Dez. 2019/Jan. 2020 - Ausgabe 215
Reportagen, Gespräche, Interviews
Menschen im Hostel von Edith Siepmann |
In Kreuzberger Hostels verbringen die Touristen aus aller Welt Tage, manchmal Wochen. Doch es gibt Familien, die jahrelang dort wohnen, weil sie keine Wohnung haben. Ein Besuch bei unseren neuen Nachbarn aus dem Nahen Osten. Es gibt Orte in Kreuzberg, an denen sich das Leben derart verdichtet, dass der Kiez wie unter einem Brennglas erscheint. Dazu gehört ein Stückchen Mehringdamm zwischen dem Finanzamt und der Yorckstraße. Es prallen aufeinander: Vogt´s Bier-Express, Urberliner Kneipe aus dem vorletzten Jahrhundert; Curry 36, Highlight der Berliner Feinschmeckerkunst; Mustafas Gemüsekebab mit der berühmtesten Touristen-Schlange der Hauptstadt; die Steuer-Ritter-Burg und dahinter das Dragoner-Areal, wo regionale Aktivisten gegen globale Spekulanten kämpfen. Daneben, in dem dominanten Geschäftspalast von 1913, befindet sich unterm Dach die berühmte Berliner Kabarett Anstalt BKA. Im schwul-lesbischen Kellerclub Untertage wummert Techno, während draußen vor dem Späti ein nie enden wollender Strom von Autos und Menschen vorüberzieht. Die Kulisse könnte ein Bühnenbild für eine Berlin-Lifestyle-Werbung sein. Was wollen die vielen Menschen hier? Die meisten eilen vorüber, steigen in die U-Bahn, hetzen zum Bus. Manche bleiben kurz, essen ein Stück Pizza, Döner, Currywurst. Andere übernachten im Metropol, das sich in der Nummer 32 befindet. Mit »Charming – Cheap – Central« wirbt das Hostel um Gäste. Wenig Komfort, etwas herunter gekommen, aber das Kreuzberg-Erlebnis liegt vor der Tür. Die Rezeption besteht aus einer Lobby mit kunstledernen Sofagarnituren. Es tönt eine Kakophonie aus Rap und Comic-TV. Ein Junge sitzt still davor. Weinrote Vorhänge umrahmen den Blick durch hohe Fenster auf Gründerzeitfassaden. Zwei junge Frauen trinken Kaffee und beugen sich erwartungsvoll über die Berlin-Karte. Dass es in ihrem Hostel auch Menschen gibt, die schon seit Jahren in den Mehrbett-Zimmern wohnen, wissen sie nicht. Manchmal stehen diese Dauer-Gäste vor dem Eingangstor und rauchen, sitzen auf Bänken vor dem Finanzamt oder kommen von der Schule und öffnen müde die schwere Eisentür des großen grauen Hauses. Seit 2016 beherbergt das Hostel Metropol außer Touristen auch geflüchtete Familien. Die Leitung legt Wert darauf, die Berührungspunkte zu den Touristen so gering wie möglich zu halten. »Manche Gäste mögen es nicht, dass hier Flüchtlinge sind.«, meint der Bar-Angestellte. Das könne geschäftsschädigend wirken. Andererseits bescheren die neuen Gäste den Hoteliers einen verlässlichen Zusatzgewinn, seit Senat und Bezirksämter in Ermangelung geeigneter Unterkünfte vor vier Jahren lukrative Verträge mit Hostels und Pensionen abschlossen. Gedacht war das als Notlösung, aber noch jetzt leben berlinweit an die tausend Menschen in Hostels. