Dez. 2020/ 2021 - Ausgabe 225
Kreuzberger
Reinhard Christian Niklaus Mein erstes Pferd sah auch aus wie ein Hund
von Reiner Schweinfurth
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Der Name machts. Wer Niklaus heißt, wird natürlich auch unterm Jahr auf den 6. Dezember angesprochen. Eine Geschichte von Reinhard Niklaus, Lehrer an der Bürgermeister-Herz-Grundschule in der Wilmsstraße, geht so: »Im Sommer 1977 hatte ich einen Job als Pförtner im Seniorenheim Otto-Dibelius-Stift in Mariendorf. Dort lebten etwa 500 Senioren. Sie kamen immer zur Pförtnerloge und ich gab ihnen morgens ihre Zeitung und später dann auch ihre Post. Auf meinem Namensschild stand natürlich HERR NIKLAUS - und viele quatschten mich auf die mir schon bekannte Art und Weise an: Es ist doch noch gar nicht Dezember! Haben Sie mir auch etwas mitgebracht? Ich jobbte bis zum Semesterbeginn und machte dann der Hausleitung einen Vorschlag: Am 6. Dezember möchte ich im Gemeinschaftssaal als NIKOLAUS verkleidet den Hausbewohnern eine Adventsüberraschung bereiten! - Gesagt, getan - ich hab‘ dann allen Hausbewohnern eine Einladung zukommen lassen. 200 Leute kamen! Ich klopfte an die Saaltür, ging auf die Bühne und beklagte mich bei den Alten, dass sie wohl vergessen hätten, wie der echte NIKOLAUS aussieht. Mir war zu Ohren gekommen, dass sie einen jungen Pförtner wohl mit mir verwechselt hätten! Deshalb bin ich gekommen, um zu zeigen, wer der wahre NIKOLAUS ist! Zusammen mit einem Pianisten sangen wir ein paar bekannte Lieder, außerdem habe ich ihnen noch eine Geschichte vorgelesen. Am Ende der Veranstaltung stand ich am Ausgang und schüttelte viele Hände. Die Dankbarkeit der Senioren hat mich so geflasht, dass ich ‚ne halbe Stunde völlig sprachlos war und mich erholen musste!« Das Weihnachtsfest in der Bürgermeister-Herz-Grundschule, wo Reinhard »Nickel« Niklaus arbeitet, ist nicht abgeschafft. Adventskalender in den Klassen und ein beleuchteter Weihnachtsbaum im Eingang haben bisher keine Proteste ausgelöst. »Am letzten Schultag vor den Ferien singen wir dann zusammen in der Aula und hören vielleicht noch eine Geschichte oder sehen uns eine schöne Tanzdarbietung einer Klasse an.« Als Lehrer, der seit über dreißig Jahren im Schuldienst ist, kennt Reinhard Niklaus sich aus. Im kommenden Sommer endet das Berufsleben des geborenen Charlottenburgers. Er geht mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Denn auch nach 32 Jahren im Bezirk Kreuzberg macht ihm das Lehrersein immer noch Spaß. »Neulich sagte eine Siebenjährige zu mir: Manchmal denke ich ja, du hast ‘ne kleine Macke! - Und? Ist das schlimm? - Kurzes Zögern, und dann: Nö! Das tat gut!« Beim Racheakt - als König Balthasar und Schüler der 6. Klasse
Negativfahnder und Jammern mag Niklaus nicht. »Ich finde das Totreden von Multikulti überhaupt nicht in Ordnung! Kreuzberg hat eine Vielfalt, die ein Reichtum ist. Die Kneipen und Restaurants, die Clubs und das kulturelle Angebot gefallen mir, vieles funktioniert doch gut. Die Beliebtheit bei jungen Touristen ist groß, das hat natürlich auch Nachteile. Aber der Karneval der Kulturen mit dem Straßenfest ist doch immer wieder anders schön. Und die Drogenproblematik und Obdachlose gibts auch in anderen Bezirken!