Kreuzberger Chronik
Februar 2019 - Ausgabe 206

Geschäfte

Das Teppich Kontor


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von Hans W. Korfmann

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>Das TeppichKontor In der Bergmannstraße ziehen die Geschäfte ein und aus. Aber in den Kreuzberger Hinterhöfen haben sich einige jener Läden gehalten, die einst das Leben im Viertel prägten. Einer ist das TeppichKontor.

Kontore sind keine kleinen Geschäfte, sondern Handelsniederlassungen. Lager mit Waren aller Art, oft in Hafennähe. Das Kontor in der Gneisenaustraße allerdings hat nur Teppiche und Bodenbeläge. Seit 30 Jahren bemüht man sich dort, das Leben auf den hölzernen Dielen oder dem nackten Beton bequemer zu gestalten. Mit Teppichen aus Wolle, Sisal oder Kokos.

Oder auch mit Linoleum. »Früher haben wir das noch selbst verlegt. Linoleum ist wunderbar, aber auch sehr nachtragend. Es verzeiht nichts, nicht den kleinsten Fehler. Man sieht jedes Staubkorn darunter, der Untergrund muss spiegelglatt sein. Entweder man macht es ordentlich, dann hält es dreißig Jahre, oder es hält eben nur 30 Tage.«

Linoleum war einmal groß in Mode, ganze Treppenhäuser wurden noch damit belegt, als Gerhard Klapproth und Hermann Köhler anfingen. Genau genommen ging es ihnen wie den Berliner Taxifahrern, die eigentlich Politologie studierten und nur einen Job nebenbei suchten. Köhler und Klapproth studierten Soziologie und Betriebswirtschaft und jobbten im Teppichladen am Mehringdamm. Das Geschäft mit Kokos-Teppichen und Sisalrollen lief gut im alternativen Kreuzberg, der Soziologe kam ins Schwitzen, so viele dieser schweren Rollen musste er die Treppen hinaufschaffen. In jedem Kinderladen lagen Naturfaserteppiche, und überall, wo die Dielen nicht abgeschliffen waren und noch der hässliche Ochsenblutanstrich darüberlag, legte man Kokosmatten aus.

Trotz des arbeitsintensiven Nebenjobs schlossen Köhler und Klapproth noch ihr Studium ab, und ganz umsonst war es nicht, sogar die Soziologie erwies sich als praktisch: »Menschen sind nicht einfach«, auch nicht, wenn es um den Teppichkauf geht. Schon die Teppichverkäufer aus 1001 Nacht servierten Tee und erzählten Märchen. Erst danach verkauften sie. »Zur Zeit ist die Akustik ein ganz großes Thema, die Leute laufen ja momentan alle auf Dielen. Akustik und Fußwärme, darum geht es gerade.«

Köhler kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, wenn er durch die 500 Quadratmeter im Hinterhof der Gneisenaustraße läuft, ein Reich, in dem es nach Heu und Gras und sogar ein ganz kleines bisschen nach Schafen und Ziegen duftet. Er weiß erstaunlich viel und versteht zu erzählen. Von den bunten Wandteppichen etwa, die an den einst nackten Wänden der ehemaligen Hutfabrik hängen, »Kelims aus dem Iran. Das war früher das Verpackungsmaterial für Orientteppiche -irgendwann fing einer an, die als Decken oder Wandteppiche zu verkaufen. Heute sind alte Kelims mehr wert als die Teppiche, die einmal darin eingewickelt wurden!«

Vor den bunten Kelims sind dicke, flauschige Wollteppiche zu Betten aufeinandergestapelt, unter denen auch die echteste Prinzessin keine Erbse mehr spüren könnte. Köhler kann zu jedem Stück, zu jeder Faser und jeder Wolle, sogar zu Schafen und Ziegen etwas erzählen. »Die griechischen Schafe geben gute Milch, aber keine gute Wolle. Die beste Wolle kommt aus Neuseeland, da leben sie noch gesund. Die ist extrem langstablich und lässt sich gut verarbeiten.«

Besser, vor allem robuster, ist höchstens noch das Ziegenhaar. »Kommt aus Kaschmir, gibt es in 50 Farben. Hat eine ganz klare Aussage«, strapazierfähig, ideal für Arztpraxen oder Kitas. Die gibt es auch als quadratische Fliesen, in allen möglichen Farben kombinierbar. »Braucht man einfach nur auflegen. Sämtliche Kitas in Berlin wissen, dass wir die haben, manchmal sogar bezahlbare Sonderposten.«

Aber nicht alles in diesem Hinterhof ist bezahlbar. Der Kokosteppich, den sie 1989 noch für 9,95 den Quadratmeter verkauften, und der dann »in jedem Bioladen lag«, kostet jetzt ein bisschen mehr. Und die skandinavischen Papierteppiche kommen sogar auf 500 Euro den Quadratmeter, die österreichischen Wollteppiche auf 300 Euro. »Die arbeiten noch auf alten Webstühlen, irgendwo in Vorarlberg, alles Handarbeit, nur die Wolle wird angeliefert.« Die ehemaligen Studenten kennen die Produzenten, »die kommen aus ganz Europa zu uns, wir kaufen viel -auch deren so genannte Restposten.« Womit nicht 50 Meter eines Teppichbodens gemeint sind, sondern 1000 oder 2000 Meter - genug, um ganze Paläste auszustatten.

Natürlich gibt es auch echte »Reste«, also das, was auf den Rollen zurückbleibt, wenn der Kunde keine 100 Meter, sondern nur 93 kauft. »Das hier zum Beispiel ist neuseeländische Wolle. Der Verkaufspreis für diesen Teppichboden würde nicht mal für die Wolle reichen, die da drauf ist. Geschweige denn für die Arbeit, die drin steckt.« Über die ausgezeichnete Qualität der Ware im unscheinbaren Hinterhofkontor sagt Köhler kein Wort. Das steht zwischen den Zeilen.

30 Jahre ist es her, da liehen sich die Studenten Geld von Freunden und übernahmen eine kleine Firma namens TeppichKontor am Mehringdamm. Inzwischen haben sie 18 Mitarbeiter und ein Lager in Tempelhof. Es sind auch nicht mehr zwei Treppenhäuser im Monat, die sie machen müssen, sondern 200 im Jahr. Damals, als sie anfingen, hatten sie gerade noch genug Geld, um im Eingangsbereich einen Big Stone an die Wand zu hängen, dessen Noppen so groß und rund sind wie Kieselsteine. »Keiner, der in den Laden kam, konnte daran vorbeigehen, ohne mit der Hand darüberzustreichen. Alle immer an der gleichen Stelle. Nach 28 Jahren begann er endlich allmählich zu verfilzen! Jetzt haben wir ihn ausgewechselt.« Von Qualität spricht Köhler nicht. Höchstens zwischen den Zeilen. •

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