Februar 2019 - Ausgabe 206
Mühlenhaupts Erinnerungen
Mutters Küche
von Kurt Mühlenhaupt
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Jedes Jahr im Frühling kaufte ich mir einen Topf blauer Paneelfarbe und strich meine Küche. Weil Vater arbeiten ging, hat meine Mutter das auch schon so gemacht. Meine Küche war ein schmales Handtuch, wie alle Küchen hier am Chamissoplatz. Das hatte den Vorteil, daß man nicht viel Farbe brauchte. Eins, fix, drei, war sie auch schon gestrichen, und dann sah sie wieder für ein ganzes Jahr freundlich aus. Ich saß gern in meiner Küche, auch im Winter. Dabei wurde der Herd ganz selten geheizt. Im Sommer wie im Winter ging alles über den zweiflammigen Gaskocher. Das machten hier alle so, sonst würde es nicht ständig nach arme Leute im Hausflur riechen. In der Woche gab es immer Eintopf, und wir waren schlank dabei. Heute trinken wir nur noch Kaffee, und sind immer noch zu dick. Damit wir alle ein bißchen Platz in der Küche hatten, hing auf der einen Seite nur ein flaches Küchenbrett mit vielen blauen Töpfen drauf. Ich übernahm alles von meiner Mutter. Und alles war genauso wie damals. Die Kinder spielten im Hinterhof. Der Kleene mit den dicken Backen könnte ick gewesen sein. Auch die Abzählverse sind die gleichen: Eins zwei drei vier - Auf dem Klavier - steht ein Glas Bier - und wer draus trinkt - der stinkt. »Solange man die Jören hört«, so sagte meine Mutter, »ist alles in Butter, aber wenn det stille wird, denn fressen se wat aus.« Nun liegt sie schon lange Zeit unter der Erde. An ihrem Grab war ich nur selten. Ich bin mehr bei ihr, wenn ich in meiner Küche sitze. Dann seh´ ich sie vor mir, wie sie vorm Volksempfänger Frühsport macht. Turnhosen brauchte sie nicht, sie trug ihre lila Schlüpper, im Winter manchmal gleich zwei übereinander. Das war gut so, denn so sah man nichts von ihren krummen Beinen.
Entnommen aus Kurt Mühlenhaupt, Rund um den Chamissoplatz, 1969 - 1975, mit freundlicher Genehmigung des Museums Bergsdorf
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