Juli 2019 - Ausgabe 211
Geschäfte
Haareschneiden auf der Post von Sybille Matuschek |
Es gibt schon viele Frisöre im Viertel. Amywho hat noch gefehlt Früher stand vor dem Marheinekeplatz ein stattliches Postgebäude mit vielen Schaltern im Erdgeschoss und vielen Büros in den Stockwerken darüber. Dann übernahm die Deutsche Bank die Deutsche Post und damit selbstverständlich auch die attraktiven Postgebäude. Es dauerte nicht lange, da begann man mit den Umbauarbeiten, riss im Erdgeschoss die alten Wände heraus und ersetzte sie durch stilfremde Glasfronten. Jetzt hat das Postamt nur noch fünf Schalter für zwei oder drei Mitarbeiter, vor denen sich ungeduldige Menschenschlangen bilden, während in den oberen Stockwerken der Deutschen Post Firmen mit Namen wie digitalheimat oder Funding Circle ein-gezogen sind. Die Mieten hinter der modernen Glasfront konnten sich bislang nur ein Biokonzern, ein teurer Bäcker und eine teure Weinhandung leisten, sowie der Buchhändler Langer Blomquist mit seinen dicken Fotobänden und Literaturausgaben. In den benachbarten Geschäftsräumen dagegen herrscht seit der freundlichen Übernahme der Deutschen Bank rege Fluktuation. Bislang haben ein Yoghurtverkäufer, ein Spielzeug- und Kinderwagenverkäufer, ein Souvenir- und ein Secondhand-Laden ihr Glück am Marheinekeplatz gesucht. Derzeit versuchen es Car 1 sowie ein Shop, dessen Name in schwarzen Lettern auf die Scheibe geklebt, aber mit einem roten Streifen wieder durchgestrichen wurde: Amywho. Dieter Peters: Ziefer Blick in den Frisörsalon am Marheinekeplatz
In Anbetracht der Einrichtung kommt der Passant vor der Schaufensterscheibe zu dem Schluss, dass es sich um eine luxuriöse Privatpraxis, ein Immobilienbüro zum Verkauf von Kreuzberger Wohnraum oder um eine Casting-Agentur handeln könnte, bei der sich Germanys Next Topmodells zuerst am Counter vorstellen müssen, bevor sie dann auf dem braunen Sofa im Schaufenster Platz nehmen und mit übereinander geschlagenen Beinen auf die Zukunft warten dürfen. Die Sonne muss schon sehr günstig stehen und Licht auch in die hinteren Ecken des langgestreckten Raumes werfen, damit man vor den unverputzten Wänden die sechs großen Spiegel mit den schwarzen Sesseln davor erkennen kann, die endlich das Geheimnis lüften: Bei Amywho handelt es sich um einen Frisiersalon. Nun gibt es eigentlich schon genügend Frisöre in der Gegend, gleich gegenüber ist einer, die Heimstraße hinauf ein zweiter, dann in der Bergmannstraße, am Chamissoplatz, in der Gneisenaustraße, am Mehringdamm... Da mussten sich die jungen Frisösen etwas einfallen lassen: Ein Sonderanbebot: 35 Euro für den Damenschnitt! Und obwohl kein Zettel im Fenster, kein Schildchen im Laden, kein Werbespot im TV die Nachricht vom kostengünstigen Haarschnitt verbreiteten, erfuhr sogar eine frischgebackene Abiturientin davon. Und stand eines Nachmittags vor dem schicken Tresen, der sie »eher an eine Hotellobby erinnerte als an einen Frisörsalon«. Auch die beiden Damen, die bereits vor den Spiegeln saßen und auf ihre neue Haarpracht warteten, passten mit ihren Handtuchturbanen und den langen Fingernägeln perfekt ins Ambiente amerikanischer Filmszenen. Nur die Dialoge fehlten. Beim modernen Frisör kommuniziert man über das Handy. Die Frau hinter dem Tresen, die ihre Haare so locker trug, als hätte eine Nordseebrise sie ein wenig durcheinandergebracht, sah die neue Kundin freundlich an, während die junge Mitarbeiterin an ihrer Seite nur schweigsam und schmal lächelte. »Gibt es das Sonderangebot eigentlich noch?«, fragte etwas eingeschüchtert die Abiturientin, aber die Frau am Empfangsschalter schüttelte mitleidig ihre lockere Frisur. Es koste jetzt 52 Euro. Sorry. Aber einen Termin gebe es noch, nachmittags um 15 Uhr, bei José. »Englisch ist doch ok, oder?« Die Abiturientin hatte Englisch sogar als Prüfungsfach gehabt, aber nun fragte sie sich doch, was eigentlich Stufenschnitt auf Englisch hieße, aber während sie noch zwischen stepcut und stairscut schwankte, lächelte die Frau hinter dem Tresen: »Und Spanisch geht natürlich auch!« »Irgendwie wird es schon klappen!«, nickte die Abiturientin, während die Schweigsame ungläubig kichernd Namen und Telefonnummer der vermeintlichen Neukundin in ihr Tablet tippte. Kaum hatte diese den Laden verlassen, piepste auch schon ihr Handy und bestätigte einen Frisörtermin um 15 Uhr. Aber es dauerte nicht lange, da tippte die Abiturientin einen Satz in ihr Handy, den sie sich im wirklichen Leben nicht auszusprechen getraut hatte: »Ich möchte den Termin lieber absagen. Mit freundlichen Grüßen...« • |