Kreuzberger Chronik
Juni 2019 - Ausgabe 210

Reportagen, Gespräche, Interviews

Die Einsamkeit des Politikers


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von Michael Unfried

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Der Kreuzberger Baustadtrat Schmidt ist bei Kollegen in Ungnade gefallen, weil er sich weigert, einen Beschluss der BVV umzusetzen. Beobachtungen am Rande eines Gesprächs.


Politprofis zeichnen sich durch eine gewisse Lässigkeit, mitunter durch Ignoranz und Arroganz aus. Sie hocken während der Sitzungen in ihren Plenarsälen und schauen, während die Redner der gegnerischen Partei ihre Person gerade in sämtliche Einzelteile zerlegen, demonstrativ in ihr Handy und verfassen Kurznachrichten. So auch Angela Merkel, die seit fast 14 Jahren im Amt und eine der professionellsten und erfolgreichsten deutschen Politikerinnen ist, deren Auftritte im Bundestag auch vom Politnachwuchs mit Argusaugen beobachtet werden. Politprofis haben darüber hinaus ein sicheres Gespür für den Umgang mit den Medien und der Öffentlichkeit. Sie wissen, wen sie zu welchen Veranstaltungen einladen, wem sie etwas verraten und wem sie besser alles verschweigen.

Schmidt, Pressefoto, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
Schmidt, Pressefoto, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg
Auch Florian Schmidt, Mitglied der Grünen und Baustadtrat von Kreuzberg, ist Profi. Als am 8. Mai in der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg eine offizielle »Missbilligung« seiner Amtsführung und damit auch seiner Person zur Debatte steht, weil er den Beschluss des Bezirksparlaments ignoriert und die von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnten Umbauten der Bergmannstraße in eine so genannte Begegnungszone nicht eingestellt, sondern weiter vorangetrieben hat, demonstrieren vor dem Rathaus gleich zwei Fahrradinitiativen für den Erhalt der Begegnungszone - ungeachtet der Tatsache, dass das Radfahren durch die verengte Fahrbahn nicht sicherer, sondern gefährlicher geworden ist.

Auch auf der Empore des Plenarsaales in der Yorckstraße sitzen etwa 50 Freunde der Schmidt´schen Politik und entfalten werbewirksame Transparente mit den Adressen jener Häuser, die der grüne Stadtrat vor feindlichen Investoren bereits gerettet hat oder derzeit retten möchte, indem er auf das kommunale Vorkaufsrecht zurückgreift. Schmidt winkt den Freunden auf den Rängen freundlich zu, als er auf dem Podium Platz nimmt. Um sich gleich darauf, ganz wie Frau Merkel, mit seinem Handy zu beschäftigen.

Während die Vorsitzende den Abend eröffnet und daran erinnert, dass an diesem 8. Mai vor 74 Jahren der 2. Weltkrieg endete, und dass Richard von Weizsäcker anlässlich dieses Datums 1985 davon sprach, dass der Krieg zwar vorbei sei, die Deutschen aber allein dadurch »noch nicht besser geworden seien«, legt Florian Schmidt das Handy beiseite, um genüsslich in seinen Schokoriegel zu beißen.

Aber bei aller zur Schau gestellten Lässigkeit: Der 8. Mai 2019 ist auch für Florian Schmidt kein gewöhnlicher Arbeitstag. Ein »Missbilligungsantrag« von sämtlichen im Kreuzberger Rathaus operierenden Parteien - SPD, CDU, Linke und FDP - ist ein deutlicher Affront gegen den jungen Baustadtrat. Ein lokales Misstrauensvotum. Eine gelbe Karte und die letzte Warnung vor dem Platzverweis. Am Ende des Abends wird dem Antrag mit 30 zu 17 Stimmen stattgegeben. Schmidt wird sich gegenüber den Kollegen in einem Ausschuss verantworten müssen.

Bürgerprotest gegen die »Begegnungszone«
Er ist in Ungnade gefallen, nicht bei den Radfahrern und den Mietern, aber bei seinen Bezirkskolleginnen und Kollegen. Obwohl gerade sie genau wissen, dass Schmidt mit seinem hartnäckigen Veto für die Umgestaltung von Kreuzbergs berühmtester Straße auch die Interessen eines Senats vertritt, der sämtlichen Bezirkspolitikern im Nacken sitzt und sich ständig in ihre Angelegenheiten mischt. Über die Bergmannstraße entscheidet der Bezirk nicht allein, das hatte Schmidt schon vor Monaten deutlich gemacht. Der Senat hat hierbei ein Wort mitzureden. Und der Senat spricht eben mit Schmidt, dem verantwortlichen Baustadtrat. Nicht mit Hannah Sophie Lupper von der SPD, nicht mit Oliver Nöll von der Linken und nicht mit Timur Husein von der CDU. Schmidt muss den gewagten Spagat machen, nicht sie.

Aber da ist keine Spur von Mitgefühl zu spüren in seinem Parlament. Gleich 22 Fragen an den Stadtrat hat die wutentbrannte, übereifrige Sprecherin der SPD zu Papier gebracht, die in einer ebenso bundestagstauglichen wie verbissenen Rede ihrem Feind am liebsten den finalen Todesstoß versetzen würde.

