Kreuzberger Chronik
April 2020 - Ausgabe 218

Reportagen, Gespräche, Interviews

Es wird gebaut


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von Hans W. Korfmann

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Vor fünf Jahren kaufte ein Investor die alte Bockbrauerei an der Fidicinstraße. Seitdem bemüht er sich um die Baugenehmigung. Ein positiver Vorbescheid ist bereits ausgestellt, der endgültige Bauplan wird noch in diesem Jahr erwartet.

Die Schwiebusser Straße: ein kurzes Sträßchen, das im Süden Kreuzbergs vom Mehringdamm abzweigt und zwischen dem monumentalen Zollamt des Flughafens Tempelhof auf der rechten und der alten Brauerei auf der linken Seite nach Osten führt. Linkerhand, in dem rostigen Zaun der Bockbrauerei mit dem Schornstein und dem historischen Schwankhaus, hängen seit Wochen weiße und rosafarbene Schleifen, die Nachbarn zu Worten eingeflochten haben. Worten wie »Wut! Trauer! Zorn!«

Der Tatort ist weiträumig abgeriegelt: das Gelände, auf dem die Bauwert AG 240 Wohnungen bauen möchte. Das Opfer liegt mit zerbrochenen Gliedern im historischen Schankgarten. Seit dem 9. November. Es darf nicht entfernt werden, »wegen der laufenden Ermittlungen...«, bestätigt das Amt auf Nachfrage. Eine Anwohnerin aus der Fidicinstraße 5 habe die Polizei alarmiert. Es sei bereits ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Es dürfe nichts verändert werden, bis die Untersuchungen abgeschlossen seien.

Foto: Dieter Peters
Und so liegt er da, ein Symbol für den uralten Kampf zwischen Mensch und Natur: Der Ahorn. Stammumfang: 2,60; geschätzte Höhe: 15 Meter; geschätztes Alter: 180 Jahre. Eine Genehmigung zur Fällung ist nie erteilt worden. Auch die Baumfäller hätten keinen Auftrag vom Bauherrn erhalten, der Baum sei »versehentlich« gefallen.

Der Tat verdächtigt wird der Bauherr: Dr. Jürgen Leibfried und die Bauwert AG. Sie kämpfen schon lange um die Baugenehmigung auf seinem Grund zwischen Schwiebusser- und Fidicinstraße. Nun, nach fünf Jahren und mehreren öffentlichen Sitzungen im Kreuzberger Rathaus und hinter verschlossenen Türen stehen die Verhandlungen vor dem Abschluss. Die Entscheidung über den Bauvorbescheid wird in diesen Tagen erwartet. Details sind wenige bekannt, aber sicher ist: am Ende dieser Geschichte steht ein neues Wohnviertel.

Am Anfang steht der Ahorn, gepflanzt zu einer Zeit, als die Stadt noch weit unten an der Spree liegt und hier oben zwischen Feldern Windmühlen stehen. 1820 betritt Georg Leonard Hopf aus der Pfalz die Szene, ein Mann, der, ähnlich wie 150 Jahre später Dr. Leibfried aus München, nach Berlin kommt, um sein Glück zu machen.

Hopf arbeitet in der Habelschen Weinhandlung an der Leipziger Straße als Fassbinder, steigt schnell zum Kellermeister auf, heiratet nach dem frühen Tod des Meisters die traurige Witwe und übernimmt den Betrieb. Als das Gespräch in der Schankstube auf das bayerische Bier kommt, von dem man erzählt, es sei um vieles besser als das säuerliche Weißbier Berlins, behauptet Hopf: Das kann ich auch! Und braut in einem alten Waschkessel das erste Bockbier Berlins.

