Kreuzberger Chronik
Februar 2020 - Ausgabe 216

Geschichten & Geschichte

O ewich ist so lanck! (10):
Gespenster in der Bergmannstraße



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von Eckhard Siepmann

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Der Bergmann-Kiez, ein heimeliger, auf keinen Fall unheimlicher Wohnort mitunter betrunkener, im Grunde aber angenehmer Menschen. Neonazis? Die kamen nicht mal über die Gneisenaustraße. Wie es scheint die ungespenstischste aller möglichen Welten.

Doch das war nicht immer so. Kaum aus der Bergmannstraße herausgetreten, da bietet sich ein etwas anderes Bild: der Flughafen Tempelhof zum Beispiel, eine der größten Bühnen historischer Übeltäter von Hindenburg über Hitler bis Nixon. Oder der Mehringdamm: da band sich der Kolonien suchende zweite Wilhelm den Schuh zu, und da wurde der Massenmörder Tschombé eskortiert. Aber im Bergmannstraßenkiez: alles nur kleine freundliche Sünder.

Aber wenn man das festsitzende Harmoniegewebe der Bergmannstraßenidylle auch nur ein bisschen anhebt, dann wird es auch in dieser Gegend ziemlich finster. Dann flitzen da Schaben und Kellerasseln herum, die sich schnell zu veritablen Stinktieren auswachsen: Eins ist feist, ein anderes zieht einen Fuß nach, und eins, man glaubt es kaum, hat einen knappen schwarzen Schnauzbart. Sie hören auf die Namen Hermann, Joseph und Adolf.

Hier sehen wir die beiden Letztgenannten auf dem östlichsten der vier Friedhöfe an der Bergmannstraße. Die Obernazis wohnen der Kranzniederlegung vor einem ihrer deutschfühlenden Schläger bei, der bei Straßenkämpfen mit den »roten Untermenschen« ums Leben gekommen ist. Der Stürmer, Goebbels Propagandablatt, übermittelt uns die mystizistsche Stimmung der Show: »Hitler drückte den Hinterbliebenen stumm die Hand, während aus Richtung Potsdam Trommel- und Kanonenlärm zu hören war.« Pseudomystik, Tod und Nacht lassen den Mann aus dem bedächtigen Braunau an den Gräbern zu deklamatorischer Höchstform auflaufen.

Die kleine Figur neben ihm, von den Berlinern Bock von Babelsberg geheißen, sieht verstohlen auf die Uhr. Der Mann würde die Zeit lieber mit seinen Starlets in der Nähe der Filmstudios verbringen. »Dr. Goebbels tritt an das offene Grab. In knappen, von fanatischer Ueberzeugung durchglühten Worten bringt er die Gedanken aller zum Ausdruck. Der Worte sind genug gesprochen ...!‘«

Der Propagandaminister drängt zur Tat. Er kennt die Seelenmassagepotenz des offenen Grabes. »Gräber können manchmal Ursprung von Volkserhebungen werden«, notiert er in sein Tagebuch. Tausende von SA-Kameraden sind aufmarschiert. »Der Schall des Kampfgesanges bricht sich an den grauen Häuserfronten und quillt auf die Straßen.« Hitler hält beharrlich fest an der Mimik der finster entschlossenen Lichtgestalt. »Wieder rieseln rote, glühende Rosen aus harten Arbeitsfäusten in die kühle, tiefe Gruft.«

Dem dicken Göring fällt das lange Stehen schwer. Der Berichterstatter des Angriff, der Gauzeitung der Berliner NSDAP, liefert eine detaillierte Beschreibung des Weges, der vom Friedhofstor zu dem Ehrenhain der Märtyrer führt. »Vom Eingang aus, bleibt die Kapelle links liegen. Am verwittertem Glockenstuhl vorbei, die Hauptallee in sanfter Steigung geradeaus. Einen Bogen um das Rondell mit den braunen Bänken. Noch ein Stück bis zu dem grauen Sandsteinsäulengang und nun links herunter.« Der Glockenstuhl, das Rondell, der Säulengang, sie sind alle noch da, die Gräber aber sind längst verschwunden.

Die Friedhöfe in Berlin bilden zusammengelegt eine Fläche, die größer ist als der Tiergarten – warum muss diese Propagandaschau ausgerechnet hier, im Arbeiterviertel Kreuzberg stattfinden? Werfen wir kurz einen Blick auf die Naziaktivitäten in Kreuzberg vor 1933. Die strategisch wichtigsten Punkte waren dabei die Kneipen und ihre Versammlungsräume – die eigenen und die des Gegners. SA – Sturmlokale, so verfügte Goebbels, sollten nah bei linken Arbeiterkneipen liegen, das Ziel war die Provokation, die Herausforderung zum Kampf. Dem dienten auch die Propagandamärsche, die an linksproletarischen Versammlungsorten vorbeiführten. Schon im Juli 1930 hatte es auf dem Marheinekeplatz eine Schlägerei zwischen SA – Leuten und Kommunisten gegeben, am 14. Januar 1931 in der Zossener und im Juni in der Jüterborger Strasse. Am 9. September 1931 lag eine Leiche auf der Gneisenaustrasse, am 22. Juni 1932 ein Toter auf der Schleiermacherstrasse, beide umgekommen bei einer Schießerei zwischen SA und Kommunisten. Am 28. Februar 1933, Hitler war schon einen Monat an der Macht, gab es in einem Wirtshaus in der Willibald-Alexis-Straße 5 eine wilde Schießerei. Ein SA-Trupp drang in das Lokal des SPD-nahen Reichbanners ein, der Student Eduard Felsen erschoss dabei den Wirt Joseph Seehak und eine Stepptänzerin. Die Liste ließe sich problemlos weiter fortsetzen.

Dass Goebbels Wahl für die braune Gräbershow auf den Luisenstädtischen Friedhof fiel, war wohl kein Zufall. Die kirchliche Verantwortung für das Begräbnisareal lag in den Händen von Pfarrer Karl Gotthelf Themel. Dieser famose Pastor pflegte in Uniform zu predigen. Er war nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern gehörte auch begeistert der SA an. Das Reichssippenamt unterstützte er beim Aufspüren und bei der Deportation jüdischer Familien, indem er Infos über getaufte Juden weitergab. Hitler, Göring und Goebbels waren hier an genau der richtigen Adresse.

Klar, die Unholde existierten mal als höchst reale Wesen. Aber wenn wir sie jetzt, nach 73 Jahren, im Geist über die Bergmannstrasse gehen sehen, wie sie gemessenen Schritts, Grimm im Blick, zum Friedhof einbiegen, dann sind sie veritable Gespenster, Kiezgespenster. •

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