September 2018 - Ausgabe 202
Herr D.
Der Herr D. kapituliert von Hans W. Korfmann |
Von der Aufrüstung der Staatsmacht. Der Herr D. war sich nicht sicher, ob er das kleine Café mit seinen vier Tischen des Marmorkuchens wegen oder nur deshalb schätzte, weil dort immer die gleichen Leute saßen, die immer das gleiche erzählten und somit eine beruhigende Langeweile in dieses sich ständig verändernde Stadtleben brachten. Eine dieser Veränderungen war kürzlich bis in sein Eiland der Glückseligkeit vorgedrungen, in Form dreier uniformierter Gestalten. Die Cafégäste hatten die zunehmende Präsenz des Ordnungsamtes zunächst begrüßt, insbesondere der Fahrradfahrer wegen, die auf der holprigen Heimstraße den Gehweg bevorzugten und dann mit Höchstgeschwindigkeiten zwischen den vier Cafétischen hindurchrasten, dass die Tassen klapperten. Doch mit der Zeit mussten die Gäste feststellen, dass es dem Ordnungsamt nicht um den Erhalt einer Ordnung ging, sondern darum, Geld für die Staatskasse zu sammeln. Die Uniformierten, die sich dem Café mit finsteren Minen und so knappem Gruß näherten, dass alle Gäste ein schreckliches Verbrechen vermuteten, schritten das Territorium ab, fotografierten und verkündeten am Ende ihr Urteil: Der Stuhl und der Tisch, die eigentlich für die alte Hausbesitzerin im Schatten der Einfahrt standen, seien nicht genehmigt. Dann überreichten sie der irritierten Cafébesitzerin ein Schreiben, zu dem sie sich »schriftlich äußern« könne, und zogen, verfolgt von den verdutzten Blicken der Gäste, weiter. »Das kann doch der Sinn der Sache nicht sein, dass man einer Cafébesitzerin mit vier Tischen in einer friedlichen Seitenstraße das Leben schwer macht, während sie in der Bergmannstraße 50 Tische auf die Straße stellen und die Strafe aus der Trinkgeldkasse bezahlen.« Am nächsten Morgen radelte der Herr D. gemütlich auf dem Radweg, als ihn unmittelbar hinter sich lautes Hupen erschreckte. Ein Taxifahrer drohte mit der Faust, da der Herr D. zu langsam gefahren war und ihm bei der Einfahrt zum Parkplatz im Wege war. Da sah er auf der anderen Straßenseite vier Uniformierte, die das Jüdische Museum beschützen sollten. Er radelte hinüber und fragte den jungen Mann mit der Mütze: »Haben Sie das gesehen?« »Nein«, antwortete der Beamte. - »Das hab´ ich mir schon gedacht!«, sagte der Herr D. - »Warum fragen Sie dann?« - »Gute Frage. Aber ich hatte noch die Spur einer Hoffnung!« Der Mann hob die Schultern und zog die Unterlippe herunter. »Und das Hupen haben Sie natürlich auch nicht gehört?«, fragte der Herr D. - »Nein!« - »Dann sind Sie allerdings taub und für diesen Dienst vollkommen ungeeignet!«, sagte der Herr D., stieg in die Pedale und radelte los. Aber die Kollegen des tauben Beamten hielten ihn nach wenigen Metern wieder an und sagten: »Würden Sie bitte absteigen, das hier ist ein Gehweg.« • |