Juni 2019 - Ausgabe 210
Kanzlei Hilfreich
Das Rosendilemma von Kajo Frings |
>Warum Jens Hilfreich bei Lutter & Wegner verkehrte Der Mandant des Rechtsanwaltes Jens Hilfreich hatte eine Anklage an der Backe wegen wiederholter Verstöße gegen die Gewerbeordnung und das Ausländergesetz, wegen Sozialbetruges, Steuerhinterziehung etc., kurz: wegen all der Paragraphen, gegen die man verstieß, wenn man als Bangladescher abends in Kreuzberger Kneipen Rosen verkaufte. Derartige Anklagen gehörten zum Berufsrisiko, und die Geldstrafen waren beim nächtlichen Rosenpreis schon einkalkuliert. Aber Hilfreichs Mandant hatte einen Nachnamen, der in die Zuständigkeit von Amtsrichter Wahl fiel. Und Richter Wahl verhängte Haftstrafen. Seit Jahren. Und seit Jahren wurden seine Urteile von den Berufungskammern des Landgerichts aufgehoben. Richter Wahl gehörte zu der seltenen Spezies von Krähe, der von anderen Krähen zwar kein Auge ausgehackt wurde, die aber Federn lassen musste. Was ihn nicht weiter beeindruckte. Jens Hilfreich hatte seine Freizeit damit verbracht, herauszufinden, was die spezifische Verfolgungswut des Richters ausgelöst hatte: Richter Wahl war zwar nicht der Jüngste, aber in jeder Hinsicht ein Genießer, insbesondere was Wein, Weib und Gesang betraf. Er liebte den »Walzer für Evita und Che«: »Denn das Böse regiert die Welt ohne Normen, die Staatsverfassungen sind leere Formen«. Er bewunderte im Deutschen Theater den »Zerbrochenen Krug«, denn auch da ging es um die Liebe und einen eigenwilligen Richter. Herr Wahl nutzte nicht nur die eine oder andere, sondern jede Gelegenheit, mit der einen oder anderen häufig schönen, aber immer relativ jungen Frau seinen Abend bei Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt zu verbringen. Schließlich war ein nahegelegenes Restaurant gleichen Namens einst einmal das Stammlokal des Kammergerichtsrates E.T.A. Hoffmann gewesen, und wie jener sprach auch dieser Jurist allabendlich dem Wein zu und ließ sich nicht lumpen, die jeweilige Begleiterin auszuhalten. Vorausgesetzt, sie hielt den Abend mit ihm aus. Und so sah Jens Hilfreich vor dem entscheidenden Gerichtstermin dem Richter Wahl zu, der allabendlich den ersten Rosenverkäufer zu sich winkte, eine Rose für die Damen kaufte und den geforderten Preis zahlte, ohne sich auf § 134 BGB zu berufen, wonach ein Rechtsgeschäft nichtig ist, wenn es gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Jens Hilfreich stellte sich die Qualen eines deutschen Richters vor, der, um eine Frau zu becircen, gegen alle Rechtsprinzipien verstieß und mindestens Beihilfe zum Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz leistete. Was lag da näher, als dem Richter zu unterstellen, sich an den Rosenverkäufern vor seinem Richterstuhl dafür zu rächen, dass ihn täglich einer der ihren »zwang«, sich im Konflikt »Liebe oder Recht« für das Unrecht zu entscheiden? Und was war zwingender, als den Richter am Tag der Verhandlung wegen Befangenheit abzulehnen? - Was Jens Hilfreich auch tat. • |