Juni 2020 - Ausgabe 220
Herr D.
Der Herr D. und der Naturschutz von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. stieg bester Laune auf sein Fahrrad, rauschte die lange Gerade der Hasenheide entlang, dass es eine Freude war, da sah er vor sich einen kräftigen Wasserstrahl, der sich in flachem Boden über den Radweg spannte. Am einen Ende des Wasserstrahles stand ein alter Baum, am anderen Ende des Wasserstrahles eine junge Frau mit Zopf, hochgekrempelten Hosenbeinen und Birkenstocksandalen. Sie hatte von der Küche ihrer Wohnung aus einen Schlauch durch den Vorgarten gelegt und bewässerte in dem regenärmsten April seit Beginn der Wetteraufzeichnungen den Baum. Offensichtlich hatte sie am Abend zuvor die Abendschau des Berliner Lokalfernsehens gesehen, in dem alle Berliner dazu aufgerufen wurden, die Bäume mit Wasser zu versorgen. Als die junge Frau den Herrn D. sah, hob sie lächelnd die Hand. Die Geste sollte ihn zum Anhalten bewegen. Der Herr D. hielt kurz vor dem Wasserstahl und sah sie schweigend, aber fragend an. »Ich gieße den Baum!« , sagte sie. »Das sehe ich!« , sagte der Herr D. »Und ich habe auch nichts dagegen, dass Sie den gießen. Aber ich glaube, er wäre nicht verdurstet, wenn sie ihm für zwei Sekunden das Wasser entzogen hätten.« »Hihi« , lachte die Frau mit den Birkenstockschuhen. Aber dem Herrn D. war nicht nach Lachen zumute. »Wissen Sie, welche Leute mich zu allererst am Arsch lecken können. All diese übereifrigen Tierfreunde, die für Hunde, Katzen, Vögel, Bienen und Regenwürmer ihr Leben geben und für ihresgleichen nicht eine Spur von Liebe und Mitgefühl aufbringen. Und wissen Sie, welche Leute mich gleich danach am Arsch lecken können: Diese jungen Leute, die alles tun, was man ihnen vorschreibt. Denen ein billiger, regimetreuer Fernsehsender vorgaukelt, sie müssten die Bäume gießen. Verdammt noch mal, das ist doch eine bodenlose Frechheit. Wir, ich und meine Mitstreiter, haben schon vor 50 Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass wir unsere Umwelt zerstören. Auf unseren Plakaten stand »Zurück zur Natur« und »Atomkraft Nein Danke.« Wir haben doch die Grünen erst ins Leben gerufen, die ihr heute alle wählt, obwohl die heute genau so eine ideologielose Partei geworden ist wie die anderen. Diese Politiker, denen ihr gehorcht, sind doch dafür verantwortlich, dass kein Regen mehr fällt und dass es keinen Winter mehr gibt. Und dann verkaufen die Politiker dieser Stadt auch noch die städtischen Wasserwerke an einen Privatunternehmer. Und jetzt, wo das Wasser so teurer ist, dass der Senat die Parkanlagen und die Straßenbäume nicht mehr bewässern kann, verlangt er auch noch, dass wir, die Ärmsten, mit unserem Wasser, das wir teuer bezahlen müssen, die Bäume vor dem Vertrocknen retten! Tut mir leid, wer da mitmacht, ist doof. Und nun Guten Tag!« • |