Wenig später kauft er Land und zwei Mühlen auf den Tempelhofer Bergen und eröffnet eine Brauerei mit Schanklokal. Als er im Mai 1840 das erste Bockbier ausschenkt, strömen die Berliner »in Massen hinaus zum Halleschen Tor auf den kahlen Tempelhofer Berg, um das neue, unbekannte, köstliche Naß« zu trinken. Willibald Alexis schwärmt im Morgenblatt für gebildete Leser: »Es gefiel den Leuten so gut, dass sie nicht wieder aus dem Hause fortzubringen waren. Andere sah man den Heimweg anstatt nach dem Halleschen Thore in gerade umgekehrter Richtung« antreten, wieder andere soll man »am Morgen in den Gräben gefunden haben.«

Foto: Postkarte
Der Biergarten allerdings gleicht einem »wüsten Stück Ödland mit ein paar Bretterbuden«, wie ein ausländisches Blatt spottet. Also pflanzen die Hopfschen Erben Bäume am Rand des Feldweges, der heute Schwiebusser Straße heißt. Unter ihnen ein Ahorn und einige Eiben. Fünf dieser Eiben standen vor Kurzem noch. Sie wurden gefällt. Trotz eines Antrages auf Anerkennung als Naturdenkmal, der schon 2017 beim Senat eingereicht wurde. Wo er liegen blieb. Unbearbeitet. 33 Monate lang. Jetzt ist keine Spur mehr von den Eiben zu sehen, sie verschwanden samt Wurzeln. Der Ahorn liegt noch. Ein Mahnmal.

Als Hopf auf den Berg zog, war die sandige Gegend nichts wert, die Straßen im Hobrechtschen Bebaungsplan waren noch namenlos. Heute ist die Scholle zwischen der 22. und der 23. Straße Gold wert. 40 Millionen Euro, so munkelt die Nachbarschaft, habe die Bauwert AG für die 13.000 Quadratmeter hingelegt. Still und leise. Man fürchtete den Protest der Kreuzberger, die sich auf dem Brauereigelände eingerichtet hatten mit Theatern, Werkstätten, Trommelgruppen und Tanzschulen. Weinhändler füllten die alten Bierkeller mit Beaujolais und Merlot, sogar eine Segelschule war auf dem Berg gestrandet. Hopfs Brauerei war eines der letzten Rückzugsgebiete für Kreuzberger Kreative und Kleingewerbe.

Foto: Dieter Peters
Kaum drang die Nachricht vom Verkauf der Brauerei an die Öffentlichkeit, schlug man Flugblätter an Wände und Haustüren und lud zum »Informationsabend im Wasserturm« ein. Am 25. April 2016 war der Turm so voll wie lange nicht, vielleicht auch des berlinweit-bekannten Investors wegen, der durch den Kauf des Freudenberg-Areals die Berliner Presse nachhaltig beschäftigt hatte, und der es später sogar in die internationalen Schlagzeilen schaffte, als sein Neubau beinahe die Friedrichswerdersche Kirche zum Einsturz brachte. Als die Moderation zu Beginn fragte, ob »jemand vom Freudenberg-Areal anwesend« sei, erhob sich ein Mann mit Goldbrille und Halbglatze. Die Irritation war groß, als klar wurde, dass kein Mitglied der Bürgerinitiative die Bühne betrat, sondern der Investor persönlich.

»Wir machen Bauwerke zu Bauwerten« (aus der Jubiläumsschrift der Bauwert)

Man wollte ihn des Turmes verweisen, die Einladung habe Mietern, nicht Investoren gegolten. Doch mit 45 zu 42 Stimmen wurde entschieden: »Der Mann erhält zehn Minuten Redezeit.« Mit kreideweicher Stimme behauptete dieser, »nur das Beste für Alle« zu wollen. Alle dürften bleiben, sämtliche Verträge würden erneuert. »Nur da, wo die flachen Betonbauten sind, werden wir Wohnungen bauen. Berlin braucht Wohnungen. So einfach ist das.«

Foto: Dieter Peters
Doch so einfach war das nicht. »Wenn Sie die Betongebäude abreißen, betrifft das ja auch die Trommelschulen. Die sind da seit 25 Jahren! Und die haben jetzt die Kündigung!« Im Publikum standen die ersten auf und gingen: »Ich habe dieses Geschwafel jedes Mal gehört, wenn einer von denen hier was kaufte. Am Ende machen sie doch, was sie wollen. Und am Ende sind alle Kreuzberger verschwunden. So einfach ist das!«

