Kreuzberger Chronik
Mai 2019 - Ausgabe 209

Open Page

Basar Kneipe


linie

von Peter Petri

1pixgif

Viele sagen, in Deutschland will keiner mehr arbeiten. Viele sagen, Deutschland sei kein Dienstleistungsland. Viele sagen, in Deutschland seien alle träge geworden. Einen größeren Unsinn habe ich noch nie gehört. Okay, ich persönlich bin vielleicht ein bißchen träge geworden, aber alle anderen, die wollen doch arbeiten! Zum Beispiel in der Kneipe.

Da kommt schon der erste Rosenverkäufer. Verhandlungsbasis 5 Mark das Stück. Ich überlege es mir aber eher zweimal, wem ich in aller Öffentlichkeit eine Rose schenke. Da muß schon so etwas wie Liebe im Spiel sein, und die begegnet mir eher selten. Daher sind nicht wenige Rosenverkäufer Sofortbild-Fotografen geworden. Leider kommen sie vom Regen in die Traufe: Wer möchte sich schon kurz vor dem Delirium fotografieren lassen?

Ich lehne also höflich ab, 10 Sekunden später hoppelt ein grunzendes rosa Plüsch-Schweinchen im Roboterschritt über meinen Kneipentisch, eine Plastikkuh im Overall singt inbrünstig La Bamba, ein Mensch aus dem Südosten Deutschlands, oder Europas, oder so, bietet dir unterm Tisch mit Verschwörermiene einen echt vergoldeten Goldring an, der auch noch schön golden glänzt. Deutsche Hirsche, sogar Schäferhunde mit diodenleuchtenden Werwolfaugen gibt es, die man notfalls auch als Feuerzeug benutzen kann, ebenso wie die Anzünder in Nähmaschinenform, im Delphin-Look, oder als Mini-Stehlampe. Hightech aus den Tigerstaaten. Die Frequenz der Feuerzeug-Verkäufer liegt zur Zeit bei 10 pro Stunde, Tendenz steigend.

Kerzenverkäufer sind dagegen selten geworden. Vermutlich ist ihre Klientel, die Klasse der Dauerkneipengänger, die früher immer die heimliche Sehnsucht hatte, mal einen einzigen gesegneten Abend bei romantischem Kerzenlicht zuhause zu verbringen, inzwischen so verarmt, daß sie tatsächlich bei romantischem Kerzenlicht zuhause sitzt, weil sie sich teure Kneipenbesuche und die Bezahlung der Stromrechnung beim besten Willen nicht mehr leisten kann.

Diese Menschen kaufen natürlich ihre Kerzen eher im Sechserpack bei Rudi’s Reste Rampe oder gießen sie selber, was - ich sag’s mal etwas unkorrekt - auch ein Blinder mit dem Krückstock könnte. Aber die jugendstilmäßig auseinandergebogenen Gabeln, die gibt es noch, mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich sie sehe, und denke eine Sekunde wehmütig an fast vergessene Zeiten, als man Gabelverbieger noch für ziemlich coole Typen hielt, bis viele von ihnen dann auch mürbe wurden und den Taxischein machten.

Auch Musiker treten in Kneipen kaum noch auf. Sensibel wie sie sind, haben sie begriffen, daß Kneipenbesucher eher was fürs Nichtspielen bezahlen würden. Aber das Inkasso für diese Nicht-Dienstleistung wäre rein praktisch gesehen nur sehr schwer zu realisieren. Die Leute wollen ja was Greifbares für ihr Geld.

Zum Beispiel kostenlose Zigaretten. Kaum ein Abend vergeht ohne die Aufforderung von fröhlichen jungen Leuten, mit irgendeinem Puzzle, einem Zigarettenetikett oder sonstwas rumzufummeln. Immer ist eine Karte mit Angaben zu Rauchgewohnheiten, Name und Adresse abzuliefern, wofür es dann als Dankeschön eine Packung Zigaretten gibt.

Logisch, daß nur die Doofen ihren richtigen Namen angeben, was die Zigarettenfirmen wohl inzwischen kapiert haben, denn neulich mußte ich doch tatsächlich folgenden Satz unterschreiben, um an eine Gratispackung zu gelangen: »Ich verspreche, daß ich mir nichts in die Tasche lügen werde...” Das ganze ist natürlich ein teures Vergnügen für die Firma, sind es doch versteuerte Zigaretten, die verschenkt werden, ein Indiz für die Intensität der Panik, von der die Zigarettenfirmen in der letzten Zeit befallen sind.

Panik haben sowieso alle: Arbeitslose verkaufen Arbeitslosenzeitungen, Obdachlose Obdachlosenzeitungen. Großzeitungen tragen ihren Showdown in den Kneipen aus: Kreidegesichtige Clowns verteilen sich unauffällig im Lokal und lesen das Blatt, von dem sie dafür bezahlt werden, daß sie sich unauffällig im Lokal verteilen und auffällig das Blatt lesen, das sie dafür bezahlt, daß sie das tun, was sie tun und so weiter. Eine schüchtern lächelnde Maid bietet derweil selbstgeschriebene, eigenhändig fotokopierte Märchen an und wirkt dabei wie vom anderen Stern.

Ein Bücherverkäufer fragte bis vor einiger Zeit immer: »Lest ihr?”, worauf die ehrliche Antwort in den meisten Fällen »Nein, danke!” war. Inzwischen hat sich der Bibliophile umgestellt und fragt: »Wollt ihr was lesen?” Nur eine Nuance in der Fragestellung, aber eine mit Bedeutung. Soviel zum Thema Kultur, zurück zur Flora:

Kommt doch neulich ein griechischer Sonnenblumenverkäufer mit zwei mir gut bekannten Turteltäubchen, Constanze und Michael, ins Gespräch. Ohne Vorwarnung fällt er mit der Tür ins Haus und wendet sich an Michael. Ich zitiere den Wortlaut seiner Rede der Authentizität halber mal wörtlich: »Sonnenblume kostet 5 Mark. Scheidung kostet 30.000 Mark. Kaufst du Sonnenblume, sparst du Scheidung, sparst du 30.000 Mark!” Sehr weise, der Mann. Was mal wieder meine Beobachtung bestätigt, daß Ausländer uns Deutsche und unsere verzwickten Beziehungen inzwischen viel besser kennen als wir uns selbst.

Tja. Und ich sitze im Lokal und grübele. Wenn jetzt einer käme und böte mir 100 Gramm ungarische Salami an, mit dem käme ich ins Geschäft. Die könnte ich nämlich morgen früh wirklich brauchen. •

»Open Page« ist eine journalistisch-literarische »Open Stage«. Hier ist Platz für Texte von Lesern, die nicht ins Konzept passen, die wir Ihnen aber auch nicht vorenthalten möchten.

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg