Kreuzberger Chronik
November 2020 - Ausgabe 224

Geschäfte

SirPlus


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von Anna Prinzinger

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Der in der Bergmannstraße eingezogene Supermarkt SirPlus gehört zur guten Sorte der Supermärkte, nämlich zu den sogenannten »Rettermärkten«. Wie man schon am Namen erahnen kann handelt es sich um eine Supermarktkette, die »gerettete« Produkte verkauft. Damit sind Lebensmittel der Großhändler gemeint, die aufgrund ihres Aussehens, ihrem nahe liegenden oder bereits überschrittenen Mindesthaltbarkeitsdatum nicht verkauft, sondern nur noch gespendet oder weggeworfen werden können. Diese geretteten Lebensmittel werden in so genannten Rettersupermärkten weiterverkauft oder zu hauseigenen Produkten wie zum Beispiel Pasten verarbeitet.

Die Rettersupermärkte kämpfen also gegen die Lebensmittelverschwendung und setzten sich für den Verbrauch aller hergestellten Lebensmittel ein. Deshalb gehören sie zu den Guten in dieser Gesellschaft.

Klein und niedlich aber sind auch diese Guten nicht. SirPlus ist bis jetzt zwar nur in Berlin ansässig, verfügt aber schon über fünf Läden. Darunter eben auch die Filiale in der Bergmannstraße, welche nun anstelle des Edel-Feinkostgeschäfts Lindner, das nach wenigen Monaten die Dependance in der teuren Bergmannstraße wieder aufgeben musste, schräg gegenüber der bösen Markendiscounter Netto und Edeka in der Bergmannstraße eingezogen ist.

Damit auch jedem klar ist, dass hier die Guten sitzen, tragen die Mitarbeiter T-Shirts mit der Aufschrift Retter Team, darunter prangt eine Zeichnung von glücklich lachendem Gemüse. Beim Kassieren wird gesummt und beim Einräumen fröhlich laut vor sich hingezählt. Die Verkäufer tragen mal Piercings, mal Kopftücher, mal haben sie Haare und mal keine auf dem Kopf.

Auf das Lob einer Kundin, sie fände die ganze Idee mit dem Retten der Lebensmittel und die Arbeit des Supermarkts sehr toll, kommt allerdings nur ein bescheidenes »Dankeschön« zurück.


Der Laden ist klein, er besteht quasi nur aus einem kleinen Rundgang und schon ist man bei der Kasse angelangt. In Corona-Zeiten etwas problematisch, da mit ein bis zwei Mitarbeitern der Raum schon gut gefüllt ist. Es läuft keine Mainstream Musik aus den Charts sondern unterschiedlichste Genres.


Das Geschäft besuchen junge Mütter mit Kindern auf dem Arm und dem dazugehörigen Wagen an der Hand, ältere Hippies mit Sandalen an den Füßen und langen, zum Zopf gebundenen grauen Haaren, ebenso wie junge Studenten mit schwarzen Zöpfen und schweren Docs, also Dr. Martens an den Füßen, die sie auch im Sommer tragen. Hier versuchen alle, dem kapitalistischen System der großen Markendiscounter zu entkommen. Und damit auch dem Stress. Die Kunden des Rettersupermarkts sind entspannt.

Auf ein »Sorry für die Verzögerung« der Verkäuferin wird mit einem lockeren »Neenee... - überhaupt kein Problem, is kein Thema« geantwortet. Es wird sich Zeit genommen und einfach mal das Sortiment begutachtet, denn obwohl der Supermarkt klein ist, bietet er doch eine Bandbreite verschiedenster Produkte an, vor denen man sich einige Minuten lang interessiert aufhalten kann. Zumal neben den »geretteten« Lebensmitteln auch Holzzahnbürsten, Fleckenreiniger oder Desinfektionsmittel mit noch lange nicht überschrittenem Ablaufdatum angeboten werden.

»Schon ein bisschen unnötig...«, sagt eine junge Frau, die lachend vor einem der Regale steht und zwei sauber in Plastik verpackte Brotscheiben in der Hand hält. Dann überlegt sie es sich anders und greift zu den größeren Packungen mit mehreren Brotscheiben. Damit es sich auch lohnt. Für die eigene Geldbörse und natürlich auch für die Umwelt. Man muss also schon ein bisschen aufpassen, auch bei SirPlus, denn die Preise variieren auf etwas seltsame Arten und Weisen, von wirklich sehr günstigen Angeboten bis hin zu wirklich überteuerten Diätprodukten und Schlankmachern.

Ob der Erlös, den die Rettersupermärkte machen, mit der Miete tatsächlich aufgebraucht ist, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall gibt es mehrere ehrenamtliche Mitarbeiter, die auf einen Lohn verzichten. Möglicherweise vermietet der ehemalige Butter-Verkäufer Lindner das Geschäft auch zu günstigen Konditionen, die Lebensmittel allerdings erhält SirPlus unentgeltlich. Und so schwebt auch bei SirPlus stets die Frage im Raum, ob es nicht auch hier, ebenso wie in den konventionellen Bio-Märkten, weniger darum geht, die Welt zu retten, als darum, Profit zu erwirtschaften.

Nicht anzweifelbar ist dagegen die wachsende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und Produktionsmethoden in unserer Gesellschaft. Weshalb damit zu rechnen ist, dass die Branche der Lebensretter weiter anwachsen und SirPlus weiter expandieren wird. Denn an der Grundidee, überschüssige Lebensmittel nicht einfach zu entsorgen, sondern zu verbrauchen, ist nichts auszusetzen. Dass bei ihrer Umsetzung der Geschäftssinn womöglich die Oberhand gewonnen hat, werden die neu hinzugezogenen Kreuzberger angesichts der exorbitanten Gewerbemieten in der Bergmannstraße entschuldigen.

Und auch, wenn die »Rettermärkte« den Altkreuzbergern einige Angriffspunkte bieten: den Kampf gegen die kapitalistischen Großdiscounter unterstützen auch sie gerne. Und so stehen alle friedlich vereint an der Kasse, junge und alte Kreuzberger. Wenn man eine Chance hat, sich gegen das System aufzulehnen, dann nutzt man sie. •

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