November 2018 - Ausgabe 204
Reportagen, Gespräche, Interviews
Kultur oder Natur von Michael Unfried |
Sie ist die größte Wiese Berlins. Und Berlins größter Zankapfel. Sie droht, die Bürger und den Staat endgültig zu entzweien. Eine Ortsbesichtigung - 4 Jahre nach dem Volksentscheid. Foto: Dieter Peters
Der Vater hat die Sache mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht. Er hätte weitererzählen können: Seitdem gibt es ein zähes Ringen um jeden Baum, der gepflanzt, und jede Bank, die aufgestellt werden sollen. Damit die Stadt die Kontrolle behält und ihre zivile Vorstellung von einem klassischen Stadtpark gegen die wildwüchsigen Ideen der verschiedenen Bürgergruppen durchsetzen kann, hat sie - gegen deren Willen - drei Planungsbüros damit beauftragt, die Umgestaltung der Wiesenlandschaft zu koordinieren. »Dabei hätte man die Entwicklung von Ideen«, so einer der dienstältesten Bürgervetreter, »getrost uns überlassen können. Ideen haben wir genug. Bei der Umsetzung allerdings könnten die Büros uns tatsächlich hilfreich beiseite stehen.« Doch es scheint, als sei es die Hauptaufgabe der Büros, die Visionen des Senats zu verwirklichen. Und dessen Vorstellungen von einem Park haben mit der ursprünglichen Idee, diese Wiese als Naturlandschaft zu 100% zu erhalten, wenig zu tun. Die Landschaftsplaner, die im Auftrag der stadteigenen Grün Berlin GmbH agieren, hören sich bei den regelmäßigen Treffen mit den so genannten Feldkoordinatoren zwar deren Ideen an, stützen ihre Konzepte aber gern auf von ihnen durchgeführte Befragungen, die nicht selten suggestiven Charakter haben. Schon auf den ersten Fragebögen, die 2010 verteilt wurden, gab es kein Kreuzchen für jene, die alles so belassen wollten, wie es war. »Weil doch alles auf diesem Feld wunderbar funktioniert und uns das keinen Cent Steuergelder kostet!« Anstatt die Wiese Wiese sein zu lassen, gab es Entwürfe künstlicher Kletterberge, künstlicher Seen mit Strandpromenaden und vielfältiger Sport- und Spielplätze. Doch keine der phantastischen Architektenvisionen fand großen Zuspruch. Die meisten Berliner wollten offensichtlich, dass alles so bleibt, wie es ist und war, lediglich ein paar Bänke und etwas mehr Schatten auf dem Feld wurden gewünscht - auch wenn längst bewiesen ist, dass gerade das Fehlen der Bäume dazu führt, dass das Tempelhofer Feld in den Morgenstunden Berlins größter Kaltluftspeicher ist. Foto: Dieter Peters
Die Bäume auf dem Feld sind eines der am heftigsten diskutieren Themen. Im Kern aber geht es immer um die eine Frage: Kulturlandschaft oder Naturlandschaft? Schon im Frühjahr dieses Jahres hatte die Raiffeisenkasse anlässlich ihres 200-jährigen Firmenjubiläums 200 Obstbäume für das Feld gespendet. Grün Berlin war begeistert, die Koordinatoren dagegen waren gespalten, zumal es zu einer feierlichen Übergabe der Bäume vor dem Kanzleramt mit Funk und Fernsehen und Zeitung kommen sollte. Die Gärtner vom Allmende-Kontor fanden die Idee, ihre Kleinstgärten mit Bäumen zu umgeben, nicht schlecht. Womöglich ist es einer aus ihren Reihen gewesen, der ohne weitere Absprachen die Übernahme von 20 Bäumen zusicherte. Was zu Protesten führte. Weshalb die Bäume, eingewickelt in Jutesäcke, monatelang herumstanden und vom Wachschutz bewässert wurden, weil man sich auf keinen Standort einigen konnte. Foto: Cornelia Schmidt
Dass die für viele Feldbesucher eher sinnlosen Sportflächen genau dort installiert werden sollen, wo sich an den lauen Sommer-abenden derzeit die meisten jungen Berliner treffen, um den Sonnenuntergang zu beobachten, wo Musik gehört und gemacht wird und Partystimmung aufkommt, lässt den Schluss zu, dass die grünen und die rosaroten Senatsvertreter hier vor allem aufräumen möchten. Die gutgelaunten jungen Leute, die mit einem Stück Rasen oder einem Skateboard unter dem Hintern zufrieden und glücklich sind, scheinen den alternden Stadtvätern ein Dorn im Auge zu sein. Eine »Benebelungsanlage« am Ende der Rollbahn zur Erfrischung an heißen Tagen allerdings hielten sie für sinnvoll. Dem Vorschlag, statt des Rockbühnen-tauglichen High-Tech-Gerätes ein paar kostengünstige Rasensprenger für die Kinder aufzustellen, konnte die städtische Gartenfirma nichts abgewinnen. Auch die kleine winterliche Rodelbahn am Ost-Eingang und der von den Berlinern sorglos in den Hang getretene Trampelpfad hinunter zur nördlichen Landebahn kollidieren mit dem ästhetischen Empfinden der Landschaftsplaner. Nun soll der natürliche Gehweg einem großen Damm weichen, der in Stufen und