« Reinhard Christian Niklaus wächst in Alt-Tempelhof auf, engagiert sich schon mit 15 im evangelischen Jugendheim Albrechtstraße als Jugendleiter und bekommt dort seinen Spitznamen NICKEL verpasst. Er begleitet Gruppenreisen und macht in der Teestube mit, später dann auch in einem der ersten Berliner Kneipenkollektive, in Barlaam‘s Haide in der Fidicinstraße. In der 4. Klasse wählen sie ihn zum Klassensprecher, doch gleich sein erster Einsatz führt zur Absetzung – offene Kritik ging damals gar nicht! Was war vorgefallen? »Jemand ärgerte die Turnlehrerin, indem er ihr Sand auf den Rücken rieseln ließ. Sie drehte sich um und schlug zu! Wir waren entsetzt und ich musste ran. Den Wortlaut habe ich noch in Erinnerung: Im Namen der Klasse muss ich Ihnen sagen, dass wir es nicht gut fanden, wie Sie den Rainer geschlagen haben. Meine Klassenlehrerin bewertete das als freches Verhalten.« Zwei Jahre später konnte er sich revanchieren: Bei einer Probe für das Krippenspiel in der 6. Klasse brachte er als König Balthasar ein Geschenk mit und legte es demonstrativ vor die Krippe. Es war ein Chinakracher auf einer S-Bahn-Fahrkarte – wohl wissend, dass die Lehrerin sowohl die S-Bahn als auch Kracher überhaupt nicht mochte. Die Probe wurde sofort abgebrochen und der kleine Reinhard vor der Klasse fertig gemacht, bis die Tränen flossen. »Aber innerlich konnte ich das als Erfolg verbuchen!« Er wechselt ans Askanische Gymnasium und hört nicht auf, Sand im Getriebe zu sein. In der 8. Klasse wird er zum Präsidenten der Schüler-Mitverwaltung gewählt. Einmal geht er zu seinem ehemaligen Direx, um ihn um Rat zu fragen. Schon in der Paul-Klee-Grundschule hatte er Schulleiter Dobe kennen- und schätzen gelernt. Dieser Lehrer wurde später sein Vorbild. »Der gute Mann schenkte mir und meinen Sorgen Gehör – eine wichtige und gute Erfahrung!« Als Musik- und Gesangslehrer in der Bürgermeister-Herz-Grundschule
Seit dem Oktober 1988 arbeitet Niklaus in Kreuzberg. Los gehts für ihn an der Rosegger-Schule in der Bergmannstraße. Er kämpft als GEW-Mitglied zusammen mit Eltern gegen die Erhöhung der Klassenfrequenzen, verhindert mit ein paar Kindern und Müttern in der BVV die Schließung der Bücherei in der Dudenstraße. Manchmal legt er sich auch, wenn nötig, mit der Schulleitung an. Anfang der 90er-Jahre veranstaltet er eine Schreibwerkstatt in der Rosegger-Schule und bringt eine Schulzeitung heraus, von Kindern für Kinder und andere Menschen, anfangs noch mit der Schreibmaschine. »Da gab es ein neunjähriges türkisches Mädchen, das, als es ihren Beitrag zum ersten Mal im Schulhaus hängen sah, glücklich strahlte und fortan das Schreiben zu ihrem Hobby machte. Am Ende der 6. Klasse zeigte sie mir ein Heft mit lauter eigenen Texten. Sie hatte Schreiben als ihre Ausdrucksform gefunden und kultiviert.« Manchmal, wenn er im Kiez unterwegs ist, wird er angesprochen. Einmal fragt ihn in der U-Bahn ein sehr großer, arabisch aussehender Mann: »Sind Sie Herr Niklaus?«- »Ja!?« - »Ey Alter, ich hab‘ Sie so vermisst!« Ein Wiedersehen nach 13 Jahren... In der Rosegger findet er auch privat sein großes Glück – er verliebt sich in die alleinerziehende Mutter einer Schülerin und lässt sich dann im Sommer 1995 mutig auf gleich drei Ladys ein! »Das habe ich bis heute nicht bereut.« Dann wird er mit 47 Jahren als Jüngster des Kollegiums umgesetzt. "Ey Alter - ich hab Dich so vermisst!"
