Dez. 2019/Jan. 2020 - Ausgabe 215
Geschäfte
Erscheinungen in der Apotheke von Ina Winkler |
Es herrscht Novemberstimmung, auch in der Apotheke. Da betritt ein seltsames Paar das Eckhaus. Es ist November, fünf Grad, seit Tagen Nieselregen und grauer Himmel. Und es ist erst vier Uhr nachmittags, aber schon wieder dunkel. Die Leute haben Schnupfen, Husten, Kopfschmerzen und schlechte Laune. Alles ist ansteckend, und die drei Mitarbeiter in der Apotheke mit ihren hölzernen Regalen und den alten Emailleschildern haben alle schon schlechte Laune von den vielen Menschen, die hüstelnd und fiebernd vor ihnen stehen und kaum mehr ein Lächeln übrig haben für die Apotheker, die zwischen den Medikamentenschränken und dem Tresen hin- und herlaufen. Da betritt ein Pärchen den Raum: Sie mit kurzem Rock und langem, vier mal um den Hals gewickeltem Schal, brav beim Mann untergehakt. Er mit Pudelmütze, Bart und Norwegerpullover. Kaum stehen sie vor der Apothekerin, zieht sie den Arm aus der Schlinge, stellt die Sporttasche auf den Boden und sagt: »Also, ich hab da im Schaufenster so ein Badesalz gesehen, Latschenkiefer, ich glaube das täte mir ganz gut. Sagen Sie, es sieht ja noch so herbstlich aus bei Ihnen im Fenster, diese ganzen welken Blätter. Sie hatten doch letztes Jahr zu Weihnachten so eine schöne Deko mit einem Weihnachtsbaum unterm Regenschirm, auf den es die ganze Zeit herabschneite. Bauen Sie das dieses Jahr wieder auf ? ...« »Meinen Sie das Ölbad von Kneipp oder das von Dermasel ?« fragt die Apothekerin, der die quirlige Kundin womöglich ein bisschen zu viel redet für diese Uhrzeit. »Oh, das weiß ich nicht, es steht draußen im Schaufenster gleich neben dem roten Eichenblatt...« – »Rote Packung oder grüne?« – »Ich glaube grün, aber rot würde eigentlich besser passen, weil ... « Die Apothekerin kürzt das womöglich weit abschweifende Gespräch ab, indem sie hinter der Theke hervorkommt, einen weiten Bogen um die Sporttasche der Kundin macht, zum Schaufenster geht und sich über die Rückwand beugt. »Sie meinen das von Dermasel, das grüne!«, verkündet sie. »Ich hoffe, es ist nicht das letzte...«, wendet die Kundin ein. »Dann möchte ich das auf keinen Fall, Sie können doch die schöne Dekoration nicht einfach kaputt machen! Eigentlich bin ich doch nur wegen dieser Deko hier. Wann kommt denn die Weihnachtsdeko wieder? Wird das wieder mit Schnee und Regenschirm und Hirschen und Fachwerkhäuschen ? ...« »Ja. Genau. Mit Regenschirm und Tannenbaum!«, nickt die Apothekerin und zieht auf dem Rückweg zur Theke das grüne Badesalz aus dem Verkaufsregal. »Wünschen Sie sonst noch etwas?« »Ach, wissen Sie, wo wir doch schon mal hier sind...« - Die Apothekerin wirft die Stirn in tiefe Falten, aber die Kundin fährt fort: »...und wenn schon mal der Mann bezahlt... hihi...« Die Apothekerin, unsicher, ob sie ihre unterhaltsame Kundin nun belächeln oder bemitleiden soll, wirft in ihrer Ratlosigkeit einen Blick auf den Mann an ihrer Seite. Doch dessen erstarrte Mundwinkel lassen nicht die geringste Hoffnung auf ein klärendes Lächeln oder freundliches Zwinkern zu, die Frau mit dem auffallend sonnigen Gemüt bleibt der Apothekerin ein Rätsel, und einen Moment lang wirkt sie tatsächlich hilflos. »Also, ich habe so einen Husten, und Sie hatten mir kürzlich mal was mit Efeublättern gegeben, das war ganz gut.« – »Tropfen oder Sirup?« Zum ersten Mal trennt eine Sekunde der Stille das Zwiegespräch, die Kundin ist unentschlossen. »2.90 und 4.20«, sagt die Apothekerin. »Ich nehme die Tropfen!«, entscheidet die Kundin. »Sirup ist mir zu süß!« »Darf es sonst noch etwas sein!«, fragt die Apothekerin und hat sich schon ein klein wenig von ihrer Kundin ab- und ihrer Kasse zugewendet, da sagt die Kundin: »Ja!« Ob die Apothekerin in diesem Augenblick eventuell die Augen zum Himmel verdreht, ist aus der Position des Publikums nicht ersichtlich. Als sie sich jedoch wieder umdreht, zeigt sie ein freundliches Gesicht. »Ja, wissen Sie, ich muss immer so viel spülen!«, holt die Kundin aus, »und das mögen wir Frauen ja gar nicht. Unsere Hände auch nicht. Und ich habe gehört, es gibt da so eine Creme, die man vor dem Spülen aufträgt. Damit die Hände schön bleiben.« Die Apothekerin nickt freundlich. »Sie meinen Excipal. Kostet 7,95.« - »Das nehmen wir, oder ?« - Sie wirft dem Mann an ihrer Seite einen lächelnden Blick zu. Doch der vermeintliche Norweger ist schweigsam und verzieht keine Miene. »Ist doch Weihnachten!«, sagt die vermeintliche Südländerin. »Sagen Sie, was schenken denn die anderen hier so zu Weihnachten? Entspannungsbäder? Wohlfühl-Tee? Rheumasalbe? Hübsche Döschen mit Cremes. Viagra vielleicht? Zum Fest der Liebe... hihi...« Ein bisschen lächelt sie jetzt schon, die Apothekerin, die seit Tagen immer nur in diese verschnupften Gesichter gesehen hat und auf einmal diese gut gelaunte Person vor sich hat. Und als sie die hübsche Probepackung mit Früchtetee ins Einkaufstütchen der Südländerin packt, worauf die ausruft: »Ach, ich gehe so gerne in die Apotheke! Da bekommt man immer was geschenkt!« – da muss die Apothekerin tatsächlich laut und herzlich loslachen. »Wir kommen wieder, wenn Schnee im Fenster ist!«, sagt die Kundin, während sie ihren schweigsamen Norweger unterhakt und durch die Tür in den Regen hinauszieht. Woraufhin die Apothekerin ihnen hinterherruft: »Gerne!« • |