Juli 2020 - Ausgabe 221
Literatur
Cavalcade des Grauens (2) von Connie Roter |
Dann plötzlich Totenstille. Taschenlampen – die Luft ist zum Schneiden. »Alles hinlegen, unten ist der meiste Sauerstoff!« – Der Werkluftschutzleiter schreit nach dem Bedienungspersonal der Feuerspritze. Es zieht ein scharfer Brandgeruch in den Raum und schon ist die Löschmannschaft wieder im Schutzraum, denn eine weitere Welle lädt ihre tödliche Fracht ab. Ist dies das Ende? – Es war soeben elf Uhr dreißig. (...) Da schlägt es mit ohrenbetäubenden Krachen auf das Haus. Jetzt ist alles aus. – – Es muß ein Wunder geschehen sein, die Decke hat gehalten, und wir leben immer noch - die Luft ist fast unerträglich. Wieder furchtbare Ruhe. Mich packt ein widerlicher Hustenreiz. Eine Hand reicht eine Flasche Wein zum Anfeuchten der ausgetrockneten Kehlen – unseren Mosel, den wir so oft in Stunden der Entspannung und heiterer Feierstimmung, behaglich in den Sessel gelehnt, tranken. Wie entfernt ist dies alles – jetzt, da wir schon ganze Ewigkeiten auf den wohl sicheren Tod warten und doch noch auf das Leben hoffen. Wieder das scheußliche Brummen der unerbittlichen Roboter, die das »fliegende Feuer der Chinesen«, gepaart mit Tonnen von Dynamit über uns ausschütten. (Alfred Nobel sei gedankt!) Es rauscht herab, klappernd und rasselnd, als ob der Tod durch die Lüfte rast und an Ketten die Bomben mit sich zieht. Wwwummmm! – Können wir denn überhaupt noch atmen? Da die Antwort – Ein Befehl: »Der Keller muß geräumt werden!« Es drängt zu den Türen; werden wir im Freien der furchtbaren Gewalt eines neuen Angriffs preisgegeben sein? Noch ist nicht entwarnt worden. – »Zurück! Der Ausgang brennt!« Der Notausgang wird aufgerissen. Auch hier brennt der Keller; die Flammen fressen gierig an dem gestapelten Holz. Es bleibt uns keine Wahl. Hindurch, und wir stehen auf der Straße. Das mächtige Verlagsgebäude gegenüber steht in hellen Flammen. Elf Uhr fünfundfünfzig. Die ganze Straße brennt. Und noch immer keine Entwarnung. Es gibt wohl auch keine Sirenen mehr. An der nächsten Straßenecke stauen sich die Menschen, sie schrecken zurück vor diesem höllischen Flammenmeer. Doch weiter, weiter! Vor mir bricht eine Frau zusammen; ich kann sie noch schnell aufrichten. Tücher um den Mund - wir stürzen vorwärts, unsere kleine Gefolgschaft, die in einer furchtbaren Stunde noch enger zusammengeschweißt wurde. Es geht über Berge von Schutt und Steinen und durch Funkenregen, vorbei an tiefen Kratern und über herabgerissene Drähte. Die Flammen greifen gierig nach den fliehenden Menschen. Brennt denn die ganze Stadt? Es ist eine siedende Hitze. Balken stürzen, und Häuser brechen zusammen. Weiter! - Inferno! Wir hörten später: Als die Spitzengruppe in die Reichshauptstadt einflog, überquerten die letzten Bomber eben die holländische Grenze. Es waren 2.300 Flugzeuge. Man spricht von 40.000 Toten an diesem Tage. – – Menschlichkeit! • Hrsg. Peter Dörp:»Die Tagebücher des Verlegers Curt Cowall. 1940-45«, Berlin Story Verl. 2020. |