November 2018 - Ausgabe 204
Geschichten & Geschichte
Elisabeth Freunds Tagebuch von Werner von Westhafen |
Auf dem Arbeitsamt Süd - 1941 Der Staat hat kein Interesse daran, die Arbeitskraft der einsatzfähigen, arbeitslosen Juden ungenutzt zu lassen und diese unter Umständen aus öffentlichen Mitteln und ohne Gegenleistung zu unterstützen. Es ist anzustreben, alle arbeitsfähigen und arbeitslosen Juden beschleunigt zu beschäftigen und damit nach Möglichkeit die Freistellung deutscher Arbeitskräfte für vordringlich staatspolitisch wichtige Vorhaben zu verbinden. So formulierte es der Präsident der NS-Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung, Dr. Friedrich Syrup, im Dezember 1938. Die Auswahl der jüdischen Arbeitskräfte oblag dem Arbeitsamt in der Fontanepromenade. Akademiker, selbständige Kaufleute und Hausfrauen waren vom Arbeitsdienst zunächst befreit. Auch mit ärztlichen Attesten konnte der Gang zum Arbeitsamt vermieden werden. Elisabeth Freund (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 46, 2003) gehörte zunächst nicht zur anvisierten Zielgruppe. Sie war Akademikerin, hatte ihr Studium der Volkswirtschaft abgeschlossen, ihr Mann war Chirurg und ihr Onkel, 1919 Nobelpreisträger für Chemie. Zudem hatte die Akademikerin drei Kinder. Doch als der Krieg begann, brauchten die Nazis jeden Mann, und jede Frau. Die Menschen standen bis auf den begrünten Mittelstreifen der Promenade hinaus in der Schlange, wie es ein noch erhaltenes Schreiben des Gartenamtes belegt, in dem man sich eher um den Rasen als um das Schicksal der Menschen sorgte. Was an den Schreibtischen des Hauses geschah, blieb der Öffentlichkeit verborgen. Kurz vor Kriegsende erging der Befehl, das Aktengut des Arbeitsamtes Süd durch Vernichtung vor dem feindlichen Zugriff zu bewahren: »Vernichtungsart: Grundsätzlich Öfen, notfalls Garagenhof... Vernichtungsmittel: Grundsätzlich Brandsätze... bei Filmen: Unbrauchbarmachen durch Begießen mit Wasser...« Das Tagebuch von Elisabeth Freund verbrannte nicht. Sie konnte nach Kuba flüchten. Ihre Kinder, die bereits in Amerika waren, drängten darauf: »Bitte, schreib alles auf, was Ihr erlebt habt. Wir wissen nichts von Euch.« Heute gehören diese Blätter zu den wenigen Dokumenten, die den Alltag in der Fontanepromenade beschreiben. »Im März 1941 werde ich zum Zwangsarbeitsdienst eingezogen: Wenn jetzt nicht sofort Ruhe ist, lass ich Sie alle miteinander von der Gestapo abführen! Die Stimme ist scharf und schneidend. Es wird auf einmal ganz still in dem großen Raum, niemand wagt mehr, ein Wort zu sagen. Wir warten jetzt schon seit zwei Stunden. (...) Die Fülle in den zwei Warteräumen, für Männer und Frauen getrennt, ist so groß, daß man kaum Platz zum Stehen hat. Es kommen immer mehr Menschen zur Tür herein. Man ahnt gar nicht, daß es noch so viele arbeitsfähige Juden in Berlin gibt. Aber sind sie wirklich arbeitsfähig? In unserem Raum sind so viele alte Frauen dabei, man scheint ja bis zu 70 Jahren gegangen zu sein. Was will man denn bloß mit diesen alten Menschen? (...) Jetzt entdeckt eine Frau, daß sie in ihrem Arbeitsbuch als ungelernte Arbeiterin eingetragen ist. Sie ist gelernte Schneiderin. Alle Arbeitsbücher haben denselben Vermerk. Wozu war dann bloß dieses Theater mit dem Ausfüllen der Fragebögen? Die Frauen werden ganz nervös und aufgeregt, einige versuchen, den Beamten ihre Wünsche klar zu machen. Zwei Beamte kommen herein. Der eine, ein kleiner, elegant aussehender Mensch, ist derselbe, der vorhin mit der Gestapo drohte. Er läßt unsere Gruppe in eine Ecke der Halle treten. Es soll Herr Eschhaus sein, der gefürchtete oberste Leiter des Berliner Arbeitsamtes für Juden. »Meine Damen, Sie kommen jetzt in eine Fabrik und haben dort zu arbeiten. Sie können froh sein, daß Sie endlich mal in ihrem Leben eine vernünftige Arbeit kennenlernen werden. Sie wissen ja wohl, wieviel Sie damit jenen voraus haben, die sich unterdessen in Polen das Arbeiten angewöhnen. Das wichtigste, was Sie sich zu merken haben, ist das Wort Arbeits-Sabotage. Wann macht man Arbeits-Sabotage? Wenn man sich vor der Arbeit drückt, wenn man schlecht und ungenügend arbeitet, usw. … (…) Ich habe angeordnet, daß mir jeder Fall solcher Sabotage persönlich gemeldet wird, und Sie sollen mal sehen, wie ich mich dafür interessieren werde! Ich werde höchstpersönlich kommen, um mich mit Ihnen darüber zu unterhalten, aber ich werde auch gleich zwei Leute von der Gestapo mitbringen, die mit den Betreffenden in ein KZ weiterfahren werden. Ja, und dann die Sache mit ihren vielen Krankheiten. Bekanntlich sind ja immer alle Juden todkrank und immer zur Arbeit ungeeignet. Damit ist jetzt Schluß.(...) Es wird mir das größte Vergnügen sein, diese Gesellschaft im KZ noch ein bißchen zu vergrößern.« Man kann das gar nicht mitanhören! So ein Sadist, und was hat der für eine glatte, ölige Art. Was für eine Gemeinheit ist das, sich so gegen wehrlose Frauen auszutoben, da muß ja eine enorme Tapferkeit dazugehören!« Elisabeth Freund kommt in die Waschanstalt nach Spindlersfeld. Zwei Monate später endlich steht sie vor dem Schreibtisch in einem Büro der Gestapo. Es soll über ihren Ausreiseantrag entschieden werden. Sie muss »sich in die Mitte des großen Saales unter den riesigen Kronleuchter stellen, mit der strengen Anweisung, mich nicht vom Platz zu rühren. Ich hatte von diesem Sadismus schon erzählen gehört, es aber für Übertreibung gehalten. Es ist schwer, in der Mitte eines so riesigen Raumes zu stehen, ohne zu schwanken. Ich warte. Ich warte. Endlich kommt der Mann zurück. Die Sache geht in Ordnung. Ich bin frei!« • entnommen aus: „Juden in Kreuzberg“, Eine Publikation der Berliner Geschichtswerkstatt e. V. |