September 2018 - Ausgabe 202
Reportagen, Gespräche, Interviews
Its only Rock´n´Roll von Michael Unfried |
In der Markthalle am Marheinekeplatz präsentierte die Browse Gallery zwischen 2010 und 2015 fünfzig Ausstellungen. Als sie die Halle verließ, wurde es ruhig um sie. Jetzt macht sie wieder auf sich aufmerksam. Es ist ein Augustnachmittag in der Bergmannstraße. Von Westen fällt die Sonne in die Straße, es ist heiß. Keiner der Touristen oder der Kreuzberger sieht das Transparent, das über ihren Köpfen zwischen den Eingängen der beiden Supermärkte mit ihren Regalen voller Wasser, Cola, Bier aufgespannt ist. »Daring to Dream - 50 Years of Photo Design: Hipgnosis.« Das Transparent zeigt einen Herren in einem brennenden Anzug, eines der berühmtesten Plattencover der Popgeschichte. Es soll Passanten in den Hinterhof des ehemaligen Umspannwerks locken, in den seit dem Umbau Arztpraxen und Geschäfte um Kundschaft werben, Restaurants und Cafés öffnen und gleich wieder schließen, weil kaum jemand den Weg in den Hof findet. Der 200 Quadratmeter große Raum am südwestlichen Ende des Hofes steht seit der Eröffnung des Ärztehauses leer, an den rohen Betonwänden lehnen Metallschienen, in den Ecken stehen Baumaterialien, ausgediente Stühle, stehengebliebene Maschinen. Niemand hat den Mut, hier hinten, am Ende der Bergmannstraße, noch irgendetwas anzufangen. Doch draußen, vor der Scheibe, stehen Sabine Drwenzki und John Colton von der Browse Gallery und drücken sich die Nasen platt. In ein paar Wochen wollen sie ihre Bilder dort aufhängen. Die beiden haben einen Überschuss an Phantasie, sie sehen glänzende Städte, wo andere nur noch Ruinen sehen. 250 Lampen haben sie gekauft, um Licht in die Dunkelheit des Hinterhofes zu bringen. Weder der Müll noch die entlegene Lage lassen sie zurückschrecken. Sie sind überzeugt, dass ihre Bilder auch in diesem lichtscheuen Hinterhof von der Welt gesehen werden. Weil sie gut sind. Sie könnten recht behalten. Colton und Drwenzki haben immer an ihre Ideen geglaubt. Zwischen 2010 und 2015 haben sie in 50 Ausstellungen auf der Empore der Markthalle am Marheinekeplatz versucht, die Kreuzberger von den Wurst- und Käseständen weg in ihren Kulturraum zu locken. Sie blätterten die Geschichte der Kreuzberger Nachkriegsboheme auf, porträtierten in vielen Einzelausstellungen die Künstlerclique um Kurt Mühlenhaupt, stellten fast schon vergessene Maler wie Friedrich Schröder Sonnenstern, Günter Bruno Fuchs oder Artur Märchen vor. Bei alledem hatten sie stets einen politischen Ansatz, was schon die erste Ausstellung mit dem Karikaturisten Klaus Stuttmann deutlich machte, in der sie auch Bilder zeigten, die der Tagespresse zu radikal erschienen waren. Nach Stuttmann kamen der Fotograf Wolfgang Krolow und das Satiremagazin Titanic, es folgten Ausstellungen über die Gentrifizierung Kreuzbergs, über Georg Elser oder die Jugendopposition in der DDR oder die Kreuzberger Kultband Ton Steine Scherben. »Da kamen ein paar hundert Leute zur Eröffnung!«, sagt Sabine Drwenzki. »Unser Ziel war immer, die Leute zusammenzubringen und zum Nachdenken anzuregen.« Über Kreuzberg und den Rest der Welt. »Deshalb haben wir Themen gewählt, die ein breites Publikum ansprechen«, sagt Colton. Musik ist so ein Thema. Rock´n´Roll. »Der hat immer eine große Rolle gespielt in dieser Stadt! Ich erinnere mich an einen Artikel im Guardian über ein Konzert von Bruce Springsteen in West-Berlin. Da dachte ich, da muss ich hin. Und 1988 stand ich dann auf dem Dach irgendwo in der Körtestraße und hab von da oben das Pink Floyd-Konzert gesehen.« Auch zwischen 2015 und 2017 versuchte die Browse Gallery, die seit der Kündigung des Mietvertrages für die Empore der Marheinekehalle keinen festen Standort mehr hat, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was im üblichen Kulturbetrieb unterbelichtet bleibt. Sie ziehen mit Ausstellungen über Kreuzberger Künstler durch ganz Deutschland, kooperieren im Ausland mit dem Goethe-Institut und treten mit Aldona Gustas, einer der letzten aus der Riege der Kreuzberger Malerpoeten, auf der Leipziger Buchmesse auf. Das bislang größte Wagnis war das Browse Fotofestival in den Jahren 2012 und 2013. »Das drohte jederzeit zu kippen«, es war extrem schwierig, alles zu koordinieren: »Flüge, Hotelzimmer, Bilder, den Aufbau der Zelte - mit drei Leuten!