April 2019 - Ausgabe 208
Geschäfte
Motorräder aus der Blücherstraße von Horst Unsold |
Motorräder sind kein Geschäft und kein Fortbewegungsmittel. Sie sind vor allem ein Vergnügen. Jörg Steinig ist nicht einer von denen, die tagelang über Geschäftsideen brüten, um am Ende ein ausgefeiltes Konzept auf irgendeinen Banktresen zu legen und einen Kredit aufzunehmen. Als Jörg Steinig vor 39 Jahren den Laden in der Blücherstraße 31 anmietete, stand er jeden Morgen um zwei Uhr auf, um bei einer Großbäckerei die Bleche zu säubern und anschließend mit dem Lieferwagen die Stadt mit Brot und Brötchen zu versorgen. Acht Stunden später hatte er Feierabend, fuhr mit seiner alten Honda in die Blücherstraße, wo es nicht mehr nach frisch gebackenem Brot, sondern nach Öl und Benzin roch. Und machte um 14 Uhr den Laden auf: Seinen Motorradladen. »Ich war immer nur müde, nur hungern musste ich nicht. Schrippen gab´s ja genug.« Steinig ist weniger Geschäftsmann als Motorradfahrer. 20 Jahre war er alt, als er für 450 Mark den kleinen Laden mit Ölheizung in der Blücherstraße anmietete und zu schrauben begann. Und da schraubt er heute noch. Das Schrauben an den Motorrädern macht eben Spaß. Foto: Dieter Peters
In der Ecke steht so ein altes Schmuckstück, das haben sie in den Neunzigern einmal für den Chef von Poco gebaut. Ein schicker, blau-silberner Chopper, alles Handarbeit aus der Blücherstraße, mit Intarsien aus echtem Gold auf dem Tank. Als der Teppichhändler seinen Siebzigsten feierte, stellte er das 300 Kilo schwere Stück in der Garage ab, und jetzt steht es wieder da, wo es einmal herkam: In dem kleinen Laden in der Blücherstraße. Es glänzt und glitzert wie neu, kostet aber nur noch einen Bruchteil von jenen 30.000, die es 1996 wert war. Alle Motorräder von AME sind Einzelstücke. Vier Pokale hat der Laden bereits im Regal, Auszeichnungen in der Kategorie CustomBikes. »Die Leute kommen herein und sagen, wir hätten gern diesen Motor und etwa dieses Gestell, aber mit .... - Und dann bauen wir ihnen das zusammen. Geht nicht gibt´s bei uns nicht. Wir haben noch eine Fräse da hinten, eine Drehbank, wir können so ziemlich jedes Ersatzteil nachbauen. Und das wissen die Leute. Und deshalb kommen sie immer wieder. Das ist wie beim Zahnarzt. Den wechselt man auch nicht so schnell, wenn die Zähne halten.« Foto: Dieter Peters
Und weil die helmtragende Kundschaft weiß, dass eine ganze Menge möglich ist, kommt sie manchmal mit ziemlich außergewöhnlichen Wünschen. Mal möchte sie einen Tank aus echtem Gold, mal einen mit Diamanten besetzten Spiegel. »Wir haben ja hier schon auch so´n bisschen Prominenz! Und in der Regel kriegen wir auch alles hin, nur einmal mussten wir passen. Da wollte jemand eine Windschutzscheibe mit Dioptrien. Die wollte uns kein Optiker machen.« Auch die härtesten Harleyfahrer werden eben irgendwann älter. Sie sehen schlecht, der Rücken schmerzt, sie können die 300 Kilo nicht mehr halten. Und dann steigen sie ab. Und es steigen leider keine Jungen mehr auf. Die jungen Leute, die heute nach Berlin kommen, steigen aufs E-Bike oder den E-Roller. Und rauchen nur E-Zigaretten. Es könnten also schwierige Zeiten zukommen auf die Harley-Spezialisten unter den Zweirad-Mechatronikern, wie sie heute heißen. Aber irgendwie können sie sich das hier alle nicht vorstellen, dass es einmal nur noch Menschen geben könnte, die ohne diesen Geruch von Benzin, Gummi und frischer Landluft leben können. Man steigt ja nicht auf seine Harley, nur um von A nach B zu kommen. Man steigt auf die Harley, um das Leben zu genießen. Koste es, was es wolle. • |