Oktober 2019 - Ausgabe 213
Kanzlei Hilfreich
Das Haus an der Côte d'Azur von Kajo Frings |
Nicht alles, was hilfreich ist, ist auch legal. Gelegentlich half Jens Hilfreich einem befreundeten Notar als Urlaubsvertreter und zog auch dort die seltsamsten Fälle an. Mademoiselle B., eine belgische Weinhändlerin von über sechzig Jahren, die es nach Berlin verschlagen hatte, wollte unbedingt eine eidesstattliche Versicherung abgeben und beurkunden lassen. Sie wollte gegenüber dem Grundbuchamt von St. Tropez eidesstattlich versichern, dass sie die Eigentümerin eines Anwesens an der Côte d´Azur war. Der Hintergrund allerdings war nicht ganz so klar, wie Mademoiselle. B. glaubte: Ihre Großmutter, so erzählte es zumindest die Mademoiselle, war Ende des 19. Jahrhunderts Bahnschrankenwärterin auf der ersten rein dampfbetriebenen Eisenbahnlinie auf dem europäischen Festland zwischen Brüssel und Mechelen gewesen, als eines Tages ein Zug wegen einer Störung dort halten musste. Ein galanter Passagier erster Klasse, der sich als seine Durchlaucht Leopold Ludwig Phillip Maria Viktor von Sachsen-Coburg und Gotha vorstellte, vertrat sich die Beine in jenem Bahnwärterhäuschen und so - langer Rede kurzer Sinn - wurde damals die Mutter von Mademoiselle B. gezeugt. Nun hatte Mademoiselle B. eruiert, dass jener Prinz nicht nur der zweite König der Belgier gewesen war, sondern auch für seine Maitressen die Villa La Leopolda bei Villefranche-sur-Mer hatte bauen lassen. Und jetzt wollte sich Mademoiselle B. natürlich als Erbin im Grundbuch eintragen lassen. Jens Hilfreich beschlich die Vermutung, dass eine Versicherung an Eides statt falsch sein könnte, und dass sich Mademoiselle B. strafbar machen könnte - so sie denn überhaupt schuldfähig war. Er verfiel daher auf den Ausweg, seine Mandantin nur eine Unterschrift unter die gewünschte Versicherung leisten zu lassen. Da diese formwidrig war, war sie auch nicht strafbar. Aber als seine Urkunden routinemäßig von einem Richter am Landgericht geprüft wurden, erntete er Kritik: Auch eine formwidrige Erklärung, die der Notar entwirft und die mit einem notariellen Siegel versehen ist, erzeugt den Anschein eines wahren Inhaltes. Und so etwas muss vermieden werden. Jens versprach, dies zu beherzigen. Im Jahre 2008 kam die schon etwas betagte Mademoiselle B. und wollte erneut eine eidesstattliche Versicherung abgeben, um als Eigentümerin der Villa La Leopolda eingetragen zu werden. Jens Hilfreich wies sie darauf hin, dass die Villa soeben von einem Herrn Roman Abramowitch für 311 Millionen Euro erworben worden war und eine eidesstattliche Versicherung nach diesem Wert 31.681 Euro kosten würde. Sobald der Betrag gezahlt sei, werde er beurkunden. Woraufhin die betagte Mademoiselle von ihrem Vorhaben vorsichtshalber Abstand nahm. • |