Kreuzberger Chronik
Juni 2019 - Ausgabe 210

Geschichten & Geschichte

O ewich ist so lanck! (4):
Amalie Friedländer, geborene Heine



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von Eckhard Siepmann

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Ein unsterblicher Genius der Weltliteratur ist dunkel anwesend auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof, obwohl seine sterblichen Reste im fernen Paris verwesen. Denn unweit des westlichen Aufgangs liegt ein Familiengrab, das gleich viermal den Namen Friedländer verzeichnet, und dazu eine Gräfin Pfeil. Was haben sie zu tun mit einem Mann, der ein Esprit der Romantik war und ihr Totengräber zugleich, und dessen Namen eine Straße und ein Platz in Kreuzberg tragen?

Die Geschichte beginnt mit einem jungen Hannoveraner, der 1784 arm wie eine Kirchenmaus in Hamburg ankam und alsbald mit Bankgeschäften ein Vermögen von heute etwa 110 Millionen Euro anhäufte. Er wurde zu einem Wohltäter nicht nur der Hansestadt, sondern auch seines Neffen Harry, den er 1816 von Düsseldorf nach Hamburg holte, und dem er dort ein Tuchwarengeschäft einrichtete.

Zwei Jahre zuvor hatte der Millionär die Familie des Neffen am Rhein besucht, in Begleitung seiner vier hübschen Töchter. Harry war von allen vier Cousinen entzückt, aber eine von ihnen, Amalie mit Namen - Molly genannt und mit 14 Jahren nur drei Jahre jünger als Harry - erregte ihn nachhaltig. Sie ging ihm nicht aus dem jungen Dichterkopf, und als er vom Onkel nach Hamburg eingeladen wurde, schrieb er seinem Freund Sethe: »In vier Wochen sehe ich Molly. Altes Herz, was freust du dich und schlägst so laut!«

Obwohl die Stadt an der Alster weltoffener und geistig reger war als das eher verschlafene Düsseldorf, graust sich dort schon bald der junge Dichter. »Es ist ein verludertes Kaufmannsnest«, schreibt er an Sethe, »Huren genug, aber keine Musen. In dieser Stadt ist nicht das mindeste Gefühl für Poesie zu finden.« Auch das Klima in der Umgebung des reichen Onkels widert ihn an. »Dort geht es sehr geziert und geschwänzelt zu.«

Aber da ist noch Molly. Lässig beschreibt er sie seinem Freund als »ein gar hübschgeputztes Frauenzimmer, bei dessen Fabrikation der himmlische Kunstdrechsler sich selbst übertroffen« hat, aber im Grunde ist er hin und weg. Doch weiß er noch nicht, ob seine Liebe erwidert wird, und bangt weit weniger locker, womöglich »liebt sie mich - - nicht! Du mußt dieses letzte Wörtchen ganz leise, leise aussprechen. In den ersten Wörtchen liegt der ewig lebendige Himmel, aber in dem letzten liegt die ewig lebendige Hölle.«

Was sich schon bald auftut, das ist aber nicht der Himmel! Die Hölle tat sich auf für den jungen Dichter, als Molly die Gedichte, die Harry ihr stolz überreicht, nicht sonderlich beeindruckten. Höllenflammen schlugen ihm entgegen, als ihm dämmerte, dass Amalie ihn abwies. Ob es ihre Entscheidung war, oder ob die Eltern dazwischen-funkten, das wird sich nie ganz klären lassen. Der Vater jedenfalls unterstützte den mittellosen Neffen in seinem Fortkommen, aber für seine Tochter hatte er wohl eine gänzlich andere Partie im Auge – die sich auch schon bald realisieren würde. Amalies Mutter Elisabeth soll kurz vor ihrem Tod einer jungen Freundin das Versprechen abgenommen haben, nie einer Tochter zu sagen, wen sie zu heiraten hat. Der Dichter seinerseits sagte noch auf dem Totenbett in Paris seinem Freund, dass ihn wenig im Leben so sehr geschmerzt habe wie das Scheitern seiner Liebe zu Amalie.

Schon bald erweist Harry sich als geschäftsuntüchtig. Er schlawenzelt lieber Gedichte ausbrütend am Hafen umher, als sich um die doppelte Buchführung zu kümmern. Die »merkantilische Seifenblase« platzt, der Laden macht nach einem halben Jahr bankrott. Harry verlässt Hamburg und wird der Dichter Heinrich Heine.

In seinem Buch der Lieder geistern die »hohen Schmerzgestalten« herum, »die aus den gähnend weiten, blutigen Herzwunden emporsteigen.« Tod und Grab sind ständig wiederkehrende Themen. »Dein Angesicht so lieb und schön / Das hab ich jüngst im Traum gesehn / Es ist so mild und engelgleich / Und doch so bleich, so schmerzensbleich. / Und nur die Lippen, die sind rot / Bald aber küßt sie bleich der Tod./ Erlöschen wird das Himmelslicht / Das aus den frommen Augen bricht.« Er macht das Grab gar zum Lotterbett: »Mein süßes Lieb, wenn Du im Grab / Im dunklen Grab wirst liegen / Dann will ich steigen zu Dir hinab, Und will mich an Dich schmiegen / Ich küsse, umschlinge und presse Dich wild, Du Stille, Du Kalte, Du Bleiche! / Ich jauchze, ich zittre, ich weine wild / Ich werde selber zur Leiche...«

Der Tod, ein schier unsterbliches Thema. Amalie starb früh mit 38 Jahren. Ihr Grab an der Bergmannstraße teilt sie mit Jonathan Friedländer, einem steinreichen Gutsbesitzer, den sie 1821 ehelichte; ihrer Tochter Elisabeth, deren Ehemann Friedrich August Leo und schließlich Elisabeths und Augusts Tochter Gertrud, der späteren Gräfin von Pfeil. Nicht Amalie, wie oft vermutet wird, sondern Gertrud ist die junge Frau, deren Kopf als Medaillon auf einer Säule aus Carrara-Marmor das Familiengrab ziert.

Verlassen wir es nicht, ohne Amalies Schwiegersohns Leo zu gedenken, der zu einem Wohltäter der Armen Berlins wurde. Auch Leo war ein Freund der Literatur, er wurde zu einem anerkannten Experten der Shakespeare-Dichtung. Nach dem Tod von Elisabeth und Gertrud setzte er das umfangreiche Vermögen ein für die Gründung von Volksbibliotheken. Zudem war er der Gründer und unermüdliche Förderer des Berliner Asyl-Vereins für Obdachlose, sowie des Berliner Vereins für Volksbäder.

Auf diese Weise hat Amalies pragmatische Gattenwahl einem Dichter Schmerzen bereitet, den Berliner Bedürftigen aber Wärmestuben, Lesegenüsse und saubere Waden. •


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