Oktober 2018 - Ausgabe 203
Reportagen, Gespräche, Interviews
Silicon Kreuzberg von Edith Siepmann |
Google zieht ins Umspannwerk am Landwehrkanal. Die einen sehen dem Konzern gelassen entgegen. Die anderen gehen auf die Brücke. Ein Monument der geschwisterliche Liebe zwischen Kreuzberg und Neukölln ist die Hobrechtbrücke. Leicht verlottert verbindet sie das Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer mit dem Neuköllner Maybachufer. Ein bekritzeltes und mit kleinen Zetteln beklebtes Brückengeländer – Liebesschwüre, Aufrufe, Witze – ein knutschendes Liebespaar, ein kackendes Hündchen. Viele Passanten bleiben stehen, weil sich ihr Blick in den Fluten des Landwehrkanals mit seinen trauerweidenbehangenen Ufern verliert – das Wasser je nach Himmel grünlich oder schmutzig-braun. In dieses Idyll brechen immer öfter Blaulicht und Sirenengeheul ein. Das Arkadien scheint aus den Fugen zu geraten. Was ist hier los? Auf dem Brückenbeton ein greller Satz in Rot: Fuck off Google! Auf der Kreuzberger Seite des Ufers steht ein imposanter Industriebau der Zwanzigerjahre: das riesige Umspannwerk des Architekten Heinrich Müller. Wegen seiner basilikaähnlichen Form wurde ihm schon bald der Ehrentitel »Kathedrale der Elektrizität« verpasst. Als 1920 der Großraum Berlin geschaffen wurde, hatte die Stadt bereits über 4 Millionen Einwohner und eine ansehnliche Industrie, und damit einen riesigen Bedarf an Elektrizität. Sie wurde in den Kraftwerken produziert – als Drehstrom, der für den Endverbraucher auf Wechselstrom transformiert werden musste. Und die gelieferten 30.000 Volt mussten auf 220 Volt gebracht und verteilt werden. Das waren die Aufgaben der Umspannwerke, die seit den Zwanzigerjahren überall in Berlin entstanden. So auch an der Kottbusser Communication, dem späteren Paul-Lincke-Ufer. Hans Heinrich Müller entwarf mehr als ein Dutzend der Berliner Umspannwerke. Seine rötlichen Bauten leben aus der Verbindung von norddeutscher Backsteingotik und expressiver Moderne, aus einer Fusion von Sakralbau und Fabrik. Aus ihrem ernsten, erhabenen Erscheinungsbild spricht eine Vergötterung des Technischen - wie geschaffen für die Götter der Digitalisierung unserer Tage. Als das Werk 1984 geschlossen wurde, stand es plötzlich unbenutzt und etwas verloren in der Gegend. Heute arbeiten dort zahlreiche Unternehmen mit klingenden Namen: asquera GmbH, innoQ, SysEleven (»Unsere Aufgabe ist, Verantwortung zu übernehmen«), Red Bull Music, BLUE TAP, conixh. Gleich am Eingang fordert COYA, »Europas digitaler Versicherer der Zukunft«, den Besucher auf: BE BOLD! Sei wagemutig! Im November 2016 verkündete Google auf einer Pressekonferenz, in dem Kreuzberger Umspannwerk einen Campus Berlin einzurichten. Die Kreuzberger Grünen sorgten zunächst für eine Verzögerung, die Baupläne wurden von dem Baustadtrat als unzureichend und inakzeptabel zurückgewiesen. Das sei jedoch keine Ablehnung des Vorhabens, wurde eilfertig versichert. Die für den Herbst 2017 geplante Eröffnung allerdings wurde auf den Herbst 2018 verschoben und könnte jetzt unmittelbar bevorstehen. Doch im Gebäude weiß niemand, wann Google eröffnen will. »Seit Februar wird gebaut, aber sonst ist niemand von denen zu sehen.« Was plant Google? Was will der Konzern in Kreuzberg? Sein deutsches Hauptquartier bleibt weiterhin in Hamburg, sein Berlin-Sitz in Mitte. Und im Campus Berlin im Umspannwerk sollen grade mal 10 Google-Mitarbeiter tätig sein. Und nicht die ganze Kathedrale, sondern ein Drittel des Gebäudes, knapp 3000 m², sollen bespielt werden. Wozu also die ganze brodelnde Aufregung, die aufgebrachten Demos, das kurvende Blaulicht? Der Berliner Campus ist der siebente weltweit – die anderen sind in London, Tel Aviv, Sao Paulo, Warschau, Seoul und Madrid. Die Konstruktion ist immer die gleiche: Google schart zukunftsträchtige Techno-Start-Ups und internetbasierte Dienstleister um sich, fördert die zukunftsträchtigen und verleibt sich die besten ein. Es entsteht so etwas wie eine große Familie der Kreativen, man kommuniziert und scherzt miteinander, tauscht Ideen aus, empfängt Anregungen, irgendwo steht ein Tischtennistisch, man entwickelt Ideen am Kicker. Flache Hierarchien, legere Kleidung, man duzt sich. Dass die Realität für viele Betroffene sich weniger easy gestaltet, steht auf einem anderen Blatt. Was verspricht sich der Konzern davon? Das Betriebsgeheimnis aller Internet-Giganten ist die Innovation. Die Nase vorn hat in der rasenden Digitalisierung der Welt, wer die größten und schnellsten profitablen Sprünge macht. Dazu reicht Google der