Aber Dr. Leibfried ist nicht leicht zu erschüttern. Nur einmal geriet er aus der Fassung, als gefragt wurde, woher er eigentlich seinen Optimismus nehme. Er müsse doch wissen, dass sich der Bezirk am Mittwoch gegen den massiven Wohnungsbau aussprechen werde, »wie können Sie da so selbstbewusst von 250 Eigentumswohnungen sprechen?« - »Aber am 28. 1. wurde doch beschlossen, eine Flächenplannutzungsänderung zugunsten eines Wohnungsbaus durchzusetzen!«, entgegnete Dr. Leibfried. - «Ich weiß nicht, woher Sie das haben.« – »Ich habe das Schwarz auf Weiß!«, stotterte der Investor und durchwühlte seine Herrenhandtasche. Doch seine Zeit war um, man verwies ihn des Saales. Grußlos soll er am Tresen vor dem Versammlungssaal »vorbeigezogen« sein.

Foto: Dieter Peters
Ein Jahr später, anlässlich einer öffentlichen Versammlung im November 2017, reicht Dr. Leibfried edle Holztäfelchen durch die Zuschauerränge im großen Saal des Rathauses an der Yorckstraße, kleine Kunstwerke, auf denen Innenansichten hübscher Wohnungen zu sehen sind. »6.50 der Quadratmeter, das ist doch was!«, versucht er zu agitieren. Aber die Kreuzberger auf ihren billigen Rängen sind unerbittlich: »So viel Geld hab ick nich, Herr Leibfried, det is mir zu ville!«

Auch beim Baustadtrat hat der Investor wenig Erfolg. Die Grünen sind sich einig, die Brauerei als Gewerbestandort zu erhalten. Man spricht sogar von einer Umwidmung des Mischgebiets in ein reines Gewerbebiet. Doch Dr. Leibfried ist nicht leicht zu erschüttern. Später, auf dem Gang, zeigt er sich trotzig: »Dann baue ich eben Gewerbe. Ich habe genug Anfragen, zum Beispiel von der Allianz. Was meinen Sie, was dann in Kreuzberg los ist, wenn die da ihre Türme hinsetzen!«

Indessen plant die Bauwert AG weiter an ihren Eigentumswohnungen und legt neue Pläne vor, die ungeachtet der Einwände seitens Politik oder Denkmalschutz auf dichten Wohnungsbau zielen. Einer der Denkmalschützer soll seinem Ärger über das Verhalten dieses Investors in kleiner Runde mit den Worten Ausdruck verliehen haben: »Herr Dr. Leibfried, was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?« Der Investor bleibt unbeeindruckt: »Ich bestehe auf Einhaltung der von mir geplanten Baumasse!« Zum damaligen Zeitpunkt waren das knapp 30.000 Quadratmeter Wohn- und Gewerbefläche.

Foto: Dieter Peters
Da sich der Bauherr hartnäckig über die Gebote der Politik hinwegsetzte, verbot der Bezirk auf bis Weiteres jegliche bauliche Veränderung des Geländes. Eine trügerische Stille breitete sich aus. Denn während draußen alles stillstand, wurde drinnen, hinter verschlossenen Türen, womöglich eifrig verhandelt, kamen Bauherr und Politik, Leibfried und Schmidt einander näher. Monatelang drangen keine Nachrichten über die Verhandlungen nach außen, Anfragen der Bürgerinitiativen blieben unbeantwortet, auch wenn Schmidt in der Presse gerade noch erklärt hatte, es sei »wichtig, neue Strukturen der Mitgestaltung zu schaffen, statt der vorherrschenden Scheinbeteiligung.«

Es sah aus, als wollte man die Sache unter sich ausmachen. Ohne die Kreuzberger. Auch das zunächst geforderte Bebauungsplanverfahren, das eine Bürgerbeteiligung vorschrieb, war vom Verhandlungstisch. Lediglich der Forderung einiger Kreuzberger nach mehr Denkmalschutz hatte man nachgegeben. »Hier unten war auf 3835 Quadratmetern eine der größten geheimen Waffenschmieden der Nazis in Berlin. Eine unterirdische Produktionsstätte, in der Menschen aus ganz Europa Zwangsarbeit leisten mussten«, erläutert Karin Dittmar von der »Initiative Denkmalschutz Bockbrauerei«. Ihrer Forschung und Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, das 70% der denkmalgeschützten Nazikeller erhalten bleiben. Dr. Leibfried hatte so viel wie möglich abreißen wollen, um Platz für Tiefgaragen und Wohnungen zu gewinnen.

