Mai 2020 - Ausgabe 219
Geschichten & Geschichte
O ewich ist so lanck! (13): Glaßbrenners letzter Wunsch von Eckhard Siepmann |
Eckensteher Nante heißt den Tag mit einem Schluck Schnaps willkommen: »Aach, det schmeckt! Det schmeckt, als wenn eener Schnaps drinkt, un er schmeckt ihm. Himmel is da, is oben, de Erde is hier, un de Deschtillationsanstalt is drüben: Welt, jetzt kannste wieder losjehn! Lebenslauf, ick erwarte dir!« Glaßbrenner, der Urheber dieser Zeilen , dem Schnaps nicht abgeneigt, endigte seinen Lebenslauf in Kreuzberg. Sein Grab auf dem Friedhof III der Jerusalems- und Neuen Kirche am Halleschen Tor ziert ein Obelisk aus poliertem schwarzem Granit, von dem uns ein bärtiges und ernstes Gesicht aus weißem Marmor ansieht. »Vater des Berliner Witzes« wird er gerne genannt – aber kein Vaterschaftstest würde das bestätigen. Denn der Berliner Witz wurde nicht von einem Einzelnen gezeugt, auch nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt - er atmet das Tempo der großen Stadt, und er riecht nach den unteren Volksschichten, – nach dem »verwegenen Menschenschlag«, wie er dem leicht erschrockenen Besucher Goethe einst an der Spree begegnete. Glaßbrenner tat, was schon Martin Luther empfohlen hatte: dem Volk aufs Maul schauen. Er schrieb auf, was er in den Straßen und Lokalen hörte und spann es in eigenen Erzählungen und Szenen weiter. Der Berliner Witz existiert ja, wenn auch abgemagert, oft warenförmig missbraucht und leicht verwässert, bis heute. Der Sammler Glaßbrenner rettete etwas, was der Zahn der Zeit zu vernichten drohte: die aufrührerische, subversive Qualität dieser scharfen respektlosen Schnodderigkeit. Glaßbrenners Triumpf ist es, den Berliner Witz in den Dienst der Demokratisierung, und das hieß im preußischen Spätbiedermeier der Revolution, gestellt zu haben. Er zeigt ihn in Zeitschriften und billigen Groschenheften als das unvergleichliche Genie Berlins, als den souveränen Geist einer widerständigen Bevölkerung. Kritzelte der persische Sufi-Mystiker Dschalalad Rumi im Mittelalter auf ein Palmenblatt »Sprich eine neue Sprache, damit die Welt eine neue Welt wird«, so echot der ganz und gar mystikferne Glaßbrenner 600 Jahre später: »Die wahre Freiheit, du erreichst sie nie / ohne eine neue frische Poesie.« Und er versichert der Gegenseite: »Und keine eurer blutgen Waffen ist so spitz / und treffend wie der holde Witz.« Die empörte Behörde verbietet Glasbrenner das Zeitschriftenmachen gleich ganz. Unbekümmert verlegt er sich auf die Broschüre. Den »Vormärz«, also die Jahre bis zur Revolution 1848, begleitet und befeuert der Satiriker mit den Groschenheften »Berlin, wie es ist – trinkt«. Er portraitiert liebevoll und mit subversivem Kalkül Gestalten des Berliner Alltagslebens, – lässt Eckensteher, Fuhrleute, Hökerinnen, Nachtwächter, Köchinnen, Guckkastenerzähler, »Weißbierphilister«, Holzhauer und Huren zu Wort kommen. Die Schikane der Zensur und andere Repressalien – seine Geliebte, die Schauspielerin Adele Peroni erhielt wegen der Beziehung zu Glaßbrenner sogar ein Auftrittsverbot in Berlin – zwangen ihn zum Exil in Neustrelitz und Hamburg. Als er 1858 nach Berlin zurückkehrte, erkannte er das geliebte »Genie Berlins« nicht wieder: Er spürte jetzt »Nihilismus« und »Blödsinn«, sichtbar gemacht im von ihm verachteten Magazin Kladderadatsch. Er hat nicht mehr die Kraft, dagegen anzuschreiben. »Der Lümmel ist zahm geworden«, triumphiert daraufhin das Polizeiministerium, »und dieser vormärzliche, damals so gefährliche Eckensteher-Liberalismus erscheint jetzt abgestanden und bewältigt.« 1876, erst 66 Jahre alt, segnet Adolf Glaßbrenner das Zeitliche. Ein paar Zeilen des Verblichenen fehlen leider auf dem Granit seines Grabes. Sie sind noch heute ungeschmälert gültig: Dem Deutschen Volk Einen Wunsch zu guter Letzt! Mache, dass das Blatt sich wende Und wie meine Narrheit jetzt Deine Dummheit ist zu Ende. |