Mai 2020 - Ausgabe 219
Hausverbot
Ostern vor einem Café von Michael Unfried |
Also saßen die Berliner plötzlich wieder alle auf dem Boden wie zu längst vergangenen Hippie- und Sit-In-Zeiten. Damit die Kreuzberger nun aber an diesem sonnigen Tag nicht auf Bier, Souflaki oder Pizza verzichten mussten, schrieben die Gastronomen in besonders fetten Lettern » TO GO« oder »LIEFERSERVICE« oder auch »WIR LASSEN SIE NICHT VERHUNGERN« an ihre Türen und Fensterschreiben und versuchten, ihr Volk mit kleinen Lunchpaketen zu versorgen, um wenigstens einen Teil der Geschäftseinbußen auszugleichen. So kam es, dass sich vor Imbissen, Eisläden, Bäckern, Kneipen und Restaurants mitunter kleine, ungeduldige Warteschlangen bildeten. Vor einem Café in der Kreuzbergstraße allerdings stand noch niemand, obwohl die Tür weit geöffnet war und auch hier ein Schild in unübersehbar großen Lettern verkündete: WE ARE OPEN!« Lediglich auf der Stufe zur Eingangstür gleich nebenan saß eine junge Frau mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand und freute sich über die Sonne. Da näherte sich auffällig raschen Schrittes ein älterer, etwas nachlässig gekleideter Mann. Zielstrebig steuerte er die geöffnete Tür des Cafés an, aber da niemand in dieser Tür zu sehen war, trat er einen Schritt auf die Frau in der Haustür zu, vermutlich, um nach dem Wirt zu fragen. Als sie sah, dass der Mann sie ansprechen wollte, sprang sie auf, streckte ihm die fünf entsetzlich weit gespreizten Finger ihrer linken Hand entgegen, als sei er die Pest persönlich, und schrie: »Bleiben Sie weg, bleiben Sie bitte weg!« In der Tür erschien ein strenges Gesicht. Der um die Kundin besorgte Wirt fragte, was hier los sei. »Ich wollte die Dame fragen, ob geöffnet ist. Ich müsste dringend mal auf die Toilette, und weil es keine öffentlichen Toiletten mehr gibt ... Ich kann doch hier nicht ...« - »Machen Sie, dass Sie weiterkommen. Sie müssen Abstand halten. Sonst hole ich die Polizei. Haben sie das verstanden?« Der Mann nickte und verschwand eiligen Schrittes um die nächste Ecke. • |