Februar 2019 - Ausgabe 206
Reportagen, Gespräche, Interviews
Trutzburg in Gefahr von Michael Schmuck |
Von staatlicher Hand gerettet, von staatlicher Hand bedroht: Nach der erfolgreichen Abwehr von Investoren durch das bezirkliche Vorkaufsrecht drohte der Untergang des Modellprojekts in der Zossener Straße durch Forderungen des Fiskus. Eine solche Trutzburg in der modernen Schlacht um Haus- und Landgewinnung ist die Zossener 48. Als die Eroberer 2017 zum Angriff bliesen, schlossen sich die 20 Bewohnerinnen und Bewohner trotzig zu einem Verein zusammen und hielten die Angreifer tapfer auf Distanz – mit der Unterstützung einer Stiftung, dem Beistand des Mietshäuser Syndikats und dem juristischen Schild des bezirklichen Vorkaufsrechts. Was beim Dover Castle die intelligente und massive Bauweise der Mauern und Türme war, das ist in der Zossener Straße 48 die geschickte, aber komplizierte Konstruktion des Eigentümerlabyrints: Zunächst machte der Bezirk sein Vorkaufsrecht geltend, konnte aber – wen wundert’s? – selbst nicht die benötigten 2,8 Millionen Euro aufbringen. Darum übertrug er sein Recht an die gemeinnützige Stiftung »Nord-Süd-Brücken«, die Gelder für gute Zwecke bereitstellt. Sie kaufte das Grundstück und verpachtete, kurz gesagt, per Erbbaurecht das Haus für 66 Jahre an eine GmbH, die von dem Verein der Mieter und dem »Mietshäuser Syndikat« getragen wird, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, selbstverwaltete Wohnprojekte zu unterstützen. So konnten die Mieter in der Nummer 48 wohnen bleiben, ohne dass sich die Mieten erhöht hätten. Im Gegenzug galten die Regeln der sozialen Erhaltungsgebiete, unter anderem das Verbot luxuriöser Sanierungen. Die Sache sprach sich herum, und die Zossener Straße 48 galt bald als Vorbild für andere Kreuzberger Trutzburgen. Initiiert hatte die Verteidigungsstrategie Yvonne von Langsdorff, selbst Mieterin im Haus und eigentlich Designerin für Maßhosen. Sie packte die Hosen erst einmal beiseite, recherchierte, telefonierte, schrieb Hunderte von Mails und rief die Helfer zusammen. Dass die Angreifer schließlich im Dezember 2017 aufgeben mussten, ist vor allem ihr Werk. »Ich konnte es kaum glauben, ich habe geschrien, als die Nachricht kam!«, erinnert sich Yvonne von Langsdorff. »Das Haus war gerettet.« Und zwar für mehr als ein halbes Jahrhundert: nämlich die Dauer das Erbbaurechts. Die Rettungsaktion war natürlich auch ein Thema für die Medien. Sie mögen dieses »David gegen Goliath«. Presse, Hörfunk und Fernsehen berichteten von dem Kampf mit Modell-Charakter, nicht nur in Berlin, sondern auch überregional. Von einer neuen Protestkultur im Häuserkampf war die Rede. Begeisterung und Hoffnung mischten sich zu einem »Also, geht ja doch!« Als dann die Rettung vor fast genau einem Jahr endlich perfekt war, meldete der rbb: »Ein schöneres Weihnachtsgeschenk kann es für die Mieter der Zossener Straße 48 kaum geben.« Doch ein Jahr später geriet dieses Geschenk wieder in Gefahr durch eine, sagen wir, unterirdische Bedrohung von staatlicher Seite: Das Finanzamt erhob horrende Steuerforderungen. Hatte der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt den Burggraben um die Feste Zossener 48 mit dem Vorkaufsrecht und den Mitteln der Stiftung geflutet, so wurde der Trutzburg sozusagen dieses staatliche Wasser von einer anderen Abteilung des Staates wieder abgegraben. In Dover unterhöhlten damals feindliche Mineure nach Art von Wühlmäusen die Mauern der Burg, in der Zossener Straße Nr. 48 untergrub der Fiskus das ausgeklügelte Besitzer-Labyrinth, um nun Grunderwerbssteuer von den Hausbewohnern einzutreiben. So drohte der Einsturz der vermeintlich sicheren Trutzburg. Grunderwerbsteuer für Mieter? Das klingt merkwürdig, und das ist es auch. Formal und juristisch aber ist es in Ordnung. Zwar hat die Stiftung bereits beim Kauf des Grundstücks Grunderwerbsteuer bezahlt, aber das Erbbaurecht löst eine erneute oder weitere Steuerpflicht aus, die sich an der Höhe der Erbpacht orientiert. Das bedeutete im konkreten Fall: rund 153.000 Euro Steuern für die Mieter in der Zossener Straße Nr. 48. Geld, das sie nicht hatten und das sie vor allem so rasch, wie es das Finanzamt üblicherweise haben will, auch nicht aufbringen konnten. Die Strategen aus der Nummer 48 hatten sich im eigenen Labyrinth verlaufen. Dass eine kleinere Steuerzahlung auf sie zukommen würde, war ihnen stets bewusst gewesen, aber eine Steuer in dieser Größenordnung brachte das gesamte Projekt ins Wanken. »Niemand hat uns darauf aufmerksam gemacht. Einige unserer Berater wussten es offenbar gar nicht, und einige dachten, die anderen hätten uns längst informiert. Letztendlich war es eine Verquickung unglücklicher Umstände.«, erzählt Yvonne von Langsdorff. »Jedenfalls kam das für uns wie ein Gewitter aus heiterem Himmel.« Und nun standen sie alle im Regen. Retten konnte das Projekt jetzt nur noch der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz persönlich. • Er konnte die Wühlmäuse des Finanzamtes zurückpfeifen, die Steuerforderung zurückstellen. »Niederschlagen« nennt man das im Fachjargon. Aber dieses Niederschlagen ist eine seltene Ausnahme und schwierig oder kaum zu begründen. Eine andere Möglichkeit wäre die Stundung, also eine Ratenzahlung. In beiden Fällen ist die Steuerschuld nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Aber immerhin. Man hätte Zeit gewonnen. Zwei Monate lang herrschte Ungewissheit unter den Mietern der 48, erst im Januar konnte Yvonne von Langsdorff verkünden, dass sie es geschafft hatten. »Nach langen und vielen Gesprächen hat uns das Finanzamt schließlich eine Stundung der 153.00 Euro zu sechs Prozent Zinsen eingeräumt, die wir aber glücklicherweise nun nicht mehr nötig haben. Die Nord-Süd-Brücken-Stiftung hat sich final noch einmal an der Steuerschuld beteiligt und uns ein 79.000-Euro-Darlehen zur Verfügung gestellt, das uns ermöglicht, die gesamte Schuld beim Finanzamt zeitnah auszugleichen.« Das Finanzamt scheint zufrieden und die Burg nun erst einmal in Frieden zu lassen. Finanzielle Unterstützung im Kiez zu suchen, war ohnehin der Plan der Zossener Trutzburger gewesen. Denn das Haus braucht ein neues Dach und noch einige andere Sanierungen. Vierzig Jahre Sanierungsstau haben vieles erodieren lassen. Aber die Sache lohne sich: »Es ist ein tolles Haus, das nun von Menschen getragen wird, die wirklich daran interessiert sind. Wir sind guten Mutes und denken, wir werden das jetzt auch noch schaffen – nachdem wir den Angriff der Spekulanten abgewehrt haben.« • |