eigene Angestelltenstab nicht aus: Wo immer zukunftsträchtige Ideen blühen, sollen sie aufgesogen, vielversprechende Arbeitskräfte einverleibt werden. Deshalb werden die Campus-Aktivitäten dort eingerichtet, wo das Unkonventionelle, das Junge, das Innovative beheimatet ist: zum Beispiel in Kreuzberg. Dort etabliert sich schon seit Jahren ein Netz von internetbasierten Start-Ups. Sie zehren von der vielgerühmten Kreuzberger Kreativität, mitten in deren Niedergang - wie Geier sich von Aas ernähren. Die schmuddelige Opposition und der nicht ganz nüchterne Widerstand der subversiven Kreuzberger verkehren sich bei dieser Transformation in einen ausgeschlafenen und sittsam-systemkonformen Opportunismus. Und nun werden die jungen Tech-Kreativen ihrerseits zu Futter für den großen Hunger eines Global Players, und sie stimmen ihrem Gefressenwerden jubelnd zu. Google hat übrigens schon früher Erfahrungen in Kreuzberg gesammelt: Seit ihrem Beginn 2012 unterstützt der Konzern die Factory am Görlitzer Park in Treptow, einen Tummelplatz von Techno-Start-Ups und Firmen wie SoundCloud, 6Wunderkinder (inzwischen von Microsoft geschluckt), Zendesk, Twitter und Mozilla. Warum also wächst in Neukölln und in Kreuzberg jetzt eine derart heftige Abneigung gegen die neuen, harmlos erscheinenden Pläne von Google? Und warum wurden überall in der Welt die Campus-Gründungen mit dem zentralen Motto Fuck off google begrüßt? Die Campus-Gegner kommen aus der Umgebung und aus aller Welt, es wird viel getanzt und gelacht. Einige haben überhaupt nichts gegen Google, möchten die Großmacht aber nicht in ihrem Kiez haben. Ein Demonstrant erklärt: »Vielleicht können wir Google überzeugen, uns in Ruhe zu lassen und sich lieber in Adlershof niederzulassen.« Andere Protestierende werden konkreter: Die örtlichen kleinen Start-Ups und Start-Up-Ambitionierten zieht es in die Nähe der großen und bewunderten potentiellen Mutter. Wohn- und Geschäftsräume für die hoffnungsvollen Tech -Kreativen werden den Druck in dem schon angeheizten Wohnungsmarkt rund um die Hobrechtbrücke erhöhen, die Mieten werden steigen, die weniger Betuchten werden verdrängt werden - so die verbreitete Befürchtung. Und was damit verbunden ist und schon ein Schlaglicht auf das Zukunftstrauma wirft: Wie bei allen Gentrifizierungsprozessen wird das Ergebnis eine Einebnung des wohltuend Chaotischen, eine Kämmung des Widerborstigen, ein Gleichmachen der lebendigen Verschiedenheit der Lebensformen sein. Als Schreckgespenst grüßt das Geschick des Prenzlauer Bergs hinüber. Bei den Besitzern der kleinen Läden gegenüber in der Ohlauer ist die Stimmung gemischt. Ob sie Sorgen haben wegen Google? Der Mitarbetiter im Docter Händy grinst scheinbar unbekümmert: »Nö, kein bisschen!« Ganz anders die Blumenverkäuferin in der Wandelrose: »Ja, natürlich mach ich mir Sorgen. Wir waren da eingeladen zum Gespräch, da gaben sie sich freundlich – aber man kennt das ja!« Der Wirt des vietnamesischen Cocochu gibt sich asiatisch: »Ich habe hier keine Meinung!« Na denn! Für einige der Protestierenden geht es nicht nur um den Kiez, sondern um die Welt. Denn Google ist inzwischen weit mehr als eine Suchmaschine. Der Konzern expandiert in Richtungen, die die Technifizierung der Welt und die Durchökonomisierung aller Lebensbereiche, des Todes, der Liebe, der Gesundheit, vorantreiben: Gentechnik, Künstliche Intelligenz, vermeintlich technikgerechte Stadtentwicklung. Dem neuen kalifornischen Traum entsprechend soll eine Welt entstehen, in der an die Stelle der Politik eine smarte Unternehmensführung tritt, die alle Datenströme reguliert und für Ordnung sorgt in der digital transparent gemachten Welt. Unter den Demonstranten ist auch Jen Allen, eine kanadische Studentin der Humboldt-Uni. Sie wehrt sich gegen den Vorwurf der Technikfeindlichkeit: Nicht die Digitalisierung der Welt sei die Katastrophe, sondern ihre Verwirklichung gemäß der Logik einer profitorientierten Ökonomie. Sie erhofft sich einen neuen, kybernetischen Kommunismus. »Und der wird den technischen Fortschritt nicht an Kontrolle und Profit orientieren, sondern am Glück.« Wer heute über die Hobrechtbrücke schlendert, sieht noch die streitenden Pärchen und die pissenden Hündchen, aber das »Fuck off Google« ist verschwunden, übermalt. Die Polizei hält die Demonstrierenden in Schach, der Landwehrkanal schimmert grün-bräunlich, an der Backsteinkathedrale hängen an langen Stricken die Putzkolonen. Und am 5. Oktober um 18 Uhr treffen sich die Googlegegner wieder einmal auf ihrer Brücke. Ihr Motto »Noise against Google«. • |