Kreuzberger Chronik
Oktober 2018 - Ausgabe 203

Hausverbot

Der Erzähler im Turandot


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von Hans W. Korfmann

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Niemand geht ins Turandot, nur um Bier zu trinken oder um zu rauchen. Man geht dort hin, um jemanden zu treffen. Um zuzuhören, was andere denken. Oder um selbst etwas zu erzählen. In der Kneipe findet man immer jemanden, der einem zuhört. Die Kneipenwelt besteht aus zwei Hemisphären, den Zuhörern und den Erzählern, und in der Regel herrscht ein harmonisches Gleichgewicht zwischen den beiden Fraktionen. Sie gehen für einige Stunden eine Symbiose ein, denn die einen können ohne die anderen nicht sein.

Natürlich hat jede echte Kneipe ihre Stammerzähler, auf die sie stolz ist und denen sie auch gerne mal ein Bier spendiert. Nicht selten haben diese Erzähler ein regelrechtes Stammpublikum, manchmal versammeln sich fünf, sechs Zuhörer um einen einzigen Erzähler. Mitunter aber tauchen auch weniger talentierte Erzähler auf, einsame Seelen, die seit Jahren mit den gleichen Witzen durch die Stadt vagabundieren, aber höchstens beim Wirt oder beim Kellner ein offenes Ohr finden. Das Kneipenpersonal hat immer ein offenes Ohr für die Geschichten seiner Gäste. Das gehört zum Job.

Allerdings ist auch die Aufnahmefähigkeit gut trainierter Zapfer begrenzt. Selbst Tina, die ihrer Seele im Lauf der Jahre ein dickes Fell umgelegt hat, stieß eines Abends im Turandot an ihre Grenze: »Das war so ein Typ, der kam jeden Tag. Alle kannten ihn, und alle schauten weg oder flüchteten auf die Toilette, wenn der auftauchte. Der hatte die Angewohnheit, sich an jeden Tisch zu setzen und jeden vollzuquasseln. Und was für ein langweiliges Zeug... !«

Tina kannte den glücklosen Erzähler schon aus den anderen Kneipen, in denen sie gearbeitet hatte, alles in allem hatte sie ihm schon einige Nächte lang zugehört. »Egal wo der reinkam: Die Stimmung kippte innerhalb von Sekunden. Und eine halbe Stunde später stand man alleine da mit ihm, weil der Laden leer war.«

Als er eines Abends wieder einmal vor dem Turandot stand, lief Tina wild entschlossen zur Tür und breitete ihre kräftigen Serviererinnen-Arme aus. »Du kommst hier heute nicht rein. Geh einfach ein paar Meter weiter, da ist die Molle, die hat die ganze Nacht offen. Da kannst du erzählen, bis alle am Tresen eingeschlafen sind.«

Tina hat nicht nur starke Oberarme, sie besitzt eine Persönlichkeit und ist so schnell nicht mehr zu beeindrucken. »Aber den Blick vergess´ ich nie, wie er mich plötzlich mit diesen Hundeaugen ansieht und sagt: Aber da hab ich doch auch schon Hausverbot!«

Sie hat den unbeliebten Gast nie wieder gesehen. Auch in all den anderen Kneipen nicht, in denen sie danach arbeitete. Er muss die Straße verlassen haben. Vielleicht sogar die Stadt. »Vielleicht ist er sogar schon tot?« •


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