März 2020 - Ausgabe 217
Geschichten & Geschichte
O ewich ist so lanck! (11): Henriette Herz von Eckhard Siepmann |
Bevor 1825 der erste Friedhof an der Bergmannstraße seine Pforten und Grüften öffnete, war ein Areal vor dem Halleschen Tor dazu bestimmt, dass »sonderlich die Armen ihre Leichen vor das Thor bringen können.« Die innerstädtischen Kirchhöfe blieben zunächst den Begüterten vorbehalten. Wer heute von der Zossener Straße aus die Friedhöfe am Halleschen Tor betritt und sich nach links wendet, gewahrt bald ein paar wuchtige eiserne Grabkreuze – ein Massenprodukt nach Entwurf von Preußens Architektenstar Schinkel. Eins von ihnen, frisch mit Blattgold versehen, schmückt ein unscheinbares schmales Grab, das die Gebeine einer alles andere als unscheinbaren Frau birgt. Die Schrift auf dem Kreuz weist sie aus als Henriette verwitwete Hofräthin Herz, geb. de Lemos, geb. 1764, gest. 1847. Immer wieder schmücken Rosen die Totengruft dieser Frau, so als wäre der Rattenschwanz ihrer Verehrer auch nach 200 Jahren nicht zur Ruhe gekommen. Die Hofräthin galt in ihrer ersten Lebenshälfte als eine der betörendsten Frauen Berlins. Die Männer, die ihr begegneten, verfielen ihr seit ihrem 13. Lebensjahr, einige unter ihnen gerieten in die Nähe von Irrsinn und Suizid. Dabei war Henriette Herz alles andere als ein Vamp. Die Unruhe, die sie beim anderen Geschlecht erzeugte, war ihr verwunderlich und oft genug lästig. Die bedeutende Lebensaufgabe, in die sie eher zufällig hineinstolperte, war ganz und gar unbitchhaft: Sie betrieb quasi versehentlich die Emanzipation der Frauen und der Juden in Berlin, und dabei kamen ihr die dunkle Schönheit und die strahlende Geselligkeit einer Nachfahrin sephardischer Juden aus Portugal durchaus zu Hilfe. Das Kind wird als unreinlich, nachlässig in der Kleidung, kess im Ton beschrieben, aber bereits als berückend schön mit seinen rabenschwarz glänzenden Haaren und dunklen Augen. »Das Erscheinen von Göthe´s Götz und Werther bezeichnete einen Wendepunkt in der schönen Literatur, und es ist begreiflich, daß ein Solcher zugleich eine allgemeine literarische Parteiung zur Folge haben mußte. Sie fehlte selbst in unserer Ehe nicht. Mich, die junge, mit lebhafter Phantasie begabte Frau zog Alles zu der neu auftauchenden Sonne, zu Göthe, hin. Mein Mann wies selbst in der schönen Literatur alles zurück, was nicht mit Klarheit und Durchsichtigkeit geschrieben war. Als ein Besucher eines Tages mit der Bitte, ihm eine dunkle Stelle in einem Götheschen Gedichte zu erklären, (...) zu ihm kam, wies er ihn mit den Worten an mich: Gehn Sie zu meiner Frau; die versteht die Kunst, Unsinn zu erklären!« Parallel zu den vernünftigen Veranstaltungen ihres Mannes organisierte Jette im Nebenraum eher unvernünftige Treffen von Jugendlichen ihrer Couleur, wobei Geschlecht und soziale Klasse keinerlei Bedeutung hatten. Aus einem anfänglichen Lesekreis, in dem die junge rebellische Literatur studiert wurde, erwuchs bald ein sogenannter Tugendbund, in dem unter subversiven Gesprächen und Küssen Freundschaften oft fürs ganze Leben geschlossen wurden – so auch mit den Teenagern Alexander und Wilhelm von Humboldt. Aus dieser literarischen und erotischen Parallelveranstaltung entwickelte sich Anfang der 80er jene Kultureinrichtung, die als »Berliner Salon« Geschichte machen sollte. In ihm verkehrten Gelehrte aller Fächer - Philologen, Philosophen, Theologen, Juristen - mit Frauen und Männern, welche an Wissen und Urteil weit unter ihnen standen, um sich miteinander an Erzeugnissen der schönen Literatur zu erfreuen, Gespräche zu führen – und Ehen zu schließen. In diesen Salons traten Juden erstmals als gleichberechtigte Bürger in Erscheinung, was ihnen bis dahin gesellschaftlich verwehrt war. Die Salons wurden nicht nur von Frauen organisiert und inspiriert, sondern sie ermutigten die Frauen auch bei der Benennung und Abschüttelung der patriarchischen Absurditäten, die bis dahin als Selbstverständlichkeiten gegolten hatten. Mit dem Sieg Napoleons über Preußen 1806 und der anschließenden gesellschaftlichen Kälte war die hohe Zeit der Salons vorüber. So stürmisch die erste, so ereignisarm verlief die zweite Hälfte des Lebens der Henriette Herz. Markus starb schon 1803, sie selbst verschied fast ein halbes Jahrhundert später im Alter von 83 Jahren. »Wer den Gendarmenmarkt und Madame Herz nicht gesehen hat, hat Berlin nicht gesehen!«, hieß es einst. Wir könnten ergänzen: Wer den tristen Henriette-Herz-Platz in Mitte gesehen hat, ahnt nichts von Madame Jette Herz, der schönen romantischen Netzwerkerin. • |