Er freut sich jedes Jahr darauf, die eingeschulten Kinder kennenzulernen: »Das sind so verschiedene Persönlichkeiten, sie sind wirklich alle einmalig und wahrlich originell. Schule muss von ihnen als Ort erlebt werden, den sie gerne aufsuchen, wo man sich wohlfühlt und andere nette Menschen trifft. Hier wird gelernt, geübt und gestritten, aber auch gelacht, gespielt und gesungen. Es wird gebastelt und gemalt, Sport getrieben und eventuell auch getanzt und Theater gespielt.« Den Eltern sagt er immer: »Ab jetzt sind wir gemeinsam dafür zuständig, dass es Ihren Kindern gut geht.« Das Ansehen der Schule ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Schulfeste auf dem Hof, Musikabende und die Schulparty, die gute Zusammenarbeit mit dem Hort und das Angebot auch am Nachmittag haben sich herumgesprochen. Die Anfragen bei den Anmeldungen übersteigen mittlerweile das Platzangebot. Und wie steht es mit der Disziplin? »Wenn Kinder sich mehrmals danebenbenommen haben, können sie z.B. auch schon mal von der Hofpause ausgeschlossen werden – sie haben dann Zeit zum Nachdenken. Auf solche Maßnahmen können wir gar nicht verzichten. Wir müssen bestimmte Werte deutlich vermitteln. Dabei helfen uns unsere Konfliktlotsen – Kinder der 5. und 6. Klassen.« Besonders wichtig: dem Kind gegenüber deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass nur sein Verhalten doof war – aber nicht das Kind als Person! »Ich sage dann immer: Du kannst so nett sein – zeig es uns doch bitte!« Stichwort Medienberieselung der Kleinen? »Sicher zu viel, was manche Kinder sich da reinziehen. Diese Kinder bewegen sich oftmals auch zu wenig. Andere wiederum sind sportlich aktiv und/oder spielen Instrumente, die haben dann manchmal richtigen Freizeitstress! Es gab Kinder einer 4. Klasse, die privat noch nie im Grunewald waren.« Die Kamera ist immer dabei!
Gibt es Konflikte zwischen deutschen Eltern und denen aus anderen Kulturen? »Glücklicherweise sehr selten. Die Milieus, die sich bei uns wiederfinden, sind schon sehr verschieden. Da ist die Tochter eines Akademiker-Paares, die als Einzelkind aufwächst und da der Junge aus einer türkischen Familie mit vier Geschwistern. Es gibt arbeitslose Alleinerziehende mit drei Kindern und Kinder mit zwei Mamas oder Papas! Und leider auch Eltern, die sich zu wenig um ihre Kinder kümmern und nur materiell für sie sorgen. Diese Kinder wünschen sich von ihren Eltern Zuwendung und viel mehr Zeit für gemeinsame Aktivitäten – das kann auch das neueste Handy nicht ersetzen!« Wenn er Entspannung sucht, spielt der Wahlkreuzberger Poolbillard: »Ein sehr schöner Ausgleich zum lauten Schulalltag. Aber auch das Trommeln tut gut!« Er erinnert sich: Sein erstes Schlagzeug kostete ihn im Januar 1971 genau 150 DM. Auftritte in Jugendheimen, in der Dachluke oder beim Karneval der Kulturen sind unvergessen! Auch andere Kreuzberger Bühnen hat er kennen- und lieben gelernt. Zuletzt spielte er mit den Velvet Suits im Auster-Club, mit Paul`s Heaven in der Junction Bar. Eine Schulband mit seinen Kolleginnen gibt es auch – die Mayors Heart Club Band, letzter Auftritt noch im März 2020 zur Schulparty im Maze am Mehringdamm. Musik – Nickels große Passion. Seit einem halben Jahrhundert sitzt er jetzt hinter dem Schlagzeug. Und wie feiert er eigentlich Weihnachten? - »Mit Verwandten in großer Runde, mit einem gutem Essen und einem schönen Baum!«. • |