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirk und schließlich dem Jobcenter variieren, je nach Aufenthaltsstatus. Die »Statusgewandelten«, so der offizielle Begriff für Asylberechtigte mit Aufenthaltsrecht, bekommen ihre Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, also Hartz IV. Für eine Nacht im Hostel zahlt das Jobcenter pro Person etwa 30 Euro. Da kommen bei großen Familien hohe Summen zusammen. Der zwölfjährige Arkan aus dem Irak versteht das nicht: Seine Eltern suchen seit drei Jahren nach einer Wohnung und hatten auch Zusagen. Doch die Wohnungen waren dem Amt zu teuer. »Aber das Hostel kostet 7000 Euro im Monat!«, rechnet Arkan. »Die Wohnung 1700 Euro. Warum bekommen wir die nicht?« Laut Hartz VI-Vorgaben ist die Miete für die Wohnung um 700 Euro zu hoch. Günstigere Wohnungen aber werden sich in Berlin für Arkans Familie kaum finden lassen, denn für neun Personen muss eine Unterkunft eine Mindestgröße von 81 Quadratmetern haben. Die 7000 Euro für die 30 Quadratmeter, auf denen Arkans Familie jetzt lebt, sind allerdings rechtens. Das ist die absurde Situation für viele dieser Familien in den Berliner Hostels. So auch für Intisar. Sie ist Jesidin aus dem Irak, 35 Jahre alt und wohnt mit ihren fünf Kindern seit zwei Jahren im Hostel am Mehringdamm. Ihr Mann arbeitet als Lagerhelfer in Hannover, in der Nachtschicht. Tagsüber sucht er nach einer Wohnung für seine Familie. Intisar und ihr Mann haben eine grauenhafte Flucht hinter sich, aber sie sind optimistisch. »Es ist alles gut hier. Nur das Zimmer!« sagt Intisar. »Das Zimmer macht alt! Ein Zimmer, sieben Leute, das ist das Problem! Es gibt nichts privat mit meinem Mann.« Intisar schläft auf dem Boden, da das Bett durchhängt und knarrt. Die Kinder liegen auf Doppelstockbetten, und die freien Matratzen werden als Schrankersatz genutzt. Dort lernen sie auch, denn es ist kaum Platz im Zimmer, nur ein kleiner Schreibtisch mit Schulheften und einem Laptop, auf das alle stolz sind. Trotzdem sind sie gute Schüler, an der Wand hängen Zettel mit Grammatikübungen, Stundenpläne, auch eine Deutschlandfahne mit Aufschrift: Wir lieben Deutschland. »Wir respektieren die Regeln hier. Wir wollen unsere Seite weiß behalten, damit wir in Frieden leben.«, sagt Intisar in Übersetzung einer kurdischen Redewendung. Sie möchte arbeiten. »Putzen, kochen, egal, ich bin gesund.« Nach dem Deutschkurs trifft sie andere Frauen zum Einkaufen. »Nicht viel nachdenken, rausgehen!« Auf ihrem T-Shirt steht: »Be you!« Sie nimmt die Töpfe und geht über Treppen und Gänge zur Gemeinschaftsküche. Es ist schon spät, denn von 7 bis 12 Uhr herrscht Küchenverbot, da gehört die Kochstelle ausschließlich den Touristen. Danach treffen sich alle zwölf Mütter vor ein paar Herdplatten und warten, bis sie an der Reihe sind. Auch ein Mann ist unter den Köchinnen: Ahmed, ein palästinensischer Gastarbeiter aus Saudi-Arabien mit einer bewegenden Geschichte und fünf Kindern. Er musste Hals über Kopf mit allen Kindern, aber ohne deren Mutter, ausreisen. Nun arbeitet er in Nachtschichten bei einer Reinigungsfirma für die BVG. Für 430 Euro. Dann ruht er sich kurz aus, bereitet das »Ful« für die Kinder zu - ihr traditionelles Frühstück aus Eiern, Tomaten und Za`atar. Da die Küche gesperrt ist, hat er heimlich einen Herd ins Zimmer gestellt, ans Fenster, damit der Rauchmelder nicht anspringt. Wenn die Kinder in der Schule sind, versucht er zu schlafen. »Dann einkaufen für das Mittagessen und zusammen mit den Frauen kochen.