Kreuzberger Chronik
Juni 2020 - Ausgabe 220

Strassen, Häuser, Höfe

Der Ritterhof


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von Werner von Westhafen

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Der Ritterhof

Kaum war im Sommer 1905 das Pelikanhaus in der Ritterstraße bezugsfertig, begann man auch auf dem Nachbargrundstück mit der Nummer 11 zu bauen. Ein Baurat aus Stettin hatte das nötige Kleingeld, um sich die 3873,6 Quadratmeter an der seinerzeit wahrscheinlich teuersten Straße Berlins zu leisten.

Die Ritterstraße zog um die Jahrhundertwende nicht nur Kaufleute von der Ostseeküste an, sondern Investoren aus aller Welt. Sie war zur weltweit bekannten »Goldenen Meile« Berlins geworden, nirgendwo in der Stadt war die Auswahl an Waren und Handelsgut so groß wie in dem kurzen Sträßchen der Luisenstadt, nirgendwo wurde so viel produziert und ausgestellt. Die Ritterstraße, wenige Jahre zuvor noch in einer namenlosen Vorstadtsiedlung mit Handwerksbetrieben und kleinen Fabriken neben Hühnerställen und niedrigen Wohnhäusern gelegen, war zur Handelszentrale einer Metropole aufgestiegen mit Schaufenstern, wie es sie bis dahin nur in der Friedrichstraße und in der Leipziger Straße gegeben hatte.

In den Hinterhöfen der Ritterstraße mit ihren Musterlagern internationaler Firmen gab es alles, was der Mensch zum Leben brauchte, sei es aus Stoff, aus Porzellan, Metall, Papier, Leder, Holz, Glas oder Stein. Die rege Geschäftigkeit in der Ritterstraße machte sie zum Verkehrsknotenpunkt Berlins, von den 94 Straßenbahnlinien der Stadt hielten allein 40 in der Ritterstraße, und »über die Hälfte der Pferdebuslinien verbanden diese Dauermesse mit den anderen Stadteilen Berlins«, teilweise im 3-Minuten-Takt - wie Agnes Lanwer über die Entstehung des Berliner Exportviertels schreibt. »Was sich seinerzeit in dieser Straße und um sie herum abspielte, existierte so in keiner anderen Metropole und war weltweit einmalig«.

Von diesem großen Geschäft wollten nun also auch die Scheckschen Erben aus Stettin profitieren und errichteten zwischen 1905 und 1907 in zwei Bauphasen den Ritterhof, um ihn an Fabrikanten und Handelsniederlassungen zu vermieten. Der Schecksche Gewerbehof glich mit seinem repräsentativen Geschäftshaus zur Straße hin und den großen Fenstern auf sämtlichen Etagen, die auch in entlegene Produktionsräume und Ausstellungsflächen der Hinterhofgebäude noch genügend Licht brachten, all den anderen Gewerbehöfen der Straße, die früher oder später errichtet wurden.

Dennoch war der Ritterhof, der den zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt überstanden hat, schon damals etwas Besonderes. Ähnlich wie auch beim benachbarten Pelikanhof wagten sich die Architekten Schilbach & Schweitzer bei den Bauten an eine moderne Stahlbetonkonstruktion. Sie gehörte damit zu den ersten ihrer Art überhaupt im Berliner Industriebau. Auch die mit glasierten und bunten Klinkern verkleidete Front machte das Gebäude zu etwas Besonderem und verlieh ihm mehr den Charakter eines Geschäftshauses als den einer Fabrikzentrale. Nicht zuletzt machte auch die in die Fassade integrierte Figur des Ritters deutlich, dass dieser Gewerbehof kein gewöhnlicher sein und der Straße zur Ehre gereichen sollte.

Als einer der ersten verfügte der Ritterhof dann auch über eine eigene »elektrische Kraftstation«, die unter anderem drei Fahrstühle mit einer Lastkraft von einer Tonne bis ins fünfte Geschoss hinauf beförderte. Darüber hinaus wurde im Ritterhof nicht nur die Fassade zur Straße, sondern auch der gesamte erste Hof mit »vornehmer Putzarchitektur« ausgestattet und begrünt - die Bauakten jedenfalls vermerken einen »gärtnerischen Schmuck«. Doch für die Errichtung von Pferdeställen und Kutschenremisen hatte der Zeitgeist kein Verständnis mehr, und weil just im Jahr der Fertigstellung des Ritterhofes auch die Große Berliner Motoromnibusgesellschaft ins Leben gerufen wurde, stellte man vorsorglich schon einmal zwei Benzinfässer im Hof unter. Fünfzehn Jahre später war aus den beiden Fässern ein unterirdisches Benzindepot für 3000 Liter geworden, und im ersten Hof befand sich eine Zapfsäule für die ersten Automobilisten.

Anfangs waren etwa 25 Firmen in den Höfen der Nummer 11 beheimatet. Sie produzierten Holzfurniere, Gaslampen oder Kronleuchter, Anfang der Dreißigerjahre gehörten die Gesellschaft für Drogen und Toiletten Artikel mbH Aesculap oder die Vereinigte Deutsche Sprechmaschinen-Industrie GmbH zu den Mietern. Doch mit Hitlers Machtergreifung ging es bergab mit der Ritterstraße, jüdische und ausländische Handelshäuser verschwanden nach und nach.

Auch die Arbeitskräfte wurden weniger, sie landeten KZ oder an der Front im Krieg. Rudolf Frese, der Besitzer einer »Fabrik feiner Perlenimitationen in Berlin, SW 68, Ritterstraße 11« , beklagte deshalb am 7. 6. 1941 in einem Brief an den Bürgermeister von Kreuzberg, dass er vor dem Ruin stehe, da seine »sämtlichen noch verbliebenen Arbeitskräfte (bis auf eine einzige) dienstverpflichtet worden sind.« Für Schmuck gab es keine Verwendung. Der Nachbar mit der Schraubenfabrik im zweiten Hof baute jetzt Bomben mit Zwangsarbeitern.

So waren viele Produktionsstätten bereits verlassen, als 1945 die Bomben fielen. Inzwischen haben sich längst neue Unternehmen in der Ritterstraße angesiedelt. Nach der Ritterhof-Grundstücksgesellschaft übernahm die Rheinische Hypothekenbank, gefolgt von der Deutschen Tachometerwerke GmbH. Nach dem Mauerfall ließ die Jeserich AG die Immobilie so akkurat restaurieren, dass idealo.de mit einem Jahresumsatz von 60 Mio. Euro und 600 Beschäftigten einzog. Und damit die letzten kleinen Gewerbe aus dem Hof verdrängte - unter anderem das legendäre Tiffany, einen der letzten Schlupfwinkel für das älteste Gewerbe der Welt . (Vgl. Kreuzberger Nr. 75, März 2006) •

Literaturnachw.: Agnes Lanwer, Exportviertel, Geschichtslandschaft Berlin Kreuzberg, Nicolai, 1994

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