Mai 2019 - Ausgabe 209
Geschäfte
Im Reich des Goldes von Horst Unsold |
Italien ist ein stolzes Land voller Paläste und Gärten. Eine Spur davon findet sich auch in Berlin. Es gibt kleine, sagenhafte Läden, bis unter die Decke vollgestopft mit allem, was der Mensch zum Leben braucht. Und es gibt Geschäfte, in denen es alles das gibt, was man nicht zum Leben braucht. Läden voll mit sagenhaftem Tand, Schatzkammern der Überflüssigkeiten dieses Lebens. Einen solchen Laden gibt es, eingeordnet zwischen einem Ein-Euro-Shop und dem Automatenkasino Vulkan, in der südlichen Friedrichstraße. Mit goldener Schrift auf weinrotem Grund wirbt Belle Arti für »die Kunst des schöneren Wohnens« und echt »italienische Lebensart« auf »1500 Qm«! Doch trotz der vielen Wegweiser in Richtung Italien könnte der Wanderer glauben, vor der glitzernden Auslage eines orientalischen Juweliers aus Neukölln zu stehen: Alles bei Belle Arti ist aus Gold! Neben schwarzen Schreckschusspistolen liegen goldene Feuerzeuge, goldene Aschenbecher, goldene Uhren. Uhren aller Art: Damen- und Herrenuhren, Uhren für 10, 20 und 30 Euro; kreisrunde, ovale und quadratische Uhren; Armbanduhren, so groß wie Taschenuhren, und Taschenuhren, so klein wie Armbanduhren; Armbanduhren mit goldenen, silbernen, pinkfarbenen oder giftgrünen Armbändern. Und Taschenuhren mit Deckeln, auf denen keine Gondel aus Venedig, sondern das Brandenburger Tor oder der deutsche Adler zu sehen sind. Foto: Dieter Peters
Daneben im Schaufenster stehen die üblichen kleinen Tischfeuerzeuge und Tischuhren in Form von Harleys und Trucks für die Helden der Landstraße, Feuerzeuge in Form von Goldbarren oder Pistolen, sowie kostengünstige Geschenksets in Form von hübschen Schächtelchen mit einem Chronometer, einer Krawatte nebst Krawattennadel und einem diamantbesetzten Kugelschreiber. Lauter Angebote für den distinguierten Herren aus der Sonnenallee! Niemals aber würde so ein Herr in der Sonnenallee die Nofretete in Originalgröße finden. Oder diese manchmal beinahe lebensgroßen, meist nackten Marmorschönheiten aus Gips, die mit schüchternem Lächeln und schmaler Hand ihre Scham bedecken. Kaum hat man das Reich der schöneren Wohnkunst betreten, da rückt Anatolien in weite Ferne, da liegt die Friedrichstraße Nr. 213/214 im barocken Italien oder gar im antiken Griechenland, in dem der nackte Diskuswerfer lediglich ein Feigenblatt trägt und der eitle Adonis das Attribut seiner Männlichkeit mit altgriechischer Freizügigkeit zur Schau stellt. Die kleinen Gipsfiguren schlafender, lesender oder am Daumen lutschender Barockengel allerdings sind zu 100 % italienisch, ebenso wie die goldenen Löwen und Leoparden mit den funkelnden Augen aus unechten Diamanten, die in der Loggia der römischen Villa Medici gestanden haben könnten. Auf dem samtbezogenen Messinghocker vor dem goldenen Standspiegel könnten italienische Hofdamen ihre Haarpracht geordnet haben, und der goldene Brieföffner auf dem weißlackierten Schreibtisch müsste aus dem Dogenpalast stammen. Begonnen hat es mit der italienischen Wohnkunst in Berlin vor über 50 Jahren mit Carlo aus Neapel, einem Gastarbeiter der ersten Stunde, der in den Sechzigern einen kleinen Laden in der Friedrichstraße anmietete, um mit dem Verkauf von Feuerzeugen und Elektroartikeln aus Italien den kargen Lohn etwas anzureichern. Nach und nach aber wurden die Regale immer voller, bald gab es Vasen, alte Bilder, Kerzenständer, Modeschmuck, der Nebenjob wurde zum Hauptjob, und irgendwann hatte es sich herumgesprochen, dass da ein Italiener war, bei dem es Dinge gab, die es nirgends sonst gab – außer eben in Italien. Die Kundschaft wuchs und wuchs, bis der kleine Italiener ein großer Italiener war, die Straßenseite wechselte und ein Reich von 1500 Quadratmetern sein Eigen nennen konnte. Ein Reich der Träume. Denn alles, was hier unter den glitzernden Lüstern versammelt ist, ist aus Gold. Die Schmuckschatullen, die Obstschalen mit den goldenen Birnen und Äpfeln, die zwei Kakadus, die auf dem Rand der Obstschale sitzen, das Schlüsselbord, der Schuhlöffel, die Kerzenständer, die Blumentöpfe, die Döschen und Röschen, die Waschtischarmaturen mit ihren wasserspeienden Drachenköpfen , selbst die Ränder der Badetücher, Bademäntel und Waschlappen tragen goldene Mäander. Auch das wirklich schöne Geschirr in den gläsernen Vitrinen kann nicht auf eine Spur von Gold verzichten, egal wie kräftig das Blau, das Orange oder das Türkis auch leuchtet: Ein filigraner Strich aus Gold fehlt auf keinem Tellerrand und keiner Tasse. Sogar der »exklusive Automatik-Treteimer« fürs Badezimmer, alles ist aus Gold in diesem Haus! Sogar die Kundschaft, die manchmal von weit her kommt, hat Gold an den Handtaschen, den Gürtelschnallen, den Fingern und den Ohren, sie trägt einen Hauch von Aristokratie. Nur in der Möbelabteilung mit den Esszimmern und ihren langen, weißen Marmortafeln, in den Arbeitszimmern mit den gewaltigen Schreibtischen und den Wohnzimmern mit ihren hölzernen Intarsienschränken und Barock-Teppichen ist nicht alles aus Gold, was glänzt. Im Schlafgemach des Italieners aber strahlt es wieder wie eh und je. Die Stätte italienischer Liebe braucht einen goldenen Rahmen. Groß ist die Auswahl an monumentalen Ehebetten im Katalog des Hauses, kunstvoll sind die Namen der phantasievollen Schlafzimmerkompositionen aus Kleiderschränken, Nachttischen, Spiegeln, Kommoden und Nachttischlampen: Leonardo, Verdi oder Tiziano. Sie beweisen endgültig, dass das wahre Herz des italienischen Hauses nicht etwa in der vielzitierten Küche, sondern schlicht im Bett schlägt. • |