« So geht das nun schon seit drei Jahren! Ahmed sagt, er fühle sich wie in einer Thunfischdose in diesem Zimmer im vierten Stock. Die Kinder springen herum, sitzen vor dem Fernsehen und rufen ständig nach ihm, wenn er versucht zu schlafen. Sonst sei alles gut, das Viertel, die Schule in der Nähe, auch der Hostelbesitzer, Herr Akbas, sei ein netter Mann und freundlich zu den Kindern. »Er möchte, dass wir bleiben und bietet uns ein weiteres Zimmer an. Aber wir brauchen eine richtige Wohnung mit Küche! Und ich will eine Tages-Arbeit, und später mache ich dann eine Pizzeria auf wie in Saudi-Arabien. Ich habe Angst um meine Kinder wegen den Dealern am U-Bahnhof Mehringdamm.« Er versteht nicht, warum er nicht in die leer stehenden Container auf dem Flugfeld oder an der Ritterstraße einziehen durfte. Dort hätte es wenigstens eine eigene Küche und zwei Zimmer gegeben. Antworten auf Fragen wie diese sind weder vor Ort noch telefonisch oder schriftlich über die Bezirkspressestelle zu erhalten. Auch das Landesamt für Flüchtlinge weiß nichts über das Metropol. Ein paar Zahlen und Zusammenhänge kann man in einer aktuellen »Studie zur Situation geflüchteter Familien in Berlin« lesen. Anscheinend gibt es für einen teuer bezahlten Platz im Hostel nicht einmal das Recht auf Frühstück, Bettwäsche, Spiel- und Gemeinschaftsräume. Amtliche Kontrollen der Unterkünfte finden aus Personalmangel nicht statt. Herr Akbas, der freundliche Hostel-Besitzer, der bei den Kindern so beliebt ist, weil er sie in der Lobby spielen ließ, könnte mehr erzählen. Aber auch er ist nicht zu erreichen, der Mann hat andere Geschäfte. Und wenn Arkan jetzt in die Lobby kommt, stellt der Angestellte »aus Gemeinheit« das WLAN aus. Sagt Arkan. Überhaupt würden die Kinder jetzt öfter aus der Lobby verwiesen, dem einzigen Gemeinschaftsraum. Kinder sind eben laut, selbst wenn sie Hausaufgaben machen. »Die lassen uns nie spielen!«, klagt Sivoun. Also treffen sie sich in den langen, dunklen Gängen. Auch mit Sidra, einer zwölfjährigen, nachdenklichen Syrerin. Sie war vorher im Hangar des Flughafens Tempelhof. In der Erinnerung gefiel es ihr dort besser, weil noch die ganze Familie zusammen war. Im Metropol sind nur noch ihre vier Geschwister und die Eltern, ohne die anderen Verwandten. Vom Mehringdamm und aus dem Hinterhof lärmen rund um die Uhr Verkehr und Menschenstimmen. Nachts ist Party. Wie sollen die Kinder schlafen und sich aufs Lernen konzentrieren? Sivoun und Noura, 9 und 11 Jahre alt, die mit ihren Geschwistern und ihren Eltern gerade noch vor den Bomben aus ihrem Dorf fliehen konnten, gefällt es gut im Kiez und in der Lenau-Schule. Sie haben Freundinnen in ihren Klassen gefunden, sie sind »angekommen« mit ihrer munteren und intelligenten Art. Seit zwei Jahren wohnen sie nun am Mehringdamm. Jetzt brauchen sie nur noch eine Wohnung mit eigener Küche. Am liebsten aber hier »bei Kreuzberg!« Die Familie von Intisar hat es schließlich auch geschafft. Sie haben jetzt eine eigene Wohnung, allerdings in Hannover. Sie sind schon umgezogen. Alles Gute und - »Be you«! • |