Dazu präsentiert Hannah Sophie Lupper Fakten, stellt 884.000 Euro nutzlos verschwendeter Steuergelder einem Kostenvoranschlag von 124.000 Euro gegenüber. Sie fragt, ob Schmidt 132.000 Euro für grüne Punkte auf der Straße für sinnvoll hält und erwähnt eine stichprobenartige Befragung von 500 Personen zur Bergmannstraße, die eine 80%ige Ablehnung des Projektes Begegnungszone belege. Und stellt die berechtigte Frage, wie man sich über einen so offensichtlichen Protest einfach hinwegsetzen könne. Florian Schmidt öffnet seinen zweiten Schokoriegel.

Als die Kollegin abtritt, übernimmt er das Mikrophon. Zehn Minuten dauert die Antwort auf die 22 Fragen, geduldig erläutert er die nächsten Schritte, den Zeitplan, spricht von der Evaluierungsphase und der Zusammensetzung der so genannten Steuerungsgruppe aus Bürgern und Politikern, dem öffentlichen Werkstatttreffen in der Columbiahalle am 25. Mai. Gelangweilt liest er die Antworten auf die Fragen der verständnislosen Kollegin vor, aber niemand hört ihm wirklich zu. Zu verwirrend, zu blöd ist diese ganze Geschichte geworden.

Nach getaner Arbeit tritt er ab, mit schlaksigem Gang und in Turnschuhen, um nachzusehen, wer eine SMS geschickt hat. Während die FDP das Mikrophon ergreift und sich beleidigt zeigt. Man bestehe darauf, dass die Beschlüsse der BVV umgesetzt würden, und die BVV habe mit großer Mehrheit beschlossen, die Testphase Begegnungszone zu beenden und weitere Umbaumaßnahmen einzustellen. »Es kann nicht sein, dass die Demokratie umgangen wird!«, sagt Michael Heihsel, der Zweck heilige nicht alle Mittel. Aber Schmidt handle offensichtlich nach der Devise: »Ich mache das - egal, was die BVV dazu sagt.« Das ist ein Moment, in dem Schmidts Kauwerkzeuge für einen Moment ihre Arbeit unterbrechen.

Weder aggressiv noch beleidigt zeigt sich der Mann mit dem noch etwas blonden Zopf, der für die Linke das Mikrophon ergreift. Obwohl einer stets der Radikalität verdächtigten Fraktion zugehörig, beweist er von allen Parteien an diesem Abend am meisten Demokratieverständnis. Oliver Nöll betont ausdrücklich und mehrfach die Verdienste des grünen Baustadtrates in Sachen Wohnungspolitik. »Aber bei allen erwähnten Verdiensten: Man darf den Blick fürs Kleine nicht verlieren. Außerdem fehlt uns die Nulloption!«, sagt Nöll und erntet Applaus von den Rängen. »Wir fordern mehr Verbindlichkeit und eine echte Bürgerbeteiligung«, nicht nur ein Mitspracherecht, wenn es darum geht, ob die Blumenkübel gelb oder braun sein sollen. »Wenn Sie zum Nein bereit sind, dann sind auch wir bereit, darüber zu reden. Aber uns fehlt ein bisschen der Glaube, dass Sie diese Diskussion ernst meinen!« Und deshalb werde auch die Partei der Linken den Missbilligungsantrag unterstützen.

Florian Schmidt ist Profi. Wie ernst er die Diskussion nimmt, bleibt sein Geheimnis. Er sagt kein einziges Wort zu den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, wegen unkollegialen Verhaltens, wegen undemokratischer Verfahrensweisen. Er weiß, er würde die Debatte nur noch weiter anheizen. Er dagegen möchte sie ersticken.

Es ist ein langer und eher langweiliger Abend im Kreuzberger Rathaus. Einzig der Redebeitrag der PARTEI, die gegen die Umweltverschmutzung durch Wahlplakate protestierte und einen Antrag auf ein »wahlplakatfreies Kreuzberg« stellte, sorgte für Stimmung. Florian Schmidt allerdings schaute auch da schon wieder in sein Handy.

Ebenso, als der letzte Redner des Abends vors Mikrophon trat und über diesen Begriff der »lokalen Demokratie« philosophierte, den Schmidt zu seiner Verteidigung ins Feld geführt hatte, und mit dem niemand etwas anfangen konnte. Bei »diesen kleinen Adjektiven« vor dem großen Substantiv sei ihm immer irgendwie unwohl, bekannte Timur Husein, und fügte hinzu: »Deshalb wage ich die Prognose, dass wir uns hier wiedersehen. Und dann wird es nicht um die Parklets und die Fahrradständer auf der Bergmannstraße gehen, sondern um die Person Florian Schmidt.« Und nach kleiner, kunstvoller Pause beschwor der CDU´ler seine Kollegen: »Hört die Signale!«

Das Gelächter im Saal war groß, selbst auf Florian Schmidts ernstem Gesicht zeigte sich ein Lächeln. Und vielleicht dachte er ja einen Moment lang an diesen Satz seines Kollegen Winston Churchill über die internationale Demokratie: »Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.« •


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