Kreuzberger Chronik
November 2019 - Ausgabe 214

Geschäfte

Im Copyshop am Hermannplatz


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von Ina Winkler

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Es gibt ruhigere Orte als Copyshops

Gleich um die Ecke, am Hermannplatz, steht das Kaufhaus Karstadt. Da hat man vor Weihnachten ein paar Verkäuferinnen mehr eingestellt, um dem Ansturm der Kaufwütigen standzuhalten, den man sich seitens der Geschäftsführung erhofft. Schon vor Wochen hat man die Schaufenster weihnachtlich dekoriert, trotz der vermeintlich kühlen Jahreszeit hängen anlässlich des Festes der Liebe dünne Dessous im Fenster, reihen sich gleich hinter der Eingangstür Flacons mit verführerischen Düften und Schälchen mit aromatisierten Seifen aneinander, winden sich Schleifen und Bordüren um winzige Schmuckkästchen und große Weihnachts- pakete. Dennoch ist es an diesem Wochenende wenige Wochen vor dem großen Fest leer im großen Kaufhaus.

Im Copyshop, ein paar Meter weiter in der Urbanstraße, stehen sie dagegen in einer langen Schlange. Heutzutage gehen die kreativen Deutschen vor Weihnachten nämlich nicht mehr in die Papier- und Bastelabteilungen der Kaufhäuser, sie schneiden auch keine Weihnachtssterne mehr aus, bauen keine Krippen mehr zusammen und kleben auch keine Fotos vom letzten Sommerurlaub in selbstgeleimte Büchlein aus handgeschöpftem Büttenpapier. Sie stecken einen Stick in den Computer des Copyshops und erhalten glänzende und perfekt gestaltete Seiten mit Bildern und Texten in allen möglichen Größen für Poster oder T-Shirts oder großformatige Kalender, wie man sie bisher nur von Geo oder Pirelli erstehen konnte. Mit der Liebsten oder dem Liebsten auf der ersten Seite.

Für diese ganz persönlichen Geschenke stehen sie gerne und geduldig im Copyshop in der Schlange. Auf der Post würde eine Menschenkette dieser Länge für ein nicht endendes ärgerliches Gemurmel sorgen, unterbrochen nur durch die lauten Unmutsbekundungen, die in regelmäßigem Abstand den Raum erfüllen würden. Im Copyshop am Hermannplatz aber herrscht beinahe Stille. Lediglich die Frau mit dem schlechten Frisör, die ihren gesamten Hausrat, notdürftig mit Kordeln verschnürt, auf einem Rollkoffer hinter sich in den Copsyhop zieht, murmelt vor sich hin: »Also, das darf doch nicht wahr sein… eine Unverschämtheit ist das…. ich hab doch noch was anderes zu tun, als mir hier die Beine in den Bauch zu stehen… - ich will doch nur ein Fax abschicken…«

Ansonsten herrscht eine seltene vorweihnachtliche Ruhe. Das liegt an der Frau hinter der Theke. Sie strahlt, ohne ein Wort sagen zu müssen, eine Art freundlicher Autorität aus, der niemand zu widersprechen wagt. Mit bewundernswerter Souveränität bringt sie jedem, der den Laden betritt, Aufmerksamkeit entgegen, und begegnet jedem noch so komplizierten Wunsch mit Gelassenheit.

Gerade muss sie drei Kunden gleichzeitig bedienen: Einen jungen Iraner, der Daten von seinem Handy an ihren Computer schicken möchte, wo sie aber nicht ankommen; Eine junge Engländerin, die den Ordner auf ihrem Stick gerade nicht finden kann, in dem die Bilder für den Kalender 2020 sind; Und einen älteren Herren, der Din A4-Kopien mit Zeichnungen von Wohnungsumrissen braucht.

Die Frau hinter der Theke schaut auf ihren Bildschirm und sagt zu dem Herrn mit den A4-Kopien: »Die Drei wird gleich frei!«

»Sie haben ja eine Engelsgeduld!«, sagt der Herr mit den Zeichnungen und dem weinroten Siebzigerjahre-Cordhemd.

»Das kommt von meinen Kindern. Ich hab vier davon!«, sagt die Frau hinter der Ladentheke, ohne ihren Blick auch nur für einen Sekundenbruchteil vom Bildschirm zu heben.

»Verstehe! Die zuppeln auch den ganzen Tag an Ihnen rum und wollen was!«, sagt der Cordhemdträger, der eine winzige Spur zu freundlich und zu interessiert. Was der gestandenen Kreuzberger Feministin am Ende der Schlange natürlich nicht entgangen ist, die nun durch den Wartesaal ruft:

»Jetzt lassen Sie die Frau doch mal ihre Arbeit machen! Und was Sie da zum Kopieren hochhalten, damit es alle sehen können, was ist das eigentlich? Das ist doch bestimmt kein Weihnachtsgeschenk für die Enkelkinder? Sie sind doch bestimmt auch so einer von denen, die uns hier die Wohnungen wegnehmen.«

In diesem Moment hält der Iraner der vierfachen Mutter sein Handy unter die Nase:

»Sehen Sie, hier steht, dass es versendet wurde!«

»Ich kenne mich mit diesen Dingern nicht aus!«, lächelt die Tresenkraft. »Da müssen Sie meine Kinder fragen, die können das. Ich weiß nur, dass hier nichts angekommen ist!«

»Geben Sie mal her….«, sagt da die kleine Punkerin aus der hinteren Reihe und bahnt sich den Weg durch die Schlange zum Handy des vermeintlichen Teheraners.

»Die Drei ist jetzt frei!«, sagt die Mutter zum Wohnungshändler, der erleichtert wirkt und sich schleunigst auf den Weg macht, damit diese Frau aus letzten Reihe nicht noch einmal anfängt.

»Ah, da sind sie ja!«, ruft die Engländerin, die endlich die Bilder auf ihrem Handy gefunden hat.

Auch der Iraner lächelt, die kleine Punkerin war erfolgreich. »Geht doch!«, sagt sie und lächelt so freundlich, wie das der Mann im Cordhemd einer Punkerin niemals zugetraut hätte.•

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