Die Keller sind gerettet, aber die Bäume sind verloren. Obwohl der Ahorn aufgrund seines Alters und seiner Größe geschützt war. Und obwohl beim Senat schon seit langem ein Antrag zum Schutz der Eiben vorlag. Anders als der Senat, der hartnäckig schwieg, reagierte Dr. Leibfried auf die Bedenken der Naturschützer und präsentierte in einem Bauplan vom Herbst 2017 dort, wo der Ahorn stand, einen so genannten »Pocket-Park«. Im nächsten Entwurf allerdings fehlte der Park schon wieder, und im Oktober 2019 verkündete dann auch der grüne Baustadtrat: »Die Fällung der Bäume muss hingenommen werden.« Wenige Tage danach wurden die Motorsägen angeworfen. »Was ist das nur für ein grüner Baustadtrat?« lästert Karin Dittmar. »Sieht tatenlos zu, wie 180 Jahre alte Bäume gefällt werden, und bestellt die Pressefotografen, wenn er in der Bergmannstraße 3 Primeln pflanzt.«

»Neugier und Bereitschaft zur Anpassung, das hat uns schon immer besonders ausgezeichnet«


Während der Park aus dem Plan verschwunden ist, ist die Baumasse weiter gewachsen. Auf eine Anfrage der Linkspartei an Schmidt, wie viele Wohnungen denn nun entstehen würden, antwortete dieser im März 2018, die Baumasse sei »gegenüber dem Ursprungsentwurf (…) auf ca. 40.000 qm Brutto-Geschossfläche erhöht.« Im letzten Vorbescheid seien es bereits 36.000 Quadratmeter gewesen. Auf die Frage, wie das Verhältnis von Gewerbe- zu Wohnraum aussehe, wusste der Baustadtrat keine Antwort: »Die Nutzungsverteilung sowie die Anzahl an Wohnungen ist aus dem Konzept nicht genau ablesbar.« Sicher ist nur, was von Anfang an sicher war: Dass die Mehrzahl der Baumasse Eigentumswohnungen sein werden. Und dass der Anteil an günstigen Mietwohnungen nur ein »soziales Feigenblatt« ist, wie Heinz Kleemann vom Berliner Mieterverein formuliert. Bislang ist von 30 preisgebundenen Kleinwohnungen die Rede und von 50 »Studentenwohnungen« ohne Preisbindung. Das sind nicht einmal 10 % der Baumasse. »Eine Frechheit.«

»Gesellschaftliches Engagement ist eine Herzenssache und eine Selbstverständlichkeit.«


Enttäuscht werden auch die Initiatoren der Gesprächsrunde im Wasserturm sein, die seit Jahren die Gretchenfrage stellen: Wem gehört Kreuzberg? Die Trommeln sind verstummt, die Weinhändler haben die Lager geräumt, die Segelschule die Segel gestrichen. Von 30 Mietern sind 20 verschwunden.

Am Ende dieser Geschichte wird der Ahorn aus dem Weg geräumt werden. Dann rollen die Maschinen an. Und irgendwann wird dort, wo einst im Schatten eines Baumes ein Biergarten lag, ein Zementblock stehen. Daneben wird das historische Schwankhaus mit seinen Zinnen und Giebeln zu einem Zwerg schrumpfen, selbst der Schornstein wird plötzlich klein sein neben der knapp 200 Meter langen und 27 Meter hohen Front zur Schwiebusser Straße, die mit fünf und sechs Stockwerken noch über den Monumentalbau der Nazis hinausragen wird. Die Bäumchen in den Computerzeichnungen der Architekten wirken wie Fremdkörper zwischen den Quadern aus Glas und Beton, die dicht aneinandergedrängt um jeden Zentimeter und um jeden Cent kämpfen. Für den Ahorn aber ist dieses Ende der Geschichte vielleicht nicht das Schlechteste: Er hätte sich in dieser Gegend ohnehin nicht mehr wohl gefühlt. •



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