Juli 2019 - Ausgabe 211
Herr D.
Der Herr D. in der Turnhallte von Hans W. Korfmann |
Wie der Herr D. zum letzten Mal wählen ging Der Herr D. erwartete nichts mehr von seinem Briefkasten. Die Zeiten, als Briefe von Freunden aus aller Welt eintrafen, gehörten der Vergangenheit an. Der Briefkasten war zu einer Sammelstelle von Belästigungen geworden, einer blechernen Ablage für Rechnungen, Amtsschreiben und Werbebroschüren, die ihn zum Konsum verleiten sollten. Als er die Wahlbenachrichtigung im Briefkasten sah, warf er sie wie üblich in den Mülleimer, den der kluge Hausmeister für diese Fälle bereitgestellt hatte. Aber dann hörte der Herr D. die jungen Leute, die freitags gegen die Klimazerstörung demonstierten. Er sah ihr Video, in dem sie dazu aufriefen, keine der etablierten Parteien zu wählen, weil keine dieser Parteien etwas für das Klima unternahm. Und dann traf er Jorgos, der fragte, ob er auch Varoufakis wählen würde. Also machte er sich auf den Weg zur Schule, wo zwischen Klettersprossen und Turnmatten ein Wahllokal eingerichtet war. Schon unterwegs traf er Bekannte, lauter alte Kreuzberger, die er lange nicht gesehen hatte, und die alle Varoufakis wählten. »Das sieht ja aus, als könnten wir tatsächlich mal etwas bewegen!«, sagte der Herr D. Zurück im Schulhof mit seinen vielen Treppenhäusern fragte er einen Kreuzberger, durch welche Tür sie eigentlich hereingekommen wären. »Ich weiß nicht, durch welche Tür Sie hereingekommen sind!«, antwortete der Mann kurz. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie angesprochen habe, ich dachte, Sie wären ein Kreuzberger.«, sagte der Herr D. Wenig später saß er vor dem Conni Island, da kamen zwei graue Herren in weißen Hemden vorüber, einer von ihnen sogar in weißen Schuhen. Vor seinem Tisch trafen sie auf zwei Junkies, die die Straße herunterliefen. »In diesem Viertel laufen vielleicht Gestalten herum!«, entrüstete sich der Graue. - »Das finde ich auch, dass in letzter Zeit üble Gestalten hier unterwegs sind.«, rief der Herr D. ihnen hinterher. Aber die Immobilienhändler taten, als hörten sie nicht. »Ich hatte die Hoffnung, dass sich die Leute, die hierher ziehen, anpassen würden. Aber diese Leute lassen sich nicht integrieren. Jeder Afrikaner passt besser hierher als diese Spießer!«, sagte der Nachbar mit dem Holz auf dem Balkon. Der Herr D. nickte. Als er abends die Wahlergebnisse sah, gab er die Hoffnung auf. Die Deutschen hatten gewählt wie immer: CDU, SPD, Grüne. Und wie immer feierten alle Parteien das Ergebnis. Und freuten sich über die hohe Wahlbeteiligung. Als ob ausgerechnet sie dafür verantwortlich gewesen wären! Es waren Außenseiter wie Varoufakis gewesen, es waren die Jugend und einige Altkreuzberger, die keine Koalition aus SPD, FDP, AFD, Grünen und CDU wollten. Das nächste Mal würde er wieder zuhause bleiben. Und mit ihm auch die anderen 20%, die dieses Mal in die Turnhallen gegangen waren. Ausnahmsweise. • |