Kreuzberger Chronik
Oktober 2020 - Ausgabe 223

Hausverbot

Tevfik, Birol und die Zechpreller


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von Michael Unfried

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Tevfik ist mit seiner kleinen Bar schon lange in der Straße. Seine Gäste kommen herein, grüßen oder setzen sich schweigend an den Tresen, trinken ihren Kaffee oder ihr Bier, reden oder reden nicht, jeden Tag, »wie eine richtige Familie!«, sagt Tevfik, der Wirt mit dem märchenhaften Bart, der Baskenmütze und dem verschmitzten Lächeln.»Ich habe mich an meine Gäste gewöhnt!«. Auch wenn sie manchmal nerven.

So wie Birol. Das Faktotum der Oranienstraße. Jeder kennt den Mann mit den Stickern am Hut. »Den hab ich schon 120 Mal rausgeworfen. Wenn er reinkommt, zeige ich ihm mein Handy, stelle 10 Minuten ein, und wenn es dann piepst, steht er auf und geht.« Meistens jedenfalls. Manchmal fängt er auch an zu verhandeln. Dann redet er vollkommen wirres Zeug, ohne Punkt und Komma. Stundenlang. Irgendwann sagt Tevfik dann: »Du, Birol, ich verstehe Dich nicht, und du verstehst, dass ich dich nicht verstehe. Drum lass uns das doch bitte jetzt abbrechen.« Dann antwortet Birol: »Klar, Tevfik, Du musst das nur deutlich sagen, dann verstehe ich das auch.« Und verlässt friedlich das Lokal.

Meistens. Wirklich rausgeworfen hat Tevfik noch niemanden. Nicht einmal dieses junge Pärchen, das mittags im Café IchOrya auftauchte, als es noch ziemlich leer war. Sie bestellten, setzten sich und beschäftigten sich mit ihren Handys, still und unauffällig. Eine ganze Weile. Aber dann plötzlich springt das Mädchen auf und rennt hinaus. »Ich wusste zuerst gar nicht, was passiert war, aber als er ihr dann hinterherlief und sich umsah, als hätte er gerade eine Bank ausgeraubt - dabei hatten die nur zwei Cola getrunken! - verstand ich, dass sie die Zeche prellen wollten.«Tevfik verzichtete auf die Verfolgung, aber dann sah er, dass sie bei der hektischen Flucht ihre Tasche vergessen hatte. Darin entdeckte er eine ziemlich teure Kamera.

»Es dauerte nicht lange, da sehe ich, wie die zwei draußen vor dem Laden herumschleichen. Irgendwann kam er rein: Ähem - wir haben vergessen - zu bezahlen...« - »Stimmt!«, sagte Tevfik, »macht 6.80!« Der Junge zahlte und legte noch bisschen Trinkgeld dazu. Als Tevfik sich wieder seinen Gläsern zuwandte, wurde der Junge nervös: »Sagen Sie, haben Sie nicht vielleicht so eine Tasche hier gefunden?« - »Eine Tasche? Was für eine Tasche denn?« - »So eine Plastiktasche...« - »Ne, tut mir leid! Ich habe keine Tasche gesehen...«

Tevfik amüsiert sich heute noch, »den hab ich richtig leiden lassen«. Und als er ihm dann endlich die Tasche gab, wollte der Zechpreller vor lauter Dankbarkeit gleich noch zwei Cola bestellen. »Die zahle ich auch gleich!« Aber Tevfik schüttelte nur den Kopf und lächelte freundlich: »Bei mir bekommt ihr nix mehr!« •

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