urban, später mit eigener Praxis am Kurfürstendamm, Gisela kümmerte sich um die Kinder.

Gisela hatte eine »beste Freundin«, nämlich Ulrike, die in noblen Arzt- und Anwaltspraxen die Buchhaltung machte. Ulrike fielen in Günthers Steuerunterlagen Belege aus dem Alten Zollhaus auf, wo er in Begleitung von Frauen aus einer Kanzlei am Tauentzien zu Abend speiste. Da Ulrike auch am Tauentzien die Buchhaltung machte, fand sie dort auch die von Günther gezeichneten Spesenbelege für nächtliche Arbeitsbesprechungen in teuren Hotels. Ulrike dachte: »Freundschaft geht vor Schweigepflicht«, und erzählte alles brühwarm Gisela. Und so kam diese weinend zu Jens Hilfreich. »Mit mir geht er nie so teuer essen, das ist sooo ungerecht!« - »Und was soll ich machen?« fragte Jens. »Von einer Scheidung würde ich ihm abraten, weil so was wie dich kriegt er doch nie wieder. Dir würde ich aber auch abraten. Günthers Eltern haben doch dieses Häuschen in München, in 20 Jahren ist das richtig was wert. Ich rede mal mit Günther.«

Das Ergebnis: Günther suchte sich eine neue Buchhalterin und Gisela erhielt eine Diners Club-Card mit einem monatlichen Limit von 2000 DM. Sie hatten zwar jetzt getrennte Schlafzimmer, aber der Kinder wegen noch dieselbe Wohnung. Und Gisela bestritt mit der Club-Karte die Abende in der Haifischbar und die Reitstunden in Lübars.

Günther schaute gelegentlich auf die Kartenabrechnung und war zufrieden. Doch irgendwann tauchte eine Zahlung an einen Herren-Maßschneider auf oder eine Flasche Söhnlein für 120 Mark. Wutentbrannt lief er zu Jens. Er sei nicht bereit, auch noch einen ihrer Lover zu finanzieren.

Jens redete mit Gisela. Der war alles furchtbar peinlich. Sie habe da einen Mann kennengelernt und wollte auch mal fühlen, wie das so ist, wenn frau fremdgeht. Ja, sie hatte dem mal die Pin der Kreditkarte genannt. Eines Abends ging sie mit ihm ins Hotel und wachte am anderen Morgen ohne ihn und ohne Diners-Karte wieder auf. Und sah beide nie wieder.

»Okay« sagte Jens, »die Karte wird gesperrt, das ist einfach, aber wie geht’s mit dir und Günther weiter? Einverständliche Scheidung oder Zusammenleben mit Gütertrennung? Jedenfalls bekommst du als Ausgleich des Zugewinns ein Reitpferd. Das lässt sich nämlich allein durch die Kraft der Oberschenkel dirigieren.«

Gisela und Günther haben sich irgendwie arrangiert und treffen sich nun gelegentlich anlässlich der Taufen ihrer Enkelkinder. •


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