Kreuzberger Chronik
November 2018 - Ausgabe 204

Herr D.

Der Herr D. und der Graben


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von Hans W. Korfmann

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Von Marsflügen und Straßenschildern

Der Herr D. wunderte sich: Schon am frühen Morgen weckte ihn Baulärm. Als er auf den Balkon trat, sah er eine Arbeitskolonne, wie er sie bislang nur aus sozialistischen Propagandafilmen kannte. Sie hatte bereits ein gutes Stück des Berliner Trottoirs aufgerissen und einen metertiefen Schacht ausgehoben. Als er am Nachmittag zum Späti ging, war die Kolonne schon um die Ecke. »Möchte mal wissen, wer es da so eilig hat!« sagte der verschlafene Nachbar, der gerade vom Brötchenholen kam. »Die müssen ja ordentlich Geld verdienen, wenn sie so Gas geben.«

»Die Telekom vielleicht!«, sagte der Herr D., der die Telekom nicht mochte. »Die legen doch überall neue Kabel, damit wir die schlechten Fernsehprogramme in noch besserer Qualität sehen können.«

Zwei Tage später allerdings schossen blaue Säulen aus dem Berliner Trottoir. Vielleicht hatte der Graben ja mit den Stelen zu tun. Neugierig näherte sich der Herr D. dem Parkschein-Automaten »PSA 61075 / Heimstraße 3« und studierte die Preisliste. Dort standen sechs verschiedene Tarife: Der Tarif für eine Stunde, für eine Viertelstunde und der für drei Minuten. »Kompliziert!«, murmelte der Herr D.

Da sah er wenige Meter entfernt einen Mann mit Brecht Mützeeinen dieser Kästen aufschrauben. »Also, was kostet das jetzt?«, fragte er. Der Mann antwortete auf Sächsisch: »Fünf Cent für drei Minuten. Die Stunde ´n Euro, halbe Stunde 50 Cent, Viertelstunde 25. Warum die das da gleich dreimal hingeschrieben haben - keene Ahnung.«

»Und die sind jetzt schon in Betrieb?«, fragte der Herr D., der sich immer wie im Urlaub fühlte, wenn er sich mit Sachsen unterhielt. »Ja, die hab ich gerade scharf gemacht. Ab jetzt klingelt die Kasse. Heut ist ja der 15., und am 15. solls ja losgehen. Aber!« - und jetzt beugte sich der Sachse ein bisschen zum Herrn D. hinunter und wurde ein bisschen hochdeutscher: »Sie dürfen hier trotzdem weiter kostenlos parken. Die hier wohnen, die wissen das auch alle. Weil nämlich noch keine Schilder hier stehen. Da könnte ja jeder Regressansprüche stellen. Also: Offiziell ist hier immer noch frei Parken. Nur die Touris«, sagte der Sachse und kicherte, »die zahlen eben freiwillig.«

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