Februar 2020 - Ausgabe 216
Briefwechsel
Mehr Ansprüche als Raum! von Michael Becker |
Michael Becker zum Thema »Bergmannstraße« Sehr geehrte Redaktion, Seit der Mensch in Bewegung ist, haben sich unter seinen Füßen Wege gebildet. Geht der Mensch diese Wege oft, sind sie bald »ausgetreten« und leicht in der Landschaft zu erkennen. Der Nachteil ist, dass sich alle Unbilden des Wetters in seiner Spur sammeln und ihn zeitweilig »ungangbar« machen. Also gingen die Römer vor 2000 Jahren dazu über, ihre Wege zu Straßen auszubauen. So entstanden überall auf der Welt befestigte Wege und Straßen, die die Begegnung der Menschen erleichterten. Der Unrat wurde an die Straßenränder in den Graben verlegt, eine zunächst stinkende Innovation. Als es der olfaktorischen Belästigung genug war, wurden die Gräben abgedeckt und später unter die Straßen verlegt. Dort landeten dann auch alle anderen Leitungen, die die Mo-derne mit sich brachte. Und so liegen neben dem Abwasserrohr jetzt auch die Wasserleitung, die Stromleitung, die Gasleitung und die Telefonleitung unter der Straße. Sogar ein Teil der Personenbeförderung findet unterirdisch statt - ganz schön viel da unter dem Pflaster! Auch oben hat sich allerhand verändert. Heute ist nur noch selten jemand barfuß unterwegs, und waren es vor 100 Jahren neben den Fußgängern vor allem die Pferdefuhrwerke, die sich um die urbane Versorgung kümmerten, so ist es heute eine Vielzahl unterschiedlichster Vehikel mit unterschiedlichsten Aufgaben. Ja, die Straßen sind voll geworden, und eine Debatte um ihre Nutzungsberechtigung ist ausgebrochen. Ohne Frage sind öffentliche Verkehrsmittel zur Versorgung und Beförderung der Städter wichtig, aber auch die Frage des Individualverkehrs verdient Beachtung: Auto oder Fahrrad? Dabei machen die Radler wegen ihrer politisch-ökologischen Korrektheit eine Bevorzugung geltend. Da allerdings eine immer größere Gruppe von ihnen sich immer weniger an die Verkehrsordnung hält, stellt sich die Frage: Wo soll das enden? Bewege ich mich als Fußgänger an einer stark frequentierten Straße, dann stehen zwischen mir und dem Straßenverkehr parkende Autos. Sie bilden eine Abgrenzung zum »Schnellen und Lauten«. Ein stadtweites Parkverbot für Kraftfahrzeuge am Bordstein würde die Hektik erhöhen, und ich höre schon den Aufschrei, wenn wir stattdessen das Anpflanzen und Pflegen hoher Hecken verlangen. Es ist kein leichtes Unterfangen, den öffentlichen Raum der Stadt gerecht zu verteilen. Es gibt mehr Ansprüche als Raum! Aber wer vom Autofahrer verlangt, aufs Fahrzeug zu verzichten, der muss auch vom Radfahrer verlangen, sein Fahrverhalten auf Fußgänger abzustimmen. Ein bloßer Austausch der Verkehrsmittel kann es nicht sein. Die Mobilitätswende ist eine schwierige Angelegenheit. Die aktuelle Politik und das Gekreische verschiedener Lobbygruppen sind hierbei keine Hilfe. • |