April 2019 - Ausgabe 208
Reportagen, Gespräche, Interviews
Die Food-Coop von Erwin Tichatschek |
Die Food-Coop In den Siebzigern beschlossen einige Berliner, direkt beim Bauern einzukaufen. Das war gesünder, günstiger und ein Protest gegen die Lebensmittelkonzerne. Heute gibt es Bio-Supermärkte. Und die Food-Coop in der Bergmannstraße. Man erzählte viel von dem Hauswirtsehepaar, zwei alten Berlinern, die immer wieder mal vorbeikamen in der Bergmannstraße, um in ihrem Haus nach dem Rechten zu sehen. Jeder, der bei ihnen wohnte, konnte sich glücklich schätzen, nicht nur der ruhigen Südlage und der Aussicht wegen, die über die Friedhöfe bis zum Tempelhofer Feld reichte. Vor allem waren die Mieter glücklich, weil die Mieten freundlich waren, und weil diese Wirtsleute nicht auf die Idee kamen, ihr schönes Haus an dahergelaufene Investoren zu verkaufen. Kürzlich, an einem Samstag, traf sich wieder einmal die gesamte Hausgemeinschaft, Mieter und Vermieter. Es war wie früher, man trank Kaffee und plauderte, sogar der Sohn des Ehepaares war gekommen. Auch Julia und Kati von der Food-Coop waren dabei. Drei Tage später hatte die kleine Lebensmittelkooperative, die im kühlen Souterrain der 58 Kartoffeln und Rettiche, Äpfel und Birnen und Ackerfrüchte lagert, die kommentarlose Kündigung im Briefkasten. Nach 40 Jahren. Im Sommer wird der Keller zu Büroräumen. Der Sohn, ein studierter Betriebswirtschaftler, wird alles genau ausgerechnet haben. Ein neues Mietangebot hat er den Mietern nicht unterbreitet. Das Verschwinden der Kooperative aus der Bergmannstraße liegt im Trend der Zeit. Die kleinen Kreuzberger Bioläden mit ihren selbstgebauten Regalen, hinter deren Tresen Frauen mit kurzen und Männer mit langen Haaren standen und von einer anderen Welt träumten, sind sterilen Bio-Supermärkten mit kurzhaarigen Männern und langhaarigen Frauen gewichen. Kein Krümelchen Erde liegt mehr auf dem blanken Steinfußboden, kein Apfel duftet, kein Käse stinkt. Die Bioläden der Gegenwart haben mit dem Gegenentwurf der Siebzigerjahre nichts mehr zu tun, eher mit dessen Feindbildern. Auch die Märkte auf den Straßen haben sich verändert. Der Biomarkt am Chamissoplatz hat noch den Charme der Achtziger, aber am Südstern, wo es neben Kartoffeln und Radieschen Olivenöle aus Italien, Käse aus Frankreich und Wurst aus Spanien gibt, schäumt der Latte Macchiato und tropft der Veggie-Burger. Die jungen Öko-Kundschaft möchte eine Mischung aus Feinkost und Ökokost. Dunkle Keller mit Möhren und Kartoffeln sind nicht das Richtige für sie. »Wir gehören wahrscheinlich zu den ersten und den letzten!«, sagt Margit Huber. Nicht ohne Stolz steht sie vor den Gurken und dem Blumenkohl im Souterrain der Bergmannstraße und deutet auf die Regale. »Manchmal, wenn ich Besuch aus Westdeutschland bekomme, schließ´ ich die Tür zum Keller auf, zeige ihnen diesen schmucklosen Raum voller Gemüse und sage: So sieht Lebensqualität aus! Die Orangen sind zum Niederknien, für 1,67 das Kilo! Zitronen für zwei Euro. Und der Käse, ein Traum! Der Wein aus dem Zellertal. Und der Feldsalat...« Margit Huber kommt ins Schwärmen wie früher nach dem Stones-Konzert. Sie ist seit zwanzig Jahren dabei, zahlt im Monat 150 Euro in die Kasse und kann sich dafür jederzeit »im Laden« bedienen. Sie hat, so wie jeder der Gemeinschaft, einen Schlüssel, sucht sich den Wein, das Gemüse, das Obst aus, legt es auf die Tante-Emma-Waage und trägt den Betrag auf dem Kontoblatt ein, den sie dafür bezahlen muss. »Hier konnte man schon vor 40 Jahren bargeldlos einkaufen! Und zwar ohne Plastikchip!« Plastik ist verpönt in der Bergmannstraße, nicht erst seit heute. Der Käse - »und der ist ganz ausgezeichnet!« – liegt in einem Holzschrank mit Fliegengitter, wo er weiter reifen kann. Auch der Wein hat hier die idealen Temperaturen. Während in den Medien gerade aufgeregt über Verpackungsmüll diskutiert wird, lagert man in der Bergmannstraße Körner und Hülsenfrüchte seit 40 Jahren in Tonnen und packt sie in Papiertüten wie im Kaufmannsladen anno 1950. Tatsächlich ist der Keller ein bisschen wie ein Kaufmannsladen, und so wie früher im Spielzimmer tauschen die Mitspieler die Rollen, mal ist man vor, mal hinter der Theke. Denn die 40 Schlüsselbesitzer dürfen nicht nur gut und günstig einkaufen, sie müssen die Ware auspreisen, einsortieren, kehren, Müll entsorgen und sich um die Buchhaltung kümmern. Er ist nicht umsonst, er macht Arbeit, der Kaufmannsladen mit der hübschen Waage auf dem Tisch. Aber das macht nichts, denn die Leute hier »haben in der Regel mehr Zeit als Geld.« Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren auch nicht viel geändert. Überhaupt sind die Leute irgendwie gleich geblieben. »Wenn jetzt junge Paare in die Coop eintreten, tragen die Norwegerpullover und selbstgestrickte Schals. Die sehen fast wieder so aus wie in den Siebzigern«. Fehlen nur noch die Jesuslatschen. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den neuzeitlichen Ökofreaks und den heute 60-jährigen Gründern der Bewegung, die nicht nur ihre Ernährung, sondern gleich die ganze Gesellschaft verändern wollten. Aber im Grunde ziehen Jung und Alt am selben Strang. Schließlich hat sich die Situation seit den Siebzigern nicht verbessert. Im Gegenteil, die schlimmsten Befürchtungen von damals sind heute Realität. Durch Antibiotika verseuchte Lebensmittel fordern Todesopfer, der Klimawandel stürmt voran, und die junge Generation misstraut den Biokonzernen ebenso wie die Gründergeneration einst der Lebensmittelindustrie. Sie geht auf die Straße und schwänzt die Schule. Sie hat genug von Alnatura und Bio Company mit ihren Sonderangeboten und Treueherzchen, deren Geschäftsführer sich von denen konventioneller Lebensmittelketten nicht mehr unterscheiden lassen. Die keine andere Philosophie verfolgen als ihre Geschäftsphilosophie. Das war Anfang der Siebzigerjahre noch etwas anders. Tom Albrecht, Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft der Lebensmittel-kooperativen, gehört zu den Gründern der Foodcoop Bergmannstraße. »Es fing an mit dem Ökodorf auf einer Fabriketage in der Kurfürstenstraße. Aus diesem Ökodorf wurde die Ufa-Fabrik mit eigener Lebensmittel-Kooperative, eigener Bäckerei, Kinderbauernhof und Kita. Die Ufa war für kurze Zeit ein Stück heile Welt, schien ein gelungener erster Schritt zur Verwirklichung der Vision zu sein. »Es hatte sich ein starkes alternatives Bewusstsein in der Stadt entwickelt, und zwar auf allen Ebenen. Man misstraute den Lebensmittelkonzernen und wollte Kleinbauern unterstützen. Und man wollte wissen, was man isst.« So gründete sich 1976 in der Grunhildstraße die Foodcoop, die dann 1979 ins Souterrain der Bergmannstraße Nr 58 zog. Die Idee war, direkt beim Öko-Bauern einzukaufen, ihm einen fairen Lohn zu zahlen und den profitorientierten Lebensmittelkonzern zu umgehen. Wobei man sparen konnte, da die Kartoffeln beim Bauern viel günstiger waren. Parallel zu diesen Selbstversorgern öffneten die ersten Bioläden, »die damals noch nicht so hießen, und die auch nicht nur Lebensmittel anboten«, sondern Patschuli, Seidentücher und kleine Silberpfeifen. Die ersten beiden hießen Sesammühle und Peace Food, später eröffneten in Kreuzberg Mandala oder Natürlich Naturkost. Namen, die deutlich machten, dass man mehr wollte als nur gesundes Gemüse. Bis heute zeugen die Wortspiele der 88 registrierten Lebensmittelkooperativen in Deutschland von optimistischem Ideenreichtum. Sie heißen Onkel Emma, Beißwat! oder Tu ess und preisen die biologische Vielfalt: Schachtelhalm, Rübchen, Maiskolben und Plattsalat. An der Kellerwand der Nr. 58 hängen noch die Bilder aus alten Tagen. Da saßen sie in ihren Latzhosen beim regelmäßigen Plenum auf Stühlen vor dem Haus in der Sonne und rauchten. Da führten sie Grundsatzdiskussionen, da fielen Wörter wie Revolution und Widerstand. »Wir haben natürlich Abstriche von den Idealen machen müssen!«, sagt Tom Albrecht. »Dass wir raus aufs Land fahren und bei den Bauern mithelfen, ist heute eine Seltenheit.« Aber es kommt noch vor, dass sie zum Streuobstsammeln rausfahren. Ein bisschen von den alten Idealen haben sie hinüberretten können in die Realität. Auch die Idee einer intakten Gemeinschaft, die ohne Regeln und Kontrollen funktioniert. In der nicht jeder zuerst an sich denkt. So wie im Supermarkt, wo jeder das Schälchen mit den schönsten Erdbeeren sucht. »Bei uns kann man sich nicht immer den schönsten Apfel aussuchen, man muss auch mal den mit der braunen Stelle nehmen.« Sonst landet er auf dem Müll. Etwa 15 % des Einkaufs landen dort. Das ist nicht viel, aber auch diese 15 % hat jeder mitbezahlt. So trägt jeder ein Stück Mitverantwortung, und ohne gegenseitiges Vertrauen würde diese kleine Kellergesellschaft nicht funktionieren. |