schnurgerader Linie aufs Feld führt. Sämtliche Proteste und Einwände der bürgerlichen Feldkoordinatoren wurden mit dem Argument der gesetzlich vorgeschriebenen Barrierefreiheit abgeschmettert. Der Damm - die zivilisierte Antithese zum anarchistischen Trampelpfad - wird kommen, koste er, was er wolle. Heftig umkämpft ist auch die alte Gärtnerei am südöstlichen Ende des Feldes. Es geht um ein noch abgezäuntes Wiesenareal von 7 Hektar mit dem großen Gebäude der ehemaligen Gärtnerei. Verschiedenste Gruppen und Akteure sind an Haus und Wiese interessiert. Allerdings denkt Grün Berlin an eine Beweidung durch Rinder oder Schafe und möchte die Gärtnerei zum Stall und Wirtschaftshof umbauen. Im November lud sie schon einmal einen Schäfer ein, um eine Woche seine Tiere auf dem Flugfeld grasen zu lassen. Der romantische Hirte mit Hut und Stock inmitten des Wollknäuels entzückte junge Elternpaare, während jene, die lieber selbst auf der Wiese liegen und sich künftig zwischen von Fliegen umschwirrten Kuhfladen einen Liegeplatz suchen müssen, lautstark protestierten: Die Wiese war eigentlich den Berlinern versprochen, nicht irgendwelchen Rindviechern! Es gibt eben unverbesserliche Hardliner in den Bürgerinitiativen auf dem Feld. Skeptiker, die befürchten, dass das Gesetz zum Schutz der größten Spielwiese Berlins mit den Zwischennutzungen allmählich aufgeweicht werden könnte. Bis am Ende die sechsstöckigen Eigentumswohnungen am Feldrand stehen. Diese Skepsis ist berechtigt. Es ist verdächtig, wenn der Sponsor des alljährlichen Drachenfestes auf dem Feld ausgerechnet die STADT UND LAND Wohnbauten-GmbH ist. Und schon am 28. Januar 2016 hatte Berlins Bürgermeister das Tempelhofgesetz mit einer Sonderregelung ausgehebelt und sogenannte Tempohomes, »zeitlich befristete Unterkünfte für Geflüchtete«, auf dem Feld platziert. Diktatorisch und ganz ohne Feldkoordination. Eine Aktion, hinter der Freunde des Feldes vorbereitende Baumaßnahmen vermuten. Denn die Container hinter dem Zaun machen wenig Sinn: Im Sommer 2017 sollten sie bezugsfertig sein, im Dezember verkündeten die Zeitungen den Einzug der ersten Familien, doch noch im April standen die meisten leer. »Eine Handvoll Familien ist eingezogen, warum der Rest leer steht, weiß keiner!«, kommentierte der Wachschutz durch den Sicherheitszaun. Und dpa meldete im Sommer, dass deutschlandweit 100.000 Plätze in Flüchtlingsunterkünften leer stünden. Jetzt wohnen auf dem Feld »etwa 500 Personen«, sagt Stephan Mair von interkular, einer Einrichtung, die für den zwischenmenschlichen, interkulturellen Kontakt sorgen soll. »Wir veranstalten Führungen über das Feld, wobei die Führer ebenso wie die Besucher aus verschiedenen Kulturen kommen. Aber wirklich vermischen tut sich da noch nichts. Diese Leute in den Containern haben einfach Angst und ganz andere Sorgen als wir.« Es gibt die hinter dem Zaun, und die vor dem Zaun. Lediglich bei der Fußballweltmeisterschaft kamen die Flüchtlinge in den Biergarten und jubelten, wenn afrikanische Spieler für Frankreich aufs Tor stürmten. Und dann sind da noch die Flüchtlingskinder, die in den benachbarten Zelten des Zirkus CABUWAZI Trampolin springen. Der Kinderzirkus ist eine Bereicherung für das Feld. »Trotzdem«, erzählen die Zirkusleute, «kommt manchmal einer und beschwert sich, dass so ein Zirkus doch gar nicht zur Architektur dieses Flughafens passe.« Auch die Hardliner aus den Reihen der Feldinitiativen sind auf den Zirkus nicht gut zu sprechen. Obwohl sie nichts gegen einen Zirkus haben. Sie haben etwas gegen einen Senat, der sich nicht an die Regeln hält. Der sie nicht informiert. Dass der Zirkus aufs Feld kommt, erfuhren sie erst durch die Presse. So entsteht Misstrauen. 17 Millionen Euro kostete das Camp, das laut Gesetz 2019 wieder abgebaut werden muss. »17 Millionen für die einjährige Unterkunft von 600 Geflüchteten - dafür hätte man sie im Hilton einquartieren können!« Gemeinsam mit den Containern verliert laut Gesetz 2019 auch der Zirkus seine Existenzberechtigung auf dem Feld und müsste weiterziehen. Natürlich kann ein Zirkus seine Zelte leichter woanders aufschlagen als die Flüchtlinge, »aber der Umzug mit drei großen Zelten wäre teuer.« Deshalb glaubt im Zirkus keiner so recht daran, dass sie wieder weg müssen. Auch die Feldkoordinatoren befürchten, dass sich der Senat nicht an die Frist hält, sondern eine Verlängerung durchsetzt. Zumal der Bürgermeister schon anlässlich der Eröffnung des Zirkus feierlich versprochen hat: »CABUWAZI wird hier bleiben.« • |