Kreuzberger Chronik
November 2019 - Ausgabe 214

Herr D.

Der Herr D. vor Gericht


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von Hans W. Korfmann

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Der Herr D. war nun zum dritten Mal in diesem Haus. Er zeigte seinen Ausweis, legte den Inhalt seiner Jackentaschen in das Plastikkörbchen für Messer und Pistolen und spazierte durch die Sicherheitsschleuse. Auch bei diesem Besuch im Gericht an der Möckernstraße ging es um einen alten Freund, den ein junger Hauseigentümer aus dem Weg räumen wollte. Bisher hatten seine Freunde bei diesen Räumungsklagen stets verloren, - der eine gegen Engel & Völkers, der andere gegen Ziegler. Beide hatten Kreuzberg längst verlassen, der Herr D. wusste nicht einmal, ob sie noch lebten.

Der Freund, den es diesmal erwischt hatte, hatte den Sohn des Playboys Rolf Eden zum Gegner. Kündigungsgrund waren eine gesprungene Fensterscheibe und zwei geöffnete die Oberlichter. Der Eigentümer befürchte, dass »die Wohnung Schaden nehmen könne.«

Der Richter in seinem weißen Hemd schmunzelte und merkte an, dass das Öffnen der Oberlichter auch für die Dauer von zwei Monaten »nicht unbedingt ein zwingender Kündigungsgrund« sei, dann wandte er sich an den Anwalt des Freundes: »Aber aus ihren Formulierungen habe ich herausgehört, dass Ihr Mandant einer Auflösung des Mietverhältnisses nicht zwingend entgegensteht. Ist das richtig?«

Auf Seiten des Freundes zierte man sich noch ein bisschen, formulierte einige verschlungene Nebensätze, um im Hauptsatz klarzustellen: »Also wenn es vielleicht eine kleine Umzugshilfe gäbe....«

Wieder musste der Anwalt grinsen, ebenso, als sich herausstellte, dass die Umzugshilfe nicht ausreiche, um die Defizite für den Mieter auszugleichen. »Eine neue Wohnung wird angesichts der Mietenentwicklung einiges mehr kosten, und da habe man sich gedacht....«

»An wie viel haben Sie denn so gedacht?« kürzte der Richter ab und setzte ein zufriedenes Gesicht auf. Auch die Anwältin der Gegenseite erweckte den Eindruck, als liefe alles wie geplant.

»Naja«, murmelte der Anwalt des Freundes und zog ein Blatt hervor, auf dem ganz unten ein Betrag von 15.000 Euro stand. Die Gegenseite protestierte lautstark und bot 5000. Fünf Minuten später aber waren es bereits 8000.

Wagemutig nahm die Mieterseite nun die magische Grenze von 10.000 Euro ins Visier, aber die Anwältin wollte »keinen Cent mehr!« Erst, als der Richter vorschlug, sich doch bitte auf 9000 Euro zu einigen, lenkte sie ein. Der Vergleich wurde geschlossen, es schien, als habe der Freund des Herrn D. gewonnen. Und die Anwältin der Gegenseite scherzte: »Wissen Sie, vor der Mietpreisbindung hätte ich Ihnen glatt noch 20.000 angeboten.« Alle schienen zufrieden. Nur der Herr D. dachte, dass sie es wieder einmal geschafft hatten, einen seiner Freunde vor die Tür zu setzen. Koste es, was es wolle. •

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