Mai 2019 - Ausgabe 209
Kanzlei Hilfreich
Hilfreich und die Elternliebe von Kajo Frings |
Hilfreich muss einen Mandanten ins Unglück rennen lassen Jens Hilfreich saß mal wieder in der Sonne vor der Marheinekehalle, als sein Kollege Peter Beck vorbeikam. »Jens, mit meiner EC-Karte wurde in den letzten Monaten mehrfach Geld von dem Automaten der Berliner Bank am Mehringdamm abgehoben. Die Karte hab ich zweimal schon sperren lassen. Sie lag auch immer in meinem Geheimfach in meiner Wohnung, und ich habe auch keine PIN rumliegen lassen oder mir notiert. Was soll ich machen?« »Wieso hast du denn ein Geheimfach in deiner Wohnung?« - »Meine Tochter, Karla, wohnt ja jetzt bei mir. Der vertrau ich blind, aber die bringt gelegentlich mal ihre Freundinnen mit, und da will ich kein Risiko eingehen.« - »Wie alt ist das Töchterchen denn mittlerweile?« - »Im nächsten Monat vierzehn!«, sagte der Vater mit unverhohlenem Stolz. »Wenigstens noch nicht strafmündig!«, merkte Jens Hilfreich an, aber da hatte er in ein Wespennest gestochen. »Was soll das denn heißen, du glaubst doch nicht, meine Tochter … ?« - »Hast du sie drauf angesprochen?« - »Ja, sie hat mir hoch und heilig versprochen, dass sie es nicht war und auch nicht weiß, wer es gewesen sein könnte.« - »So ganz sicher war deine Unschuldsvermutung also nicht, sonst hättest du ja nicht gefragt. Außerdem misstraue ich Leuten, die etwas hoch und heilig versprechen oder Stein und Bein schwören. Wenn sie ehrlich sind, was soll dann diese besondere Verstärkung? Also, wenn du mich fragst: Erstatte Strafanzeige gegen Unbekannt, dann wirst du als Zeuge geladen und siehst dir die Fotos der Sicherungskameras an.« - »Sag mal, begleitest du mich?« Drei Wochen später saßen sie im zuständigen Polizeiabschnitt. Der Beamte, der die Akte vor sich liegen hatte, war schon in die Jahre gekommen: »Seit 1977 der erste Bankomat in Deutschland in Betrieb ging, begannen die Betrügereien. So lange bin ich schon dabei. So, jetzt schaun wir uns mal die Fotos an. Da sind jetzt auch Personen drauf, die kurz vor oder nach den Abhebungen fotografiert wurden. Lassen Sie sich Zeit!« Sie sahen sich die Fotos an. Auffällig war auf den ersten beiden Fotoserien diese kleine Person mit einem Kapuzenpulli, der tief ins Gesicht gezogen war; in der dritten Serie war wieder diese Person. Aber sie war irgendwie gestresst, erst nach der dritten PIN-Eingabe, kam das Geld, und anscheinend drängelte schon ein anderer Kunde. Jedenfalls streckte sie den erhobenen Mittelfinger nach hinten und drehte sich aufrechten Hauptes um, Gesicht in die Kamera. Peter Becks Gesicht wurde weiß. Jens Hilfreich schaute fragend, Peter Beck nickte. »Mein Mandant macht ab sofort von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch!« - »Das hätt ich ihm auch geraten. Eltern glauben gerne an das Gute in ihren Kindern. Glauben Sie mir, ich habe hier schon Kunden weinen sehen.« • |