« Sie hatten die besten Reportagefotografen der Welt eingeladen, und fast alle waren gekommen, um von ihren Erlebnissen in Kriegsgebieten und Krisenregionen zu erzählen. Um jene Bilder zu zeigen, die Zeitungen und Magazine nicht mehr druckten. Die der Weltöffentlichkeit vorenthalten wurden, weil sie nicht nur die hässliche Seite dieser Welt zeigen, sondern ihre grässliche Fratze. Die Bilder, die die Browse Gallery damals ausstellte, waren beeindruckende Zeugnisse der Unmenschlichkeit, und es war die bislang größte Enttäuschung für die Ausstellungsmacher, dass kein Fernsehsender, keine deutsche Zeitung darüber schrieb. Während die BBC und die Zeitungen im Ausland ausführlich berichteten, herrschte im deutschen Blätterwald ein unerklärliches Schweigen. Das machte das Fotofestival zu einem finanziellen Desaster, da die Browse Gallery angesichts der Dringlichkeit ihrer Aufgaben auch nicht davor zurückschreckt, in die eigene Börse zu greifen, wenn die öffentlichen Mittel nicht ausreichen. Abschrecken lässt sich die heimatlose Galerie von diesen Rückschlägen allerdings nicht. Seit Monaten schon arbeiten Duscha Rosen, Sabine Drwenzki und John Colton an der neuen Ausstellung. Sehen keine Sonne mehr, sitzen tagelang in einem Keller vor ihren Bildschirmen und sortieren die Bilder von Rockstars wie The Who, Led Zeppellin, Peter Gabriel oder Paul McCartney. Widmeten sie ihre Aufmerksamkeit bislang einem kleinen Kreis Kreuzberger Künstler und ihrem politisch-sozialen Umfeld, sind es diesmal eher internationale Stars aus dem Showbusiness. John Colton hebt lässig die Schultern und grinst: »Ok, thats right: Its only Rock´n´ Roll. But I like it!« Natürlich weiß er, dass Rock´n´Roll mehr war als nur Spaß. Die Vinyl-Platten der Sechziger und Siebziger waren die musikalischen Begleiter der 68er-Revolten, sie waren so etwas wie die Marschmusik des 20. Jahrhunderts. Und die Plattencover waren so etwas wie ihre Fahnen. Einige dieser Titelbilder, die zu regelrechten Ikonen und Klassikern der Rockära geworden sind, die auch im Zeitalter der CD-Hüllen noch im kollektiven Gedächtnis der jüngeren Generationen gespeichert werden, kamen von Storm Thorgerson und Aubrey Powell: Zwei Filmstudenten, die 1968 die Dunkelkammer des Royal College of Art nutzten, um ein Plattencover für einen ihrer Schulfreunde zu machen. Die Band des Schulfreundes nannte sich Pink Floyd, das Album A Saucerful of Secrets. Platte und Cover wurden ein derartiger Erfolg, dass die beiden das Studium aufgaben und stattdessen ein Studio eröffneten, in dem sich die Bandmitglieder von Pink Floyd, Led Zeppelin oder den Stones die Klinke in die Hand gaben. Sie nannten es Hipgnosis und wurden zur Legende. »Daring to Dream!« lautet der Titel der aktuellen Ausstellung - »Zu träumen wagen!«. Der Titel könnte über dem Gesamtkonzept der Browse Gallery stehen, doch auch den Grafikern von Hipgnosis ging es damals um die Verwirklichung gewagter Träume. Sie bestanden darauf, dass ihr Cover ein eigenständiges Kunstwerk ist und keiner weiteren Erklärung bedarf. Zum Entsetzen der Plattenfirmen konnten sie auch die Bands davon überzeugen, dass Buchstaben auf dem Bild nichts zu suchen hätten, weder der Name der Band noch der Titel der LP. Und dass sich ein kleiner Platz für die Ikonen der Rockmusik höchstens auf der Rückseite einrichten lasse. So kam es, dass das phaszinierendste Pink Floyd-Album aller Zeiten nichts anderes zeigte als eine Kuh auf der Weide, die die Mutter des Universums darstellen könnte: Atom Heart Mother. Die Devise lautete damals ganz eindeutig und politisch vollkommen korrekt: Kunst statt Komerz. Heute hätte die Kunst gegen den Kommerz kaum eine Chance. Doch nicht immer konnten die Grafiker ihre Träume verwirklichen. Es gab Ideen, die sie zwar zu träumen gewagt hatten, die aber niemals Wirklichkeit wurden. Die Browse Gallery hat lange im Fundus des Plattengrafikbüros gestöbert und dabei Entwürfe zutage gefördert, die in den Archiven zu verstauben drohten. Einige von ihnen werden dank der 250 neuen Glühbirnen in der Bergmannstraße nun ins rechte Licht gerückt. Darunter sind Aufnahmen aus Fotosessions, sowie Entwürfe, die bislang noch nicht zu sehen waren. Auch jener von Wild Horses inspirierte Titel für das Stones-Album Sticky Fingers, auf dem sich Jagger & Co zentaurenhaft aus den Rümpfen weißer Pferde recken, wird in der Bergmannstraße Nummer 5 zu sehen sein. Ebenso wie das rosa Titelschwein auf dem Album Animals, das Roger Waters als Heliumballon über dem Industrieviertel Londons aufsteigen ließ und das sich - eine der skurrilsten Anekdoten der Popgeschichte - von der Leine riss und in solche Höhen vorstieß, dass der Flugverkehr gestört wurde und das Militär in Erwägung zog, das unerwünschte Flugobjekt vom Himmel zu schießen. Es kam jedoch zu einer friedlichen Landung auf einer Kuhweide. So erzählen die Aussteller - neben den visuellen Eindrücken aus dem Studio von Hipgnosis - einige »faszinierende, amüsante und aufschlussreiche« Hintergrund-Geschichten, die zumindest eine Ahnung von der großen Freiheit und den riesigen Budgets vermitteln, die Hipgnosis in den 70er-Jahren für ihre epischen Bildideen und extravaganten Fotoshoots zur Verfügung standen. In the age of Rock´n´Roll«, sagt Powell nicht ohne kritischen Seitenblick auf das heutige Musikgeschäft, » you could do great things – if you